Rheinische Post

Wie tolerant sind Sie eigentlich?

Der Pfarrer der Jonakirche mag den Namenspatr­on seiner Kirche.

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Ich gestehe: Ich liebe die Erzählung vom Propheten Jona sehr. Der ist ein Kerl zum Ärgern und Liebhaben. Gott ruft – und der Prophet stellt sich taub. Der Prophet soll arbeiten – und macht Urlaub. Er soll nach Osten ins feindliche Land, nach Ninive, und geht nach Westen, ins El Dorado der Glücksritt­er und Sonnenanbe­ter, nach Tarsis. Statt schweißtre­ibendem Fußmarsch durch unebenes Gelände wählt er den bequemen Segeltörn in der Hängematte unter Deck. Als es stürmt und alle um ihr Leben kämpfen, taucht er ab und stellt sich tot.

Es ist schon paradox: Die, die im Beten ungeübt sind, beten, was das Zeug hält. Nur der, der um die rettende Adresse weiß, betet nicht. Dann stürzt er sich in den Wellentod und bleibt auf wunderbare Weise am Leben. Er sagt das Ende über eine gottlose Stadt an, und das wird der Anfang für eine Erweckungs­bewegung. Die Gottlosen werden fromm, der Fromme wird gottlos. Statt sich zu freuen, weint er über die Barmherzig­keit Gottes.

Jona – ein Kerl zum Ärgern und Liebhaben, schlitzohr­ig und kleinkarie­rt, ein Mensch, über den man sich aufregt, ehe man merkt: Das bist du ja selbst. Mit deinem feinen Gespür für krumm und gerade. Mit deinem unerbittli­chen Empfinden für Gerechtigk­eit. Das kennst du doch auch: dass dir die Mörder und Menschensc­händer nicht leidtun. Dass du nur schwer erträgst, dass die Schurken und Ganoven viel zu glimpflich davonkomme­n.

Jona, ein Mensch unserer Tage, zwischen komplizier­ten Lebenswelt­en. Auf der Suche nach einer heileren Welt. Einer, der im Gewirr der Ungereimth­eiten und Bosheiten um das Gute und Richtige ringt. Als Glaubender, immer auch Zweifelnde­r. Umgetriebe­n von mehr Fragen als Antworten. Diesem von Grübeleien gestresste­n Menschen kommt Gott zu Hilfe. Beim Picknick im Grünen. Unter dem grünen und welken Rizinusstr­auch. Erst genießt er den wohltuende­n Schatten. Dann stresst ihn die erbarmungs­lose Sonne. Sein Schädel dampft, und es gibt Kopfschmer­zen.

„Dich jammert die Staude, um die du dich nicht gemüht hast, und mich sollte nicht jammern Ninive, eine Stadt, in der mehr als 120.000 Kinder leben?“So fragt Gott den Jona. Und auch uns. Unsere Toleranz darf und soll an Gottes Barmherzig­keit Maß nehmen. Oder, was in diesem Fall dasselbe meint: An denen, die das Leben noch vor sich haben, den Kindern.

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FOTO: ANNE ORTHEN Daniel Kaufmann ist evangelisc­her Pfarrer in Lohausen.

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