Gescheiterte Visionen
Ein italienischer Professor sammelt spektakuläre Ruinen der modernen Architektur. Von ihnen will er für die Zukunft lernen.
DÜSSELDORF Die Idee war gut. 13 Stockwerke zählt der Nakagin Capsule Tower in Tokio, und jedes besteht aus 140 Wohnmodulen, die bei Bedarf ausgetauscht oder erweitert werden können. Metabolismus nennt man diesen Baustil, und als der Turm des Architekten Kisho Kurokawa 1972 fertig wurde, dachte man, das sei nun ein Konzept zur Errichtung ganzer Städte in einer Zeit der Überbevölkerung: standardisierte Wohneinheiten, flexibel miteinander verbunden. Ein Plan zur Rettung der Welt. Wenige Jahre später wusste man indes: Der Plan geht nicht auf. Das Haus war asbestverseucht, leben ließ sich darin auch nur halbgut. Leitungen leckten, und der Umbau der Module, wenn etwa ein Bewohner eine Familie gründen wollte, war schlichtweg zu teuer. Heute ist das Objekt ein Relikt, nur durch Initiativen von Architektur-Nostalgikern vor dem Abriss bewahrt. In 1440 Meter Höhe thront in Busludscha in Bulgarien dieses Monument aus dem Jahr 1981. Es soll umgerechnet sieben Milliarden Euro gekostet haben. Seit dem Sturz der Regierung verwahrlost es. ignorieren: „Bleibt hungrig. Bleibt verrückt“, rief Steve Jobs 2005 am Ende seines berühmten Vortrags in Stanford den Studenten zu. Lernen aus den Ruinen. Es geht nicht darum, positiv zu denken, sondern anders und vital zu denken. Weiter denken. Weiterdenken.
Architektur ist der Ausdruck eines Zivilisations- und Kulturzustands, und der Architekt ist die ordnende Kraft, der Organisator. Alessandro Biamonti hat alle von ihm gesammelten Fehlschläge auf die Gründe Die japanische Insel Hashima, eine Stunde mit dem Schiff vor Nagasaki gelegen, wurde künstlich aufgeschüttet. Von dort aus organisierte man den unterseeischen Kohleabbau. Auf der Insel entstand eine Stadt, in der zu viele Leute lebten: 3450 Menschen pro Quadratkilometer. 1974 wurde der Ort geschlossen. ihres Scheiterns untersucht und das nicht mehr Adäquate als Anstoß für das Neue genommen. Falsche bevölkerungsstatistische Erwartungen und mangelhafte Kalkulation der Kosten waren demnach die Hauptgründe. Hinzu kamen ideologische Ausrichtungen, die nach einer Revolution oder einem Führungswechsel hinfällig wurden sowie schlichtweg geänderte Vorlieben der Menschen.
Mit seinen Studenten entwickelte er auf Grundlage dieser Erkenntnis- se einen Plan für eine der größten Bauruinen Mailands, den 103 Meter hohen Torre Galfa aus der Nachkriegszeit. Sie planten darin einen vertikalen Stadtpark. Es gibt Cafés, Sportplätze, Ateliers, eine kleine Stadtfarm, Gelegenheiten zum Büchertauschen und einen Botanischen Garten. Was sonst in der Breite Raum findet, bekommt ihn hier in der Höhe.
Vielleicht wird die Idee nie verwirklicht, womöglich bleibt sie ein Hirngespinst. Es existieren bislang 1972 in Tokio fertiggestellt. Jede Etage besteht aus 140 Modulen. Sie können beliebig erweitert werden. Das ultimative Konzept für Metropolen, dachte man. Der Bau erwies sich jedoch als unwirtschaftlich. nur Skizzen, in denen das Neue aus dem Überkommenen wächst, die Hoffnung aus dem Ungeeigneten. Aber auch so haben die Studenten eine Erkenntnis gewonnen, und zwar durch die Vertiefung in die Fehler von einst: „Ein Gebäude ist wie ein Behälter, man muss ihn mit Gemeinschaft füllen, mit dem Gefühl der Zugehörigkeit.“Bauen heiße, der Geschichte Zeichen einzuschreiben, sagt Biamonti. Wer sie entziffern kann, hat Teil an der Entdeckung der Zukunft. Die Bauarbeiten in Taiwan begannen 1978. Die Wohnfläche sollte sich durch Hinzufügen weiterer Module vergrößern lassen. Der Plan erwies sich als nicht durchführbar. In keinem der Häuser hat je ein Mensch gewohnt.