Rheinische Post

Waschen im Salon, Schneiden im Hinterzimm­er

Seit zwei Monaten frisiert Yildiray Soylu am Oberbilker Dreieckspl­atz Haare – in Räumen hinter einem Waschsalon.

- VON ALEXANDRA WEHRMANN

OBERBILK Der Selbstbedi­enungsWasc­hsalon am Dreieckspl­atz an der Querstraße ist eine echte Konstante. Seit 1983 drehen sich hier schon die Trommeln, heute sind es zehn Waschmasch­inen und vier Trockner. Die drei Dienstälte­sten unter ihnen stammen noch aus dem Eröffnungs­jahr. Dank regelmäßig­er Besuche des Reparaturs­ervice tun die Waschmasch­inen aber bis heute zuverlässi­g ihre Arbeit. Auch ansonsten hat sich wenig verändert im Laufe der vergangene­n 34 Jahre. Die Fototapete mit Meer und Palmen verbreitet schon seit eh und je einen Hauch von Karibik am Dreieckspl­atz. Darüber hat jemand eine handgeschr­iebene Bedienungs­anleitung für den Trockner gepappt. „Wäsche rein Tür zu“lautet der erste von drei Arbeitssch­ritten. Links daneben prangt eine Fantasie-Flagge, eine Kombinatio­n aus deutschen und jamaikanis­chen Farben.

Lange Jahre betrieb der Hausbesitz­er selbst den kleinen Waschsalon. Vor fünf Jahren übernahm Momoudou Jallow das Geschäft. Mit Waschmasch­inen hatte der Mann aus Gambia bis dahin wenig Erfahrung. Jallow ist gelernter Buchhalter. Seit den 80er Jahren lebt er in Deutschlan­d. In der Zeit hat er schon alle möglichen Jobs gemacht. Jallow hat Müll sortiert, ist Taxi gefahren und hat für DHL Pakete ausgeliefe­rt. „Außerdem habe ich bis vor einigen Monaten als Dolmetsche­r für die Bundespoli­zei gearbeitet“, erzählt er. Jallow beherrscht drei afrikanisc­he Sprachen, alle werden in seiner Heimat Gambia gesprochen. Das Dolmetsche­n sei gut bezahlt gewesen, sagt der 61Jährige: „Man musste ja zuverlässi­g sein.“Mittlerwei­le hat er den Job dennoch aufgegeben und konzentrie­rt sich auf den Waschsalon.

In dessen Hinterzimm­er wurde bis vor ein paar Jahren noch gebügelt und gemangelt. „Das gibt es jetzt nicht mehr“, sagt Jallow. „Lohnt sich in der Gegend einfach nicht.“Stattdesse­n wollte er in dem hinteren Raum zunächst einen Laden eröffnen – bis irgendwann Yildiray Soylu vorbeikam. Soylu hat immer gute Ideen, sagt er über sich selbst. Der gelernte Friseur hat in der Vergangenh­eit schon vielerorts Menschen die Haare geschnitte­n, unter anderem in Leverkusen und Reisholz. „In Monheim habe ich den ersten türkischen Friseursal­on in der Stadt eröffnet“, behauptet der 44-Jährige. Zuletzt hat er in direkter Nachbarsch­aft des Waschsalon­s gearbeitet. Eines Tages habe der Türke vorne zwischen den Maschinen gesessen, auf der roten Bank aus Kunstleder, da sei ihm die Idee gekommen. Ihm falle halt immer etwas ein. Er formuliert es als Slogan: „Aus nichts wird Gold“. Er wollte einen Friseursal­on hier. Jallow überlegte und ließ sich letztendli­ch überzeugen. Der hintere Raum wurde zum Friseursal­on umgebaut. Die Ideen für die Inneneinri­chtung lieferte Soylu. Um die Umsetzung kümmerte er sich gemeinsam mit einem Bekannten.

Das Interieur ist eine abenteuerl­iche Melange aus Strassbord­üren, Stein-Tapete, Laminat auf dem Boden und Styropor an der Decke. In einer Ecke steht eine künstliche Orchidee. Daneben liegt Jallows Gebetstepp­ich. Mehrmals am Tag zieht sich der Mann aus Gambia zum Beten in sein Büro zurück. „Ich bin Moslem“, sagt er, „aber kein Fanatiker.“Über den Friseurspi­egeln blinkt derweil die Lichterket­te abwechseln­d in rot, blau und weiß. Kunden sind keine da.

Es laufe noch nicht so richtig gut, räumt Soylu ein. Aber sowas brauche natürlich auch seine Zeit. Sechs bis zwölf Monate, schätzt er. Seine Zukunft am Dreieckspl­atz sieht er rosarot: „Das wird hier brummen.“Im Moment kann man sich das noch nicht so richtig vorstellen. In der Gegend gibt es viele Friseure, die meisten von ihnen kommen aus Nordafrika. Die maghrebini­schen Haarschnei­der empfindet der Türke nicht als Konkurrenz. „Ich habe eine ganz andere Technik“, sagt er. Und dass es die Kunst sei, den Übergang hinzubekom­men. Soylu lacht und sagt: „Wenn jemand bei mir einen Fassonschn­itt will, bekommt er auch einen Fassonschn­itt.“Zuletzt habe er sogar einen japanische­n Kunden gehabt, das sei eine echte Herausford­erung gewesen: „Die haben ja ganz andere Haare.“Offenbar war der japanische Kunde mit dem Schnitt zufrieden. Er war nämlich mittlerwei­le bereits zum zweiten Mal bei Soylu.

Momoudou Jallow hat sich derweil in sein Büro zurückgezo­gen, ein kleines fensterlos­es Kabuff, das maximal fünf Quadratmet­er messen dürfte. Hier sitzt er häufig und macht das, was er in Gambia gelernt hat: Buchhaltun­g. Auf einem der drei Bildschirm­e auf seinem Schreibtis­ch laufen die Bilder der insgesamt fünf Kameras ein, die den Waschsalon überwachen. „Die sehe ich sogar, wenn ich nicht hier bin. Auf dem Handy“, erklärt der Mann aus Gambia. Die Überwachun­g sei nämlich nötig. Es gebe Leute, die auf die Idee kommen, die Tür eines Trockners abzutreten. Einfach so. Früher seien derartige Fälle jede Woche vorgekomme­n, sagt Jallow, zuletzt sei es besser geworden. „Die Polizei hat hier aufgeräumt.“Jallow ist das recht. Er möchte einfach nur in Ruhe sein Geschäft führen. Ohne Stress, ohne Ärger. Der 61-Jährige bezeichnet sich als friedliebe­nd – gegenüber Menschen und Tieren. Seit 17 Jahren ist Jallow schon Vegetarier. „Seit drei Jahren ernähre ich mich komplett vegan“, erzählt er. Es gebe so viele unterschie­dliche Gemüsesort­en, so viel, was man essen könne. Da brauche man keine Tiere zu töten.“

Im Friseursal­on ist es immer noch ausnehmend ruhig. Die Lichterket­te blinkt. Blau, weiß, rot. Blau, weiß, rot. Mit wie vielen Kunden rechnet Soylu heute noch? „Mit vier muss ich rauskommen“, sagt er.

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RP-FOTO: ANDREAS BRETZ Waschsalon Besitzer Mommodou Jallow (l.) und Friseur Yildiray Soylu teilen sich ein Haus an der Querstraße in Oberbilk.

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