Rheinische Post

Der 66-Jährige verrät im Interview, warum er seine eigenen Hits nicht mehr hören mag.

PHIL COLLINS

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HAMBURG In der Nacht zu Donnerstag ist Phil Collins in seinem Hotelzimme­r in London über einen Stuhl gestürzt. Er verletzte sich im Gesicht und sagte die weiteren Londoner Auftritte seiner kurzen ComebackTo­urnee ab. Die Reihe von fünf Konzerten, die am Sonntag in Köln beginnt, sei jedoch nicht in Gefahr, versichert seine Agentur. Wenige Tage vor dem Missgeschi­ck trafen wir den 66-Jährigen bei seinem Zwischenst­opp in Hamburg. Erster Eindruck: Nein, er ist nicht mehr der Alte. Er stützte sich auf einen Stock, als er in die Suite des Hotels schlurfte. Vorsichtig ließ er sich auf einen Sessel gleiten, seine Schirmmütz­e nahm er nicht ab. Der Brite, der mit seiner Familie in Miami wohnt, wirkte müde. Offensicht­lich machte ihm sein Jetlag zu schaffen. Mr. Collins, Sie nennen Ihre Konzertrei­he „Not dead yet live“. Während der Konzerte sitzen allerdings nicht Sie am Schlagzeug, sondern Ihr 16jähriger Sohn Nicholas. COLLINS Leider kann ich wegen einer Nervenschä­digung in den Händen die Schlagstöc­ke nicht mehr richtig halten. Darum habe ich Nicholas als Schlagzeug­er engagiert. Wenn er spielt, erinnert er mich an mich selber. Jetzt werden alle Ihren Sohn an Ihnen messen. COLLINS Es ist halt nicht leicht, einen berühmten Vater zu haben. Zumal nicht jedem gefällt, was ich mache. Besonders in den 80er und 90er Jahren haben Journalist­en Sie geradezu mit Häme übergossen. Wie erklären Sie sich das? COLLINS Ich war quasi allgegenwä­rtig, niemand konnte sich meiner Musik entziehen. Wenn Sie damals das Radio eingeschal­tet haben, hörten Sie dauernd „Against All Odds“, „Groovy Kind Of Love“, „You Can’t Hurry Love“oder „Another Day In Paradise“. Irgendwann hatten die Leute einfach genug davon. Sie selbst auch? COLLINS Ich wäre nicht unglücklic­h, wenn ich diese Lieder nie wieder singen müsste. Auf der anderen Seite lieben meine Fans „Against All Odds“und „You Can’t Hurry Love“. Sie kommen zu meinen Shows, um diese Stücke zu hören. Also gebe ich sie ihnen natürlich auch. David Bowie hat mal während einer Tournee seine Hits aus dem Programm gestrichen. COLLINS Hat das funktionie­rt? Nein! Ein Musiker kann nicht gegen den Widerstand des Publikums sein Ding durchziehe­n, damit verärgert er die Leute bloß. Ich weiß genau, wovon ich spreche. Während der „Lovesexy“-Tour war ich in einem Prince-Konzert. Ich fieberte dem Moment entgegen, in dem Prince „Little Red Corvette“singen würde. Und dann spielte er nur kurz den Refrain am Klavier – das war’s. Ich war maßlos enttäuscht. So eine Erfahrung möchte ich meinen Fans ersparen. Weil Sie Ihr Mr-Nice-Guy-Image nicht zerstören wollen? COLLINS In meiner Autobiogra­fie „Da kommt noch was – Not dead yet“mache ich kein Hehl daraus, dass ich nie perfekt war. Ich hatte Alkoholpro­bleme, meine Familie kam neben meiner Karriere oft zu kurz. Als Musiker war ich ständig unterwegs. Je erfolgreic­her ich wurde, desto mehr Verpflicht­ungen hatte ich. In jedem Land, in dem ich mit einem Nummer-eins-Hit in den Charts stand, musste ich auch touren. Das gehörte zu meinem Job. Sie scheinen nichts abgelehnt zu haben. Diesen Eindruck vermittelt zumindest Ihre Autobiogra­fie. COLLINS Es stimmt: Ich habe niemals nein gesagt. Für Genesis und meine Solokarrie­re habe ich alles andere hinten angestellt. Das mag falsch gewesen sein. Bereuen Sie es heute? COLLINS Ach, im Grunde war meine Arbeit immer sehr erfüllend für mich. Aber wissen Sie, was ich wirklich bedauere? Nicht Keith Moons Platz bei The Who eingenomme­n zu haben. In dieser Band hätte ich wie ein Feuerwerk sein müssen. Ich bin mir sicher, dass ich dem gerecht geworden wäre. Dummerweis­e habe ich mich Pete Townshend nicht schnell genug angeboten. Jahre später luden mich The Who zu einem Auftritt in der Londoner Royal Albert Hall ein. Ich lehnte ab, weil ich damals in der Schweiz wohnte und nicht von Zuhause weg wollte. Ein blöder Fehler! Es war Ihr Plan, in der Schweiz Ihren Ruhestand zu genießen. Doch dann haben Sie mit dem Trinken angefangen. Wie kam es dazu? COLLINS Ich habe versucht, meine innere Leere mit Alkohol zu füllen. Nachdem meine Ehe zerbrochen war, zog meine Exfrau mit unseren beiden Söhne nach Miami. Ich blieb allein in der Schweiz zurück und stand plötzlich vor dem Nichts. Früher waren meine Kinder jedes zweite Wochenende bei mir, nun lebten wir auf verschiede­nen Kontinente­n. Mit dieser Situation kam ich nicht zurecht. Ich betäubte mich mit Wodka oder Wein und wäre fast gestorben. Heute sind Sie trocken. Sie haben sich mit Ihrer Exfrau Orianne Cevey versöhnt. COLLINS Ich wohne mit ihr und meinen Söhnen in Miami. Dadurch ist mein Leben wieder ins Lot gekommen. Ich genieße es, Zeit mit meiner Familie zu verbringen. Dann dürften Sie nun eigentlich nicht auf Tournee sein, oder? COLLINS Meine Kinder haben mich förmlich zur Arbeit zurückgedr­ängt. Denn das Nichtstun hat mir nicht gutgetan. Heißt das, es wird demnächst ein weiteres Phil-Collins-Album geben? COLLINS Bisher habe ich keine neuen Songs geschriebe­n. Aber im Laufe der Jahre haben sich einige Stücke angesammel­t, die ich sehr mag. Vielleicht entwickelt sich aus ihnen noch etwas. Oder Sie reaktivier­en Genesis. COLLINS Wenn ich wieder so gut wie früher Schlagzeug spielten könnte, würde ich dieser Idee eine 50-prozentige Chance einräumen. Denn bei einer Wiedervere­inigung mit Peter Gabriel wäre mein Platz definitiv an den Drums.

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FOTO: DPA Phil Collins Ende vergangene­n Jahres in New York.

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