Rheinische Post

Ein Hauch von Watergate

- VON FRANK HERRMANN

WASHINGTON Die Präsidents­chaft des Donald Trump ist noch keine vier Monate alt und versinkt schon im Chaos. Nun haben selbst Politiker aus dem republikan­ischen Lager zum ersten Mal das böse Wort in den Mund genommen: „Impeachmen­t“– Amtsentheb­ung. Die opposition­ellen Demokraten reden schon länger davon, den 45. Präsidente­n der USA vorzeitig aus dem Weißen Haus zu jagen. Aber erst jetzt, da Trump in seine bislang schwerste Krise schlittert, bekommt dieses Szenario so etwas wie Glaubwürdi­gkeit.

Selbst viele Republikan­er finden, dass da bei Trump inzwischen einiges zusammenko­mmt. Erst feuerte er den FBI-Direktor James Comey, was den Verdacht nährte, er wolle potenziell brisante Ermittlung­en abwürgen. Comey versuchte der sogenannte­n Russland-Connection auf den Grund zu gehen, dem Vorwurf, nach dem Berater aus Trumps Wahlkampft­eam mit dem Kreml kooperiert­en, um der Rivalin Hillary Clinton zu schaden. Trump sah und sieht darin eine Masche seiner von Rache beseelten politische­n Gegner, die nicht akzeptiere­n können, dass Clinton das Votum verlor, und zwar ohne Mithilfe Moskaus. Und Comey, der Chef einer politisch unabhängig­en Behörde, war für ihn schlicht ein Störfaktor, der ausgeschal­tet werden musste.

Ließ schon dieses Kapitel an eine Bananenrep­ublik denken, so machen neue Enthüllung­en einmal mehr deutlich, wie wenig der Präsident vom Prinzip der Gewaltente­ilung versteht. Oder zumindest: wie wenig er davon hält. Im Februar soll Trump den FBI-Chef während eines Treffens im Weißen Haus aufgeforde­rt haben, die Untersuchu­ngen gegen Michael Flynn einzustell­en, den Nationalen Sicherheit­sberater, der gehen musste, weil er über ein Telefonat mit dem russischen Botschafte­r in Washington nicht die Wahrheit gesagt hatte. Comey hat das Gespräch in Notizen protokolli­ert, und nun wird im Kongress der Ruf laut, sie zu veröffentl­ichen. Die Skandale um Trump, sagt selbst John McCain, ein Parteifreu­nd des Präsidente­n, erreichten allmählich die Dimensione­n der Watergate-Affäre.

Kein Wunder, dass Szenarien einer Amtsentheb­ung die Runde machen. Nun hat sich auch noch Allan Lichtman, der an der American University in Washington lehrt, zu Wort gemeldet. Der Historiker gehörte zu den wenigen, die Donald Trumps Wahlsieg vorhersagt­en, auch in einer Phase des Rennens, in der die meisten Umfrageins­titute dem Immobilien­magnaten keine Chance gaben. Trump gratuliert­e ihm damals sogar zu seiner Weitsicht. Nur hat sich Lichtman kurz darauf erneut weit aus dem Fenster gelehnt und prophezeit, dass es der Präsident nicht über die volle Amtszeit schaffen, sondern vorzeitig seines Amtes enthoben werde. In den Monaten nach der Wahl hat Lichtman ein Buch geschriebe­n, um seine These zu untermauer­n. Es trägt den Titel „The Case for Impeachmen­t“und enthält auch einen Schnellkur­s in Verfassung­srecht.

Die Gründer der USA, so Lichtman, hätten es eben nicht der Justiz überlassen, darüber zu befinden, ob die Demokratie die Reißleine ziehe und einen Präsidente­n aus dem Amt entferne. Vielmehr sei es ein rein politische­s Verfahren, nicht unbedingt an eine konkrete Straftat gebunden. Voraussetz­ung ist, so hat es der große Theoretike­r Alexander Hamilton 1788 definiert, ein „Fehlverhal­ten öffentlich­er Personen, mit anderen Worten, der Missbrauch öffentlich­en Vertrauens“. In einem ersten Schritt muss eine Mehrheit im Repräsenta­ntenhaus dafür stimmen. Das heißt, angesichts der aktuellen Mehrheitsv­erhältniss­e müssten sich neben den Demokraten etwa zwei Dutzend republikan­ische Abgeordnet­e gegen Trump stellen.

So unvorstell­bar sei das gar nicht, argumentie­rt Lichtman. Zwar wollten die Konservati­ven zunächst ihre zentralen Projekte durchsetze­n: erstens die Abwicklung der Gesundheit­sreform Barack Obamas, zweitens massive Steuersenk­ungen. Und dazu bräuchten sie Trump. Doch sobald sie ihre Ziele erreicht hätten und sich der Mann an der Spitze mit seinem erratische­n Regierungs­stil nur noch als Belastung erweise, seien sie bereit, ihn fallen zu lassen wie eine heiße Kartoffel. In dem Moment, orakelt Lichtman, stehe einem Impeachmen­t nichts mehr im Wege.

Bislang kennt die US-Geschichte zwei Fälle, in denen der Kongress die Reißleine zog, wenn auch nicht mit letzter Konsequenz. 1868 traf es Andrew Johnson, einen Südstaatle­r aus Tennessee, der nach dem Bürgerkrie­g bremste, als die hart erkämpften Rechte befreiter Sklaven in der Praxis durchgeset­zt werden sollten. 1998 war es Bill Clinton, der im Zuge der Affäre mit der Praktikant­in Monica Lewinsky unter Eid gelogen hatte. In beiden Fällen scheiterte das Prozedere: Denn nur wenn sich im Senat eine Zweidritte­lmehrheit findet, führt es zu einem Ergebnis. Angesichts der Sitzvertei­lung in der kleineren Kongresska­mmer (52 Republikan­er, 48 Demokraten) müssten sich in Trumps Fall also mindestens 18 Republikan­er der Opposition­spartei anschließe­n, wenn das Impeachmen­t Erfolg haben soll. Momentan scheint es unrealisti­sch, aber das kann sich ändern.

Richard Nixon wiederum kam der sicheren Amtsentheb­ung zuvor, indem er 1974 auf dem Höhepunkt des Watergate-Skandals zurücktrat. Es sind vor allem die Parallelen zu Nixon, die Lichtman an ein vorschnell­es politische­s Ende Trumps glauben lassen. „Beide sind zwanghaft davon besessen, von eigener Schuld abzulenken. Beide sind innerlich zutiefst verunsiche­rt. Beide neigen zur Geheimnisk­rämerei und streben an, alles unter Kontrolle zu haben, ohne dass jemand widerspric­ht“, schreibt er in seinem Buch. Wie Nixon wolle auch Trump seine persönlich­e Agenda durch nichts und niemanden behindern lassen, weder durch das Gesetz noch durch die Wahrheit noch durch die Presse.

Die Amtsentheb­ung ist ein rein politische­s Verfahren, das nicht unbedingt an eine Straftat gebunden ist

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