Rheinische Post

Zu Besuch in Peter Handkes Haus

Der Dokumentar­film „Bin im Wald. Kann sein, dass ich mich verspäte“kommt dem Dichter sehr nahe. Nun gibt es ihn auf DVD.

- VON PHILIPP HOLSTEIN

Als normaler Arbeitnehm­er ist man auf Optimierun­g gepolt, auf das rasche Verrichten mehr oder weniger nützlicher Leistungen. Peter Handke gehört nicht zu diesem Heer der von Effizienzb­estrebunge­n gestresste­n Zeitgenoss­en, und das sieht man am besten in jener Szene, die bestimmt fünf Minuten dauert und sich so lang anfühlt, dass man schreien möchte. Der Dichter sitzt in seinem Lieblingss­essel, er versucht, einen Faden in das winzige schlossen, dass alles fremd und neu ist und unerzählt, sagt er. Man sieht Handke beim Befühlen und Betasten seiner Worte zu, er schmeckt jedem Begriff nach und hat dabei etwas Naives. Er ist gleichsam die dritte Person seiner selbst.

Belz schwelgt in Naturbilde­rn, sehr schön ist der Blick aus den Fenstern des Hauses in die Natur. Manchmal lässt sie Schrift über die Bilder laufen, Fragmente aus Handkes Werken und Notizbüche­rn. „Das Ich empfand ich heute Abend als eine unzuverläs­sige Maschine zum Ingangsetz­en der Welt“, schreibt Handke da, und man spürt, wie man allmählich in der Welt dieses Künstlers versinkt, eine entschleun­igte Welt, die jener Adalbert Stifters ähnelt. Eine Welt, in der die Kleinigkei­ten zur Fülle beitragen und für Heiterkeit sorgen.

„Noch nie in meinem Leben habe ich vorm Computer gesessen“, sagt er, das erotisiere ihn einfach nicht. Handke sitzt lieber barfuß vor seinem Haus und spitzt Bleistifte an. Er setzt Muscheln zur Begrenzung an die Ränder eines Fußweges. Er feiert das Unscheinba­re und zelebriert das Nebensächl­iche. „Leider bin ich nicht mehr so frech, wie ich gerne wäre“, sagt er. Wenn er in die Messe gehe, bete er dafür, weniger scheu zu sein.

Man ist sich nicht sicher, wie viel von dem, was Handke anbietet, Koketterie ist. Man darf sich nicht täuschen lassen, bei aller vorgeblich­en Langsamkei­t haben wir es mit einem ungeheuer produktive­n Dichter zu tun – sein neuer, im November erwarteter Roman „Die Obstdiebin“wird wieder mehr als 600 Seiten haben. „Unter der Eisschicht ist der Schnee aus dichtem Staub“heißt es in einem seiner Bücher, und unangenehm kühl wirkt er im Gespräch mit seiner Tochter Anima, die ihm ihre Entwürfe für Neuausgabe­n seiner Werke zeigt. Man kann sich keinen Reim auf Handke machen, so war es damals schon bei seinen Einlassung­en zu Jugoslawie­n. Warum er zum Begräbnis von Milosevic gereist sei, fragt Belz. Weil er sich von Jugoslawie­n verabschie­den wollte, entgegnet er entrückt.

Handke begann als junger Wilder, Dokumente aus Princeton, wo er der Gruppe 47 im Jahr 1966 „Beschreibu­ngsimpoten­z“attestiert­e, belegen das. In einem Gespräch mit Friedrich Luft aus dem Jahr 1969 sitzt er mit Beatles-Frisur und getönter Brille, und sein früher Hit, das Theaterstü­ck „Publikumsb­eschimpfun­g“, erlebt man aus- schnittwei­se in der Inszenieru­ng von Claus Peymann. „Ihr Mitmensche­n, ihr!“, schleudern die Schauspiel­er den irritierte­n, perlenbehä­ngten Zuschauern entgegen.

Vielleicht kann man sich darauf einigen: Handke glaubt an das Rettende der Erzählung. Er schenkt dem Leser Momente des Durchatmen­s. Seine Lehre hat er formuliert in dem Stück „Über die Dörfer“: „Beweg dich in Eigenfarbe­n, bis du im Recht bist und das Rauschen der Blätter süß wird.“

 ?? FOTO: VERLEIH ?? Meister der Entschleun­igung: Der 74 Jahre alte Peter Handke, der festes Schuhwerk liebt, beim Schmökern in eigenen Werken.
FOTO: VERLEIH Meister der Entschleun­igung: Der 74 Jahre alte Peter Handke, der festes Schuhwerk liebt, beim Schmökern in eigenen Werken.
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