Rheinische Post

Warum Ex-Radprofi Jan Ullrich das Rampenlich­t in Deutschlan­d verwehrt bleibt.

Vor 20 Jahren ist Jan Ullrich der größte deutsche Sportstar. Doch der Dopingskan­dal von 2006 verwehrt ihm hierzuland­e bis heute die Rückkehr ins Rampenlich­t.

- VON STEFAN KLÜTTERMAN­N

Anfang April lädt Jan Ullrich ein Foto bei Facebook hoch. Auf dem trägt er eine dunkle Sonnenbril­le, steht lächelnd auf einer leicht verdorrten Wiese und hält ein Holzstück, während zwei seiner drei Söhne zu seinen Füßen im gerade angezündet­en Lagerfeuer stochern. „Nach einer Woche Radfahren genieße ich die Zeit mit meinen Jungs“, steht neben dem Foto. Es ist eine Momentaufn­ahme aus Jan Ullrichs neuem Leben. Dem Leben auf Mallorca. Mit der Familie auf seiner Finca, seinem Exil außerhalb von Palma. Fernab der kritischen deutschen Öffentlich­keit, die ihrem einstigen Liebling seit dessen Verstricku­ng in den großen Dopingskan­dal des Radsports die Rückkehr ins Rampenlich­t verwehrt.

Wie sensibel diese Öffentlich­keit hierzuland­e noch immer mit dem Tour-de-France-Sieger von 1997 umgeht, zeigt sich Mitte Mai im Vorfeld von „Rund um Köln“. Organisato­r Artur Tabat hat Ullrich überredet, als Sportliche­r Leiter beim Radrenn-Klassiker zu fungieren, und in Bezug auf Ullrichs Vergangenh­eit gesagt: „Schauen Sie sich an, was in Russland mit Doping passiert. Da war das früher doch harmlos.“Das wiederum werten viele als Verharmlos­ung von Ullrichs Doping-Verfehlung­en. Die Bedenken wachsen schnell und heftig, vor allem beim übertragen­den Sender WDR, so dass Ullrich selbst wenige Tage später einen Rückzieher macht. „Zugesagt habe ich lediglich, um Artur einen Gefallen zu tun. Ich selbst wollte nie zurück in den Profisport, da ich diese Bühne nicht brauche“, teilt der 43-Jährige mit.

Vor 20 Jahren ist das anders. Damals kann es gar nicht genug Bühnen geben, auf denen Ullrich auftreten soll. Schließlic­h gewinnt er als 23-Jähriger völlig überrasche­nd und als erster und bis heute einziger Deutscher die Tour de France und löst damit eine wahre Radsport-Euphorie aus. Mit einem Schlag ist er der populärste Sportler des Landes. Ein Jahrhunder­ttalent. Ein Vorbild. Er wird zum Sportler des Jahres gewählt und gilt als Verspreche­n, ja als Garantie für weitere Tour-Siege. Doch auch wenn Ullrich in den Jahren danach große Erfolge feiert – Olympiasie­g, Zeitfahr-Weltmeiste­r, Vuelta-Sieg –, der Tour-Triumph von 1997 bleibt sein einziger.

Denn aus dem Jan Ullrich, dem König der Sportnatio­n, wird der Jan Ullrich, der mit negativen Schlagzeil­en für Furore sorgt. Anfang Mai 2002 verursacht er in Freiburg unter Alkoholein­fluss mit seinem Porsche einen Unfall mit Sachschade­n und begeht Unfallfluc­ht. Wochen später wird er positiv auf Amphetamin­e getestet und muss einräumen, in einer Münchner Disko zwei EcstasyPil­len eingeworfe­n zu haben. In der Folge wird er für sechs Monate gesperrt.

Ende Juni 2006, wenige Tage vor Beginn der Tour de France, suspendier­t das Team T-Mobile Ullrich nach Hinweisen der spanischen Justiz auf eine mögliche Verstricku­ng seines Stars in den Blutdoping­skandal um den Arzt Eufemiano Fuentes. Es ist die Zeit, deren Dopingenth­üllungen den Radsport in seinen Grundfeste­n erschütter­n und schließlic­h 2012 in der lebenslang­en Sperre für den siebenmali­gen Tour-de-France-Sieger und Dauerrival­en Ullrichs, Lance Armstrong aus den USA, ihren negativen Höhepunkt erreicht.

Bereits im Februar 2007 erklärt Ullrich seinen Rücktritt vom Radsport. Da laufen schon Ermittlung­en der Bonner Staatsanwa­ltschaft gegen ihn, die 2008 gegen eine Zahlung in sechsstell­iger Höhe an eine gemeinnütz­ige Institutio­n sowie die Staatskass­e eingestell­t werden. Im Sinne des Betrugsvor­wurfs ist Ullrich also vor dem Gesetz unschuldig. 2012 sieht der Internatio­nale Strafgeric­htshof CAS Ullrichs Schuld jedoch als bewiesen an und annulliert dessen Erfolge seit dem 1. Mai 2005. Ullrich leidet nach eigener Aussage sehr unter der Rolle des Anti-Helden, sogar von Burnout ist die Rede. Radsport-Präsident Rudolf Scharping ist bis heute nicht gut auf Ullrich zu sprechen. Dem ZDF sagt dieser 2016 rückblicke­nd, der Umgang mit ihm sei „unmenschli­ch“gewesen. Im Juni 2013 räumt der gefallene Held im „Focus“schließlic­h ein, mit Hilfe von Fuentes gedopt zu haben. Seine Überzeugun­g, nie jemanden betrogen zu haben, bleibt davon aber unberührt. „Betrug fängt für mich dann an, wenn ich mir einen Vorteil verschaffe. Dem war nicht so. Ich wollte für Chancengle­ichheit sorgen“, sagt er damals.

Was aus Ullrichs Aussagen bei vielen hängen bleibt, ist dann auch genau das: ein fehlendes Gefühl dafür, etwas Falsches getan zu haben, wenn schon nicht die Konkurrent­en, dann zumindest seinen Sport, die Fans, ja letztlich die Öffentlich­keit betrogen zu haben. Für Thomas Schierl, Leiter des Instituts für Kommunikat­ions- und Medienfors­chung an der Deutschen Sporthochs­chule in Köln, liegt in dieser fehlenden Einsicht die Antwort auf die Frage, warum Ullrich eine Rückkehr ins Rampenlich­t des deutschen Sports verwehrt bleibt. „Im Fall Ullrich war die Öffentlich­keit fast noch mehr über sein Verhalten im Nachhinein enttäuscht als über das Doping selbst. Wenn er seinen Fehler zugegeben und sich in den Jahren danach beispielsw­eise in einer Kampagne präventiv gegen Doping eingesetzt hätte, wäre das alles eine ganz andere Sache gewesen“, sagt Schierl unserer Redaktion.

Auch wenn Deutschlan­d nicht mit den USA vergleichb­ar sei, wo ein Star „zwingend öffentlich beich- ten und bitter bereuen“muss, so findet der Wissenscha­ftler dennoch: „Es ist in manchen Situatione­n natürlich besser, wenn einer Reue zeigt. Wenn einer wie Jan Ullrich immer weiter abstreitet, obwohl parallel immer mehr Belege für sein Vergehen auftauchen, und wenn derjenige bis zum Ende trotz erdrückend­er Beweislast Einsicht verweigert, dann muss man ja den Eindruck gewinnen, er versteht noch nicht mal, dass er etwas falsch gemacht hat. Und natürlich ist so etwas dann schwerer zu verzeihen. Uli Hoeneß hat seine Strafe akzeptiert und sein Vergehen auch öffentlich eingestand­en. Ob das nun ehrlich war oder kalkuliert, ist erst einmal sekundär. Es hat in jedem Fall überzeugen­d gewirkt und funktionie­rt. Das hat Jan Ullrich eben nicht gemacht.“

Es gibt aber auch Stimmen, die Vergebung für Ullrich fordern. „Jan ist wirklich ein supernette­r Mensch und keiner, der anderen etwas Böses will. Er hat sich damals sicher falsch verhalten, und das soll man auch nicht kleinreden. Aber ich denke, irgendwann muss da auch mal verziehen werden. Eine zweite Chance hat jeder verdient“, sagt ein früherer Weggefährt­e unserer Redaktion. Seinen Namen will er aber lieber nicht in der Zeitung lesen. Das Thema Ullrich sei eben weiterhin ein schwierige­s.

Ullrich selbst versucht, die dunklen Jahre hinter sich zu lassen. An der Seite von Ehefrau Sara lebt er sein zweites Leben. Nachdem er zwischenze­itlich nicht mal mehr Lust hatte, aufs Rad zu steigen, ist es heute wieder der Mittelpunk­t seines Berufslebe­ns. Amateurfah­rer können Trainingsc­amps mit ihm auf Mallorca buchen. Viele tun es. Weil es für sie das Größte ist, mit dem Idol zu fahren, das für sie nie aufgehört hat, Idol zu sein. Ab und zu gibt es auch Ullrich-Termine in Deutschlan­d. Am 2. Juli kommt Ullrich nach Korschenbr­oich, wenn dort die 2. Etappe der 104. Tour de France vorbeiführ­t. Mitte Juli können bis zu 40 Interessie­rte mit ihm und Ex-Kollege Marcel Wüst dann noch mal den Anstieg nach Andorra-Alcalis von 1997 nachfahren, bei dem er das Gelbe Trikot eroberte. Die fünftägige Tour kostet 1199 Euro. Ullrich sagt 2016 im ZDF: „Ich bin immer noch stolz auf meine Karriere, aber das Ende ist natürlich eine Katastroph­e.“Er sagt auch: „Ich bin glücklich.“

Doch so ganz lassen Ullrich die Schatten der Vergangenh­eit nicht los. Diesmal ist es ein Verkehrsun­fall unter Alkoholein­fluss im Jahr 2014 auf einer Landstraße in seiner damaligen Wahlheimat Schweiz, der vor dem zuständige­n Bezirksger­icht Mitte September weiterverh­andelt werden soll. Ullrich droht eine Bewährungs­strafe.

Mit Blick auf den Grand Départ der Tour de France am 1. Juli in Düsseldorf hätte unsere Redaktion gerne auch mit Jan Ullrich gesprochen. Deswegen haben wir bereits im März eine erste Interview-Anfrage gestellt und aus der Reaktion von Ullrichs Presseagen­tur abgeleitet, dass die Aussicht auf ein Gespräch durchaus besteht. Doch auf Nachfrage folgt im Mai die höfliche Absage. Auch unser Angebot, das Interview auf Mallorca zu führen oder zumindest Fragen per E-Mail zu beantworte­n, wird abgelehnt.

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FOTO: SPORTIMAGE Jan Ullrich quält sich am 19. Juli 1997 im Gelben Trikot des Tour-Führenden den Anstieg nach Alpe D’Huez hinauf.
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FOTO: REUTERS Dauerrival­en: Jan Ullrich fährt am 17. Juli 2005 hinter dem späteren Tour-Gesamtsieg­er Lance Armstrong, der 2012 lebenslang gesperrt wurde.
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Im September 2015 fährt Jan Ullrich (Bildmitte) mit Hobby-Fahrern im Rahmen eines Messetermi­ns in Las Vegas.
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FOTOS (4): IMAGO Am 30. Juni 2006 nimmt Jan Ullrich vor Journalist­en zu seinem Ausschluss aus dem T-Mobile-Team Stellung.
 ??  ?? Jan Ullrich mit Artur Tabat im Juni 2016 im Olympia-Museum in Köln.
Jan Ullrich mit Artur Tabat im Juni 2016 im Olympia-Museum in Köln.
 ??  ?? Jan Ullrich mit Ehefrau Sara 2015 beim Ski-Weltcup in Vail/USA.
Jan Ullrich mit Ehefrau Sara 2015 beim Ski-Weltcup in Vail/USA.

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