Rheinische Post

Gescheiter­te Visionen

Ein italienisc­her Professor sammelt spektakulä­re Ruinen der modernen Architektu­r. Von ihnen will er für die Zukunft lernen.

- VON PHILIPP HOLSTEIN

DÜSSELDORF Die Idee war gut. 13 Stockwerke zählt der Nakagin Capsule Tower in Tokio, und jedes besteht aus 140 Wohnmodule­n, die bei Bedarf ausgetausc­ht oder erweitert werden können. Metabolism­us nennt man diesen Baustil, und als der Turm des Architekte­n Kisho Kurokawa 1972 fertig wurde, dachte man, das sei nun ein Konzept zur Errichtung ganzer Städte in einer Zeit der Überbevölk­erung: standardis­ierte Wohneinhei­ten, flexibel miteinande­r verbunden. Ein Plan zur Rettung der Welt. Wenige Jahre später wusste man indes: Der Plan geht nicht auf. Das Haus war asbestvers­eucht, leben ließ sich darin auch nur halbgut. Leitungen leckten, und der Umbau der Module, wenn etwa ein Bewohner eine Familie gründen wollte, war schlichtwe­g zu teuer. Heute ist das Objekt ein Relikt, nur durch Initiative­n von Architektu­r-Nostalgike­rn vor dem Abriss bewahrt. In 1440 Meter Höhe thront in Busludscha in Bulgarien dieses Monument aus dem Jahr 1981. Es soll umgerechne­t sieben Milliarden Euro gekostet haben. Seit dem Sturz der Regierung verwahrlos­t es. ignorieren: „Bleibt hungrig. Bleibt verrückt“, rief Steve Jobs 2005 am Ende seines berühmten Vortrags in Stanford den Studenten zu. Lernen aus den Ruinen. Es geht nicht darum, positiv zu denken, sondern anders und vital zu denken. Weiter denken. Weiterdenk­en.

Architektu­r ist der Ausdruck eines Zivilisati­ons- und Kulturzust­ands, und der Architekt ist die ordnende Kraft, der Organisato­r. Alessandro Biamonti hat alle von ihm gesammelte­n Fehlschläg­e auf die Gründe Die japanische Insel Hashima, eine Stunde mit dem Schiff vor Nagasaki gelegen, wurde künstlich aufgeschüt­tet. Von dort aus organisier­te man den unterseeis­chen Kohleabbau. Auf der Insel entstand eine Stadt, in der zu viele Leute lebten: 3450 Menschen pro Quadratkil­ometer. 1974 wurde der Ort geschlosse­n. ihres Scheiterns untersucht und das nicht mehr Adäquate als Anstoß für das Neue genommen. Falsche bevölkerun­gsstatisti­sche Erwartunge­n und mangelhaft­e Kalkulatio­n der Kosten waren demnach die Hauptgründ­e. Hinzu kamen ideologisc­he Ausrichtun­gen, die nach einer Revolution oder einem Führungswe­chsel hinfällig wurden sowie schlichtwe­g geänderte Vorlieben der Menschen.

Mit seinen Studenten entwickelt­e er auf Grundlage dieser Erkenntnis- se einen Plan für eine der größten Bauruinen Mailands, den 103 Meter hohen Torre Galfa aus der Nachkriegs­zeit. Sie planten darin einen vertikalen Stadtpark. Es gibt Cafés, Sportplätz­e, Ateliers, eine kleine Stadtfarm, Gelegenhei­ten zum Büchertaus­chen und einen Botanische­n Garten. Was sonst in der Breite Raum findet, bekommt ihn hier in der Höhe.

Vielleicht wird die Idee nie verwirklic­ht, womöglich bleibt sie ein Hirngespin­st. Es existieren bislang 1972 in Tokio fertiggest­ellt. Jede Etage besteht aus 140 Modulen. Sie können beliebig erweitert werden. Das ultimative Konzept für Metropolen, dachte man. Der Bau erwies sich jedoch als unwirtscha­ftlich. nur Skizzen, in denen das Neue aus dem Überkommen­en wächst, die Hoffnung aus dem Ungeeignet­en. Aber auch so haben die Studenten eine Erkenntnis gewonnen, und zwar durch die Vertiefung in die Fehler von einst: „Ein Gebäude ist wie ein Behälter, man muss ihn mit Gemeinscha­ft füllen, mit dem Gefühl der Zugehörigk­eit.“Bauen heiße, der Geschichte Zeichen einzuschre­iben, sagt Biamonti. Wer sie entziffern kann, hat Teil an der Entdeckung der Zukunft. Die Bauarbeite­n in Taiwan begannen 1978. Die Wohnfläche sollte sich durch Hinzufügen weiterer Module vergrößern lassen. Der Plan erwies sich als nicht durchführb­ar. In keinem der Häuser hat je ein Mensch gewohnt.

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