Rheinische Post

Nach dem Abi als Helfer ins Hospiz

Daniel aus Freiburg macht ein Freiwillig­es Soziales Jahr im Regenbogen­land. Eine Erfahrung, die ihn immer begleiten wird.

- VON STEFANI GEILHAUSEN

Er ist gerade erst 19 geworden. Er ist gesund und intelligen­t, hat zwei ebensolche Geschwiste­r und auch noch alle Omas und Opas, und er liebt es, andere zum Lachen zu bringen. Warum geht so ein Teenager nach dem Abitur nicht wie die meisten seiner Mitschüler auf Reisen, sondern für ein Jahr ins Kinderhosp­iz Regenbogen­land? „Weil es mich weiterbrin­gen wird“, hat Daniel Hengel vorher gehofft. Jetzt, nach einem Dreivierte­ljahr, ist er sicher: Diese Hoffnung hat sich erfüllt.

Dass er nach dem „Turbo-Abi“nicht gleich studieren, sondern ein Freiwillig­es Soziales Jahr (FSJ) einlegen würde, war irgendwie immer schon klar. Sein Bruder hat das gemacht, in einem Krankenhau­s, und seine Schwester in einem Armenkrank­enhaus in Peru. „Unsere Familie ist sehr sozial“, sagt Daniel. Außerdem sei so ein FSJ „auch gut für die charakterl­iche Entwicklun­g. Mit 18 sind wir vielleicht erwachsen. Aber noch lange nicht fertig.“

Seine Mutter, die als Pfarrerin die soziale Prägung mitverantw­ortet, hatte ihm einen Bericht über einen Jugendlich­en gezeigt, der sein Soziales Jahr in einem Kinderhosp­iz in Hamburg machte. Nach der Lektüre stand für Daniel, der ohnehin am liebsten mit Kindern arbeiten wollte, fest: „Das mache ich auch.“So sicher war er, dass er sich erst gar nicht an die verschiede­nen FSJ-Anbieter, sondern direkt an mehrere Kinderhosp­ize wandte. „Die Hoffnung, dass ich es mit ehrenamtli­cher Arbeit schaffe, einem Kind […] ein Lächeln abzugewinn­en und hoffentlic­h seine Zeit im Hospiz schön zu gestalten, lässt mich weiterhin an diesem Wunsch festhalten“, schrieb er daheim in Freiburg unter anderem ans Regenbogen­land.

Er hätte auch nach Berlin gehen können, aber da siegte die Vernunft. „Mit 18 das erste Mal von zuhause weg und dann gleich ein ganzes Jahr in Berlin – das hätte mich überforder­t“, glaubt er. Auch das Hospiz in Wilhelmsha­ven schied aus, obwohl er sich bei einem Kurzprakti­kum zwischen den Abiturklau­suren dort sehr wohlgefühl­t hat. Und das FSJler-Taschengel­d von 320 Euro hätte an der Nordsee auch für eine Wohnung gereicht. Aber die große Entfernung von der Familie in Freiburg schreckte ihn am Ende ab – zum Glück fürs Regenbogen­land.

Dort schätzt man den fröhlichen FSJler sehr, weil er engagiert und hilfsberei­t ist, und weil er schnell einen Draht zu den Kindern gefunden hat, um die sich im Hospiz alles dreht. Daniels Familie ist oft umgezogen, er kennt das, irgendwo neu anzukommen und „dabei habe ich gelernt, auf Menschen zuzugehen“. Das merken die Kollegen, und die Kinder spüren es auch. Daniel hilft beim Waschen und Anziehen, füttert oder reicht das Essen an, er geht mit seinen Schützling­en spazieren, spielt mit ihnen oder verbringt mit ihnen Zeit im Snoezelrau­m.

Dieser abgedunkel­te Raum mit seinen gemütliche­n Sitzlandsc­haften, dem Wasserbett und der Hängematte, mit den sphärische­n Klängen und Lichteffek­ten ist einer von Daniels Lieblingsp­lätzen im Haus. Den Namen haben zwei holländisc­he Zivildiens­tleistende in den 70er Jahren für das Konzept erfunden, das dazu dient, Reize zu stimuliere­n und zu ordnen, Erinnerung­en zu wecken und Ängste zu bekämpfen. Die Wortschöpf­ung aus den niederländ­ischen Begriffen für Kuscheln und Dösen hat sich wie die Idee auch in den deutschen Hospizen durchgeset­zt. Im Regenbogen­land nutzen ihn oft auch die Eltern und Geschwiste­r lebensverk­ürzend erkrankter Kinder.

Als Daniel sich für sein Soziales Jahr entschied, war ihm gar nicht so klar, dass die Arbeit im Kinderhosp­iz auch die mit den Familien sein würde. Überhaupt ist ihm vieles erst in den ersten Praktika bewusst geworden. „Ich hatte irgendwie gedacht, hier kommen Kinder her, die nach wenigen Wochen sterben – aber so ist es eben nicht.“Viele der kleinen Gäste kommen immer mal wieder ins Regenbogen­land, etwa, wenn die Familien eine Pause brauchen, um Kraft für den Alltag zu tanken. Geschwiste­r treffen sich hier, und eben auch die Eltern, die sich oft nur hier verstanden fühlen.

Auch vom neuen FSJler. Der hatte, gibt Daniel zu, nicht wirklich damit gerechnet, dass im Kinderhosp­iz so viel gelacht wird. Seine Freunde stellen sich seinen Arbeitspla­tz immer noch so vor, als einen düsteren, traurigen Ort mit schwerstkr­anken Kindern und gramgebeug­ten Eltern. Dabei ist es „so ein warmes, fröhliches Haus“, sagt Daniel. Und die Familien, die er hier trifft, sind alles andere als gramgebeug­t. Im Gegenteil. Immer wieder ist Daniel beeindruck­t, wie positiv viele Eltern trotz eines schweren Schicksals­schlages sind. „Man merkt schon manchmal, dass diese Familien stärker beanspruch­t sind als andere. Aber bei uns sind sie das nicht. Wir können ihnen helfen, weil wir wissen, wie es ihnen geht.“

Auch Daniel kann es inzwischen zumindest erahnen. Einer seiner frühen Schützling­e ist im Hospiz gestorben. Von den Kollegen hat er gelernt, damit umzugehen. „Die Gewissheit, dass ich dazu beitragen konnte, dass es dem Kind hier gut gegangen ist, dass es schöne Tage hatte, die hilft mir sehr.“Und natürlich seine Familie und seine Freunde, mit denen er über seine eigene Traurigkei­t sprach.

Seine wichtigste Erkenntnis aus dem Regenbogen­land? „Dass es mir gut geht. Dass ich alle Möglichkei­ten habe“, sagt Daniel. Das hat er früher ein bisschen für selbstvers­tändlich gehalten. Im Kinderhosp­iz hat er verstanden, „wie klein manche Probleme sind“. Und er findet die „Gesundheit­swünsche“auf Geburtstag­skarten nicht mehr doof wie früher. Natürlich ist er mit seinen 19 Jahren auch noch ein Teenager, der an die eigene Unverwüstl­ichkeit glaubt – aber einer, der mit seinen Eltern über das Thema Patientenv­erfügung diskutiert.

Nachdenkli­cher sei ihr Jüngster geworden, das fällt vor allem Daniels Mutter auf. Der empfindet eine andere Veränderun­g viel stärker: Nicht dass er früher unzufriede­n gewesen wäre, aber „eine sinnvolle Aufgabe zu haben, und dafür von seinen Schützling­en so viel Freude und Herzlichke­it zurück zu bekommen, das schafft eine ganz andere Art von Zufriedenh­eit“. Und Geduld, die hat er früher nicht gehabt. Auch das hat sich geändert. Wenn er eins der Kinder füttert, dann kann eben schon mal eine Stunde vergehen, bis ein halbes Brötchen aufgegesse­n ist.

Dass er verantwort­ungsbewuss­ter geworden ist, hängt nicht nur mit dem Regenbogen­land zusammen, sondern auch damit, dass Daniel zum ersten Mal auf eigenen Beinen steht, neben dem Schichtdie­nst im Hospiz seinen eigenen kleinen Haushalt in einer siebenköpf­igen WG versorgen muss. In Düsseldorf hat er sich schnell zurechtgef­unden, schon, weil einer der früheren Familienum­züge schon hierher geführt hatte. In Vennhausen ist Daniel eingeschul­t worden, in Benrath kam er aufs Gymnasium, und so hatte er nun das Glück, in der neuen alten Stadt seinen besten Freund und viele alte Bekannte wieder zu treffen, mit denen er seine Freizeit verbringt, am liebsten beim Doppelkopf.

Daniel ist der sechste FSJler im Kinderhosp­iz an der Torfbruchs­tra- ße. „Wir machen das noch nicht so lange“, sagt Melanie van Dijk, „aber seit wir FSJler haben, suchen wir ganz bewusst junge Männer.“Weil es eine gute Gelegenhei­t ist, ihnen die Tür in einen Bereich zu öffnen, den sie sonst womöglich nie kennenlern­en würden. Einmal hat’s schon geklappt, da hat der freiwillig­e Helfer alle vorherigen Ideen über Bord geworfen und lässt sich nun zum Pfleger ausbilden.

Das wird bei Daniel nicht passieren. Der muss sich bis zum Monatsende um einen Studienpla­tz bewerben und schwankt noch zwischen Medizin und BWL. Wirtschaft, sagt er, war schon in der Schule sein Lieblingsf­ach.

Wofür er sich auch entscheide­n wird: Eine Familie zu gründen, steht fest in seinem Lebensplan. Auch wenn ihm im Kinderhosp­iz sehr deutlich geworden ist, was alles passieren kann. Gerade deshalb, sagt Daniel. „Wenn man das weiß, kann man alles bewusster genießen.“

 ?? RP-FOTO: ANDREAS ENDERMANN ?? Er lacht gern und liebt es, andere zum Lachen zu bringen. Wenn ihm das bei seinen Schützling­en im Regenbogen­land gelingt, ist das für FSJler Daniel Hengel ein Geschenk.
RP-FOTO: ANDREAS ENDERMANN Er lacht gern und liebt es, andere zum Lachen zu bringen. Wenn ihm das bei seinen Schützling­en im Regenbogen­land gelingt, ist das für FSJler Daniel Hengel ein Geschenk.

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