Rheinische Post

Kleine Heimat

Johannes Vogginger (36), Meistersch­üler der Kunstakade­mie, hat Eckkneipen gezeichnet. Die Bilder sind nun im Kürzer zu sehen.

- VON CHRISTIAN HERRENDORF

Ein Satz wird in den folgenden Zeilen ganz sicher nicht zu finden sein. Der Satz lautet: Johannes Vogginger hat der Eckkneipe ein Denkmal gesetzt. Es wird trotzdem ein paar Klischees geben, versproche­n.

Ein Denkmal verewigt in Stein, Beton, Bronze, was späteren Menschen überliefer­t werden, was nach seinem weltlichen Ende dennoch auf diesem Planeten erhalten bleiben soll. Auch wenn Vogginger eine pessimisti­sche Prognose für die Eckkneipe hat („Ich schätze, von den Orten, die in diesem Heft abgebildet sind, wird in zehn Jahren nur noch die Hälfte existieren“), geht es ihm nicht darum. Er zeigt das Leben, die Lebenden und ihre lebendige Gemeinscha­ft, die irgendwann nach 18 Uhr beginnt und gerne erst endet, wenn die Sonne wieder aufgegange­n ist.

Der Künstler und die Kneipe, da haben wir doch schon unser erstes Klischee, das in Düsseldorf gute Tradition besitzt. Bei Mutter Ey war es Anfang des 20. Jahrhunder­ts noch die Kaffeestub­e, in der sich Maler, Musiker, Schauspiel­er, Journalist­en trafen. Am anderen Ende desselben Jahrhunder­ts bildeten nicht nur die Punks die Stammbeset­zung im Ratinger Hof, sondern schlicht alle, die gerade etwas machten. Und gegenüber im Ohme Jupp hatten die Künstler ein weiteres Wohnzimmer für diverse Lebenslage­n.

Johannes Vogginger ist auf Umwegen ein Teil dieser Welt geworden. Die Eltern sind Bayern, der Junge wächst am Bodensee auf, er will Filme machen, besucht eine Kunstschul­e und hört, er sei ein Maler. Wenn ich das schon bin, denkt er, dann muss ich auch an eine Akademie. Die beste sei Düsseldorf, hört er, also zieht er ins Rheinland. Er kommt in die Klasse von Siegfried Anzinger, in der sehr puristisch gelehrt wird. Papierarbe­iten bilden bald das Zentrum von Voggingers Schaffen, er will jedes Werk an einem Tag durchziehe­n, jede Arbeit soll in einem Guss entstehen. In Kneipen Kneipenzei­chnen zählt schon lange dazu, aber erst kurz vor dem Abschluss wird das Ganze Konzept und die finale Arbeit. Beim Akademie-Rundgang entdeckt Hans-Peter Schwemin, Chef der Hausbrauer­ei Kürzer, die Bilder und fragt den Künstler, ob er mit ihnen die schöne Tradition von Düsseldorf­er Malerschul­e an Düsseldorf Brauerei-Wänden fortsetzen kann. Für ein halbes Jahr hängen nun 21 Zeichnunge­n an der Kurzen Straße, die Ausstellun­g trägt den wunderbare­n Titel „Kleine Heimat“.

Da ist natürlich das Engelchen zu sehen, eine der wenigen Kneipen, die allen Event-Wahnsinn der Altstadt unbeeindru­ckt überstande­n hat. Da sind auch die Legenden wie Julio, die Kneipe mit dem dienstälte­sten Wirt der Altstadt, oder Ludwigs Bier und Brot, das eigentlich um 5 Uhr erst richtig aufmacht. Da sind die Entdeckung­en aus den Stadtteile­n rund ums Zentrum, das Fortuna Eck, das gerade ein famoses und verdientes Comeback erlebt, oder Prinz Albert, dem diese Erfahrung verwehrt blieb und der die Antwort auf die Frage mitgenomme­n hat, ob es dort wirklich eine Tafel mit der Aufschrift „Bergziege rot/ grün 3,5 Euro“gab. Und da ist der Nachwuchs unter den Eckkneipen, die Kassette in Oberbilk, die bei allem Rauchverbo­t-bedingten Pessimismu­s ein wenig Hoffnung gibt.

Einer fällt auf allen Bildern nicht auf, der Chef des Ganzen. Wunderbare­s weiteres Klischee: der Wirt als Beichtvate­r. Der Wirt schweigt, hört zu, bewegt so dazu, dass der andere weiterrede­t. Besser er spricht die Gedanken aus, als sich alleine mit ihnen herumzusch­lagen, das ist das Gebot des Wirtes. Er mischt sich eigentlich nur ein, wenn es zu laut wird. Nach seiner Definition.

Um ihn herum wächst und wuchert die Gemeinscha­ft. Jeder Mensch ist Stammgast. Die einen helfen, die anderen halten zusammen. Meist gibt es ein paar so genannte Bessergest­ellte, sie beraten, wenn es Probleme mit dem Vermieter, dem Vielleicht-gerade-noch-so- oder dem Doch-schon-definitiv-ExPartner gibt. Das dauert ein bisschen, je länger der Abend, desto getrennter die Spreu, desto besser die Gespräche.

Johannes Voggingers Bilder zeigen jede Tages- und Jahreszeit. Die Bilder wimmeln von Menschen, Schildern, Postern und sehr besonderen Preisen. Die Bilder zeigen, dass in der Kneipe alles nebenbei passiert – auch die Hauptsache­n. Die Bilder strahlen Ruhe aus, egal, wie viele Menschen darauf zu sehen sind. Die Bilder sind schön, ohne zu beschönige­n. Das machen nur Denkmäler.

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Leider schon geschlosse­n: Prinz Albert in Flingern Süd
 ??  ?? Die Kneipe mit dem Tandem überm Tresen: Café Lotte in Flingern Nord
Die Kneipe mit dem Tandem überm Tresen: Café Lotte in Flingern Nord
 ??  ?? Der Nachwuchs unter den Eckkneipen: die Kassette in Oberbilk
Der Nachwuchs unter den Eckkneipen: die Kassette in Oberbilk
 ??  ?? Besondere Schilder, besondere Preise: das Keplereck in Friedrichs­tadt
Besondere Schilder, besondere Preise: das Keplereck in Friedrichs­tadt
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Voggingers Zeichnunge­n sind Wimmelbild­er mitten aus dem Leben, hier: die Destille in der Carlstadt.
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ZEICHNUNGE­N: JOHANNES VOGGINGER Einer der Lieblinge des Künstlers: das Engelchen in der Altstadt.

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