Bundeswehr bereitet Abzug aus Türkei vor
Abgeordnete dürfen die deutschen Soldaten in Incirlik nicht besuchen. Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen schickt nun ein Team zur Erkundung nach Jordanien – eine Drohung gegenüber Ankara.
BERLIN Im Streit mit der Türkei hat die Bundesregierung demonstrativ mit Vorbereitungen für einen Abzug der Bundeswehr aus dem türkischen Luftwaffenstützpunkt Incirlik begonnen. Nur drei Tage nach der türkischen Weigerung, Bundestagsabgeordnete deutsche Soldaten in Incirlik besuchen zu lassen, entsandte das Verteidigungsministerium ein Erkundungsteam nach Jordanien, wohin die sechs Tornado-Aufklärungsjets und das Tankflugzeug für die Anti-IS-Mission verlegt werden könnten. Damit Ankara keinen Zweifel an der Ernsthaftigkeit der deutschen Drohung hat, kündigte Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) an, bereits an diesem Wochenende Gespräche mit der jordanischen Regierung über eine Stationierung zu führen.
Einen für diesen Montag geplanten Besuch der Obleute des Verteidigungsausschusses in Incirlik hatte die Türkei untersagt. Als Begründung verwies sie auf den Asylschutz für türkische Militärs in Deutschland, die am versuchten Militärputsch beteiligt gewesen seien. Im Oktober vergangenen Jahres war ein Incirlik-Besuch deutscher Abgeordneter erst nach wochenlangem Tauziehen zustande gekommen. Seinerzeit wurde ein Zusammenhang mit der Armenien-Resolution zum Völkermord durch das Osmanische Reich hergestellt.
Die jüngste Eskalation geschieht mit voller Rückendeckung von Regierungschefin Angela Merkel. „Die Bundeskanzlerin unterstützt genau diese Linie“, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert zu den Jordanien-Erkundungen. Deutsche Abgeordnete, die das Mandat für den Einsatz der Bundeswehr erteilten, müssten selbstverständlich deutsche Soldaten besuchen können. Diese Selbstverständlichkeit müsse auch in Incirlik Realität werden.
Die Nato hält sich aus dem Streit der beiden Mitgliedstaaten heraus. „Dies ist eine bilaterale Angelegenheit zwischen Deutschland und der Türkei“, sagte ein Nato-Offizieller unserer Redaktion. „Wir hoffen, dass sie durch bilaterale Gespräche zwischen den beiden Ländern gelöst werden kann“, erklärte der Nato-Vertreter. Sicherlich hätten alle Alliierten ein gemeinsames Interesse an der Bekämpfung des IS. Beim Nato-Gipfel nächste Woche geht es auch um die Frage, ob die Nato selbst Teil der internationalen Anti-IS-Koalition werden soll. Bislang gibt es keine Nato-Operation. Auch Incirlik ist keine Nato-Basis.
Die Union verlangt, das Besuchsverbot der Türkei auf die Tagesordnung des Nato-Gipfels zu setzen. „Die Zugangsbeschränkung für deutsche Abgeordnete zu unseren Soldaten in Incirlik ist nicht hinnehmbar, das muss im Nato-Rat angesprochen werden“, sagte UnionsAußenexperte Jürgen Hardt. Er schlug vor, für solche Besuche einheitliche verbindliche Regeln zu vereinbaren. „Die Nato-Partner sollten den Gipfel nutzen, um Präsident Erdogan zu sagen: Die Lage mit dem IS-Terror ist zu ernst für solchen Kinderkram.“
Außenminister Sigmar Gabriel will die Auseinandersetzung mit der Türkei bei seinen laufenden Gesprächen in Washington thematisieren. Die USA liegen ebenfalls im Streit mit der Türkei: Während Ankara gegen kurdische Kämpfer in Syrien vorgeht, unterstützen die USA die Kurden mit Waffen und rund 1000 Soldaten.
Deutschland teilt die US-Sicht. „Die Demokratischen Kräfte Syriens (DKS bzw. SDF) sind für die Anti-IS-Koalition ein Partner im Kampf gegen IS in Syrien, die in den vergangenen Monaten zu einem Zurückdrängen der Terrororganisation aus Gebieten in Teilen Nord-Syriens beigetragen haben“, schreibt die Bundesregierung in der Antwort auf eine Anfrage der Linken. Für deren Abgeordnete Katrin Kunert ergibt sich daraus ein weiterer Grund für den Abzug aus Incirlik: „Die Türkei missbraucht die Stationierung der Bundeswehr als Rückversicherung für ihre eigene militärische Einflussnahme im Syrienkonflikt.“Leitartikel
Aus Sicht der Türkei sprach vieles dafür, einen weiteren Nadelstich zu setzen, indem sie deutschen Abgeordneten erneut den Zugang zu deutschen Soldaten in Incirlik versagte. Bei einem ähnlichen Vorgehen war vergangenen Herbst schließlich herausgekommen, dass aus deutscher Sicht Schutz, Koordinierung und Unterbringung eindeutig für ein Festhalten an Incirlik sprachen. Und so lautete Ankaras Kalkül sicherlich, dass Berlin wieder beschwichtigen und die Rufe nach Abzug mit dem Hinweis kontern würde, damit treffe man nicht die Türkei, sondern schwäche den Kampf gegen den Terror.
Doch dieses Mal vollzog die Bundesregierung eine 90-Grad-Drehung, indem sie nun Alternativ-Standorte konkret angeht. Und sie lässt auch keinen Zweifel daran, dass es eine 180-Grad-Drehung wird, sollte die Türkei nicht einlenken. Das ist der richtige Umgang. Ankara braucht offenkundig eine klarere Ansprache. Mehr Konsequenz ist angezeigt, auch wenn Präsident Erdogan mit dem Ende des Flüchtlingsabkommens drohen sollte. Auch Deutschland kann nachlegen, etwa mit dem Besuch der Awacs-Soldaten in Konya. Spätestens hier würde Ankara merken, dass es vor allem gegen eigene Interessen handelt. BERICHT BUNDESWEHR BEREITET ABZUG AUS . . ., TITELSEITE