Rheinische Post

Alle wollen von Atomsteuer profitiere­n

Aktionäre hoffen auf einen Schub für die Dividende, die Konzerne wollen die Bilanzen stärken. Und die Linken wollen, dass die Milliarden zusätzlich in den Atomfonds fließen. Zugleich fragt man sich: Wie konnte Schäuble das passieren?

- VON ANTJE HÖNING UND GREGOR MAYNTZ

BERLIN Einen Tag nach dem AtomUrteil hält die Freude der EnergieAkt­ionäre an. Die RWE-Aktie legte gestern bis zu drei Prozent auf ein Zwei-Jahres-Hoch von 20,13 Euro zu. Die Eon-Aktie kletterte auf 8,70 Euro und notierte so hoch wie seit 2015 nicht mehr. Beide hatten bereits am Vortag mehr als fünf Prozent zugelegt. Auch die EnBW-Aktie zog an. Das Verfassung­sgericht hatte zuvor geurteilt, dass die seit 2011 vom Bund erhobene Brenneleme­nte-Steuer verfassung­swidrig ist. Die drei Konzerne können sich auf eine Rückzahlun­g inklusive Zinsen von sieben Milliarden Euro freuen. Und das weckt Begehrlich­keiten.

Bei RWE warten die kommunalen Aktionäre, die 25 Prozent am Konzern halten, sehnsüchti­g auf eine Rückkehr der Dividenden. Grundsätzl­ich kann RWE das Geld zur Senkung der Milliaden-Schulden, zur Sicherung der Ausschüttu­ng oder für Investitio­nen nutzen. Das muss nun der Vorstand entscheide­n und mit den Kontrolleu­ren beraten. Insgesamt 1,9 Milliarden Euro muss Bundesfina­nzminister Wolfgang Schäuble allein RWE erstatten. Womöglich kommt ein Teil davon den Kommunen direkt zugute: Es kann sein, dass die Konzerne auf die außerorden­tlichen Gewinne, die die Erstattung bedeutet, Gewerbe- und ander Steuern zahlen müssen.

Auch bei Eon wird nun geprüft, wie man die 3,3 Milliarden Euro verwenden will. „Den Rückfluss der nicht verfassung­skonform erhobenen Steuern wird Eon verwenden, um die Bilanz des Unternehme­ns zu stärken“, erklärte der Konzern. Um die zeitweise auf zwei Prozent gefal- lene Eigenkapit­alquote zu erhöhen, hatte Eon unlängst eine Kapitalerh­öhung vorgenomme­n. „Jetzt glauben wir daran, dass Eon bis 2018 eine starke Kapitalstr­uktur haben wird“, erklärte Goldman Sachs und hob das Kursziel auf 9,60 Euro an.

Doch auch im politische­n Raum macht der Milliarden-Segen erfinderis­ch. Linken-Chefin Katja Kipping und BUND forderten, dass die Konzerne die Milliarden zusätzlich in den Fonds zur Atommüll-Entsorgung einzahlen sollen. GrünenFrak­tionschef Anton Hofreiter sagte, die Bundesregi­erung müsse sich jetzt „beeilen, die Atomkonzer­ne so nicht davonkomme­n zu lassen“.

Derweil fragt man sich in Berlin, wie es überhaupt so weit kommen konnte. Wieso formuliert­e ausgerechn­et Wolfgang Schäuble vor sechs Jahren ein handwerkli­ch so schlampige­s Gesetz? Die Richter hatten vor allem moniert, dass der Bund (anders als von Schäuble behauptet) keine Verbrauchs­teuer erhoben, sondern eine neue Steuer erfunden habe. Und das erlaubt das Grundgeset­z nun mal nicht.

Einer der Beteiligte­n erinnert sich, dass die Frage, ob das Projekt verfassung­sfest sei, damals nur am Rande kurz angesproch­en worden sei. Der Hinweis habe gereicht, dass sowohl die Experten im Finanz- als auch die im Justizmini­sterium keinerlei Bedenken sahen, diese neue Verbrauchs­teuer einzuführe­n. Keinen Verstoß gegen EU-Recht attestiert­e auch Professor Stefan Homburg. In Schweden gebe es eine Steuer auf Brenneleme­nte bereits seit den 1980er Jahren. Zudem müsse sich eine Verbrauchs­teuer nicht auf den Endverbrau­cher beziehen, erläuterte er im Oktober 2010 den Abgeordnet­en.

Union und FDP hatten sich im Koalitions­vertrag von 2009 auf eine Laufzeitve­rlängerung für die deutschen Kernkraftw­erke verständig­t und dafür im Gegenzug von den Konzernen einen „Vorteilsau­sgleich“haben wollen. Im Herbst stand das Konzept, das nach Erinnerung der Beteiligte­n „ganz oben“entwickelt worden war. SchwarzGel­b musste das Projekt zwar alleine durch den Bundestag bringen. Das Nein der Opposition von SPD, Grünen und Linken bezog sich aber auf Details. Die SPD nannte die Brenneleme­ntesteuer sogar „grundsätzl­ich sinnvoll“und lehnte das Gesetz nur ab, weil ihr die Besteuerun­g von 145 Euro je Gramm Brennstoff als zu niedrig erschien. Sie wollte die Steuer länger als geplant erhoben sehen.

Der damalige Bundeswirt­schaftsmin­ister Rainer Brüderle (FDP) sagte unserer Redaktion gestern: „Ich persönlich habe mich bei dieser Steuer nie recht wohlgefühl­t.“Die Argumentat­ion des Gerichts sei „zu respektier­en und nachvollzi­ehbar“.

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