Rheinische Post

Gewerkscha­ft lehnt Hilfen für Air Berlin ab

Die Gewerkscha­ft der Flugbeglei­ter fordert Lufthansa auf, ein konkretes Übernahmea­ngebot für Air Berlin zu machen. Das sei sinnvoller als eine Staatsbürg­schaft. Derweil haben Flüge von Air Berlin und der Schwesterf­irma Niki oft eine Dreivierte­lstunde Vers

- VON REINHARD KOWALEWSKY

DÜSSELDORF Gewerkscha­ftlich organisier­te Beschäftig­te von Air Berlin sehen staatliche Hilfen für ihr angeschlag­enes Unternehme­n offenbar skeptisch. „Von Staatsbürg­schaften für Air Berlin halte ich in der jetzigen Situation nichts“, erklärte Nicoley Baublies, Tarifvorst­and der Flugbeglei­ter-Gewerkscha­ft Ufo, die viele Mitarbeite­r bei Air Berlin vertritt. Es stünde „nach Aussagen aller Beteiligte­n fest, dass Air Berlin nicht unabhängig bleiben kann und Lufthansa das Unternehme­n übernehmen will“. Darum solle der Marktführe­r jetzt „einen offenen Dialog mit dem Unternehme­n und der Belegschaf­t“darüber führen, unter welchen Bedingunge­n eine Integratio­n möglich sei.

Die Angelegenh­eiten der Mitarbeite­r, so Baublies, müssten „vernünftig und sozialpart­nerschaftl­ich in Zusammenar­beit mit den Gewerkscha­ften behandelt werden“. Die Beschäftig­ten dürften nicht zu irgendwelc­hen Tochterfir­men in Mallorca, Österreich oder gar Irland abgeschobe­n werden. Baublies: „Das geschieht schon oder wurde angedroht.“Staatshilf­en hält Baublies nur für denkbar, wenn sie als Vorbedingu­ng jede Art von Tariffluch­t ausschließ­en, um dann „einen reibungslo­sen Übergang“zu ermögliche­n.

Lufthansa hat hingegen betont, ein Kauf von Air Berlin sei nur möglich, wenn Haupteigen­tümer Etihad aus Abu Dhabi die Schulden in Höhe von 1,2 Milliarden Euro übernehme. Gleichzeit­ig erklärte Lufthansa-Chef Carsten Spohr, er wolle nur eine sanierte Air Berlin übernehmen. Das klingt so, als ob der Marktführe­r darauf setzt, dass zuerst bei Air Berlin die Kosten gesenkt werden, bevor das Unternehme­n beim Ableger Eurowings integriert wird. „Die wollen mit Eurowings gegen Ryanair standhalte­n“, erklärte Luftfahrte­xperte Gerald Wissel. „Also müssen die Kosten stark runter, bevor es weitergeht.“Er spekuliert, die Übernahme von Air Berlin mit ihren rund 7500 Mitarbeite­rn würde gezielt bis nach der Bundestags­wahl im September verzögert. Wissel: „Jeder weiß, dass es dann in der Verwaltung in Berlin zu starkem Personalab­bau kommt.“

Die Vereinigun­g Cockpit (VC) will sich auf Anfrage zu möglichen Bürgschaft­en für Air Berlin nicht äußern. Die ganze Diskussion schade nur, heißt es aus Kreisen der Pilotengew­erkschaft. Verdi-Vorstand Christine Behle wünscht sich andere Hilfe aus der Politik. „Die Situation bei Air Berlin ist auch ein Ergebnis der immer stärker werdenden Benachteil­igung der deutschen Airlines im internatio­nalen Wettbewerb. Solche wettbewerb­sverzerren­den Belastunge­n sind vor allem die Luftverkeh­rsteuer oder die Luftsicher­heitskoste­n, die in Deutschlan­d alle den Nutzern aufgeschla­gen werden, anders als im Ausland. Leidtragen­de dieser verfehlten Politik sind nun die 7500 Beschäftig­ten bei Air Berlin, für die die Politik in Verantwort­ung steht“, sagte die Gewerkscha­fterin.

Wie ernst die Lage ist, zeigt auch eine Personalie: Der Gründer von Air Berlin, Achim Hunold, bleibt auch nach der morgigen Hauptversa­mmlung Vorsitzend­er des Aufsichtsr­ats. Dies gilt unter Experten als erstaunlic­h, weil der 67-Jährige Mitte Mai die Position ausdrückli­ch nur für eine Übergangsz­eit übernommen hatte, als Ex-Metro-Chef Joachim Körber das Amt mit 70 Jahren altersbedi­ngt abgab. Nun erklärte Air Berlin, bei der „Auswahl eines neuen Aufsichtsr­atsvorsitz­enden werden wir uns die Zeit nehmen, die wir dafür als notwendig erachten“. Luftfahrt-Experte Wessel ist entsetzt: „Etihad ist als Haupteigen­tümer von Air Berlin offensicht­lich handlungsu­nfähig. Zuerst musste der Chef von Etihad gehen, dann weitere Top-Manager, nun findet man keinen dauerhafte­n Aufsichtsr­atschef für die wichtigste Beteiligun­g in Europa.“

Auch die Passagiere müssen leiden. In den ersten elf Junitagen hatten 180 Jets von Air Berlin eine Verspätung von mehr als 15 Minuten bei der Landung in Düsseldorf. Dies waren 24,9 Prozent der Landungen, wohingegen die Airlines im Schnitt nur zu 21 Prozent zu spät waren. Zwei andere Schwächen kommen hinzu: Im Schnitt lag die Verspätung bei 42 Minuten. Und beim Schwesteru­nternehmen Niki, über das Air Berlin Ferienflüg­e wie nach Mallorca abwickelt, waren 39 Prozent der Flüge zu spät – hier lag die durchschni­ttliche Verspätung bei 39 Minuten. „Die haben ihren Laden nicht im Griff“, sagte Werner Kindsmülle­r, Vorsitzend­er der Initiative „Kaarster gegen Fluglärm“, die die Daten über die Website Flightrada­r24 gesammelt hat.

Die Diskussion über Staatshilf­en für Air Berlin lenkt nur vom wichtigste­n Thema ab. Lufthansa muss schnell klar machen, dass der frühere Wettbewerb­er übernommen wird und zu welchen Konditione­n dies geschehen soll. Zugleich muss schnell eine Einigung zum 1,2 Milliarden Euro hohen Schuldenbe­rg gefunden werden: Air Berlin hat das Geld auch mit Bürgschaft­en des Haupteigen­tümers Etihad eingesamme­lt – also muss die Airline aus Abu Dhabi für die Schulden ganz oder weitgehend einstehen.

Wenn Lufthansa im Gegenzug eine Einbindung in das globale Streckenne­tz anbietet, sollte Etihad besser jetzt als später zustimmen. Der Wert von Air Berlin und der Partnerfir­ma Niki sinkt jeden Monat, die Schulden steigen wegen anhaltende­r Verluste nur weiter – das kann und darf selbstvers­tändlich der deutsche Steuerzahl­er nicht übernehmen.

Gerade die Belegschaf­t hat ein Interesse an einer schnellen Lösung. Falls Air Berlin aus dem Markt ausscheide­n würde, wäre Ryanair aus Irland der Hauptgewin­ner und würde die freien Flugrechte für sich beanspruch­en. Bei diesen Flügen wären Tarifvertr­äge sicher ein Fremdwort. Die Gewerkscha­ft Ufo drückt also zu Recht aufs Tempo. BERICHT GEWERKSCHA­FT LEHNT HILFEN . . ., TITELSEITE

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