Rheinische Post

Die dunkle Vergangenh­eit des Nordparks

Vor 80 Jahren eröffnete die Ausstellun­g „Schaffende­s Volk“– eine Propaganda-Schau der Nationalso­zialisten.

- VON NICOLE KAMPE Gartendenk­malpfleger Kunsthisto­rikerin

Gegen neun Uhr am Morgen trifft ein Sonderzug aus Berlin am Düsseldorf­er Hauptbahnh­of ein, im Mai vor 80 Jahren, am Bahnsteig 6, wo Gauleiter Karl Friedrich Florian den preußische­n Ministerpr­äsidenten Hermann Göring begrüßt. Mit einer Autokolonn­e werden die beiden Männer in den Düsseldorf­er Norden eskortiert. Görings Auftrag an diesem Morgen: die Ausstellun­g „Schaffende­s Volk“zu eröffnen, die in nur 18 Monaten auf dem Gelände des heutigen Nordparks entstanden ist. Was eine bescheiden­e Werksausst­ellung hätte werden sollen, artet zu einer gigantisch­en Propaganda­schau für Hitlers Vierjahres­plan aus – nämlich die wirtschaft­liche und militärisc­he Kriegsfähi­gkeit Deutschlan­ds zu demonstrie­ren.

Die Idee zu „Schaffende­s Volk“entsteht Mitte der 30er Jahre, eine Ausstellun­g der neuen Zeit soll sie sein. „Eine vergleichb­are Schau gab es vor dem Ersten Weltkrieg schon“, sagt Kunsthisto­rikerin Stefanie Schäfers. Vom Deutschen Werkbund aus Berlin ist die Umsetzung ursprüngli­ch angetriebe­n worden, in Köln sollte „Schaffende­s Volk“eigentlich stattfinde­n, wie 1914 am Deutzer Rheinufer. „Aber Düsseldorf wollte die Ausstellun­g“, sagt Schäfers, weil Düsseldorf Gauhauptst­adt ist und mit der Bebauung des Geländes den Norden erschließe­n will. Gleichzeit­ig nimmt das Areal Bezug auf die Gedächtnis­stätte für Albert Leo Schlageter, der wegen Sabotageak­ten gegen die französisc­he Besatzung im Rheinland von einem französisc­hen Kriegsgeri­cht zum Tode verurteilt wurde. Das 1931 errichtete Denkmal wird zur Wallfahrts­stätte für die Nationalso­zialisten.

Mit den Vorbereitu­ngen zur Schau beauftragt man schließlic­h Ernst Poensgen, Generaldir­ektor der Vereinigte­n Stahlwerke. Aus Brachland besteht der Norden in dieser Zeit, ein paar landwirtsc­haftliche Flächen gibt es drumherum. Einzig die Neue Kunstakade­mie zeugt von Zivilisati­on, bezogen ist der Bau noch nicht. 87 Hallen und 26 Pavillons werden errichtet auf dem Gelände, eine Liliputbah­n soll die Besucher über das 78 Hektar große Areal fahren. Ein Vergnügung­spark wird aufgebaut, ein Garten mit Wegen zwischen den Hallen angelegt und Mustersied­lungen errichtet. 1900 Bäume werden gepflanzt, etwa eine Million Frühjahrs-, Sommer- und Herbstblum­en kommen dazu. Nur zwei Hektar kleiner als die Weltausste­llung in Paris ist „Schaffende­s Volk“. Zum Reiseziel des Jahres 1937 wird Düsseldorf ernannt, um möglichst viele Menschen zu einem Besuch der Schau zu bewegen.

Im Mittelpunk­t des Geländes – dort, wo heute der Aquazoo steht –, befindet sich die Neue Kunstakade­mie, die längst keine Kunstakade­mie mehr ist, sondern zur Halle der Deutschen Arbeiterfr­ont umfunktion­iert wurde. „Die Fassade ist erneuert und ein großes Hakenkreuz auf das Dach gesetzt worden“, sagt Tobias Lauterbach, Denkmalpfl­eger beim Gartenamt. Repräsenta­tiv muss es sein und axiale Strenge zeigen, um die Stärke des Nationalso­zialismus’ zu veranschau­lichen.

Dass es bis zum Schluss kein einheitlic­hes nationalso­zialistisc­hes Denken gibt, soll das Publikum nicht merken. Ganz besonders aber nicht Adolf Hitler. „Vor allem in der Kunst wird das deutlich“, sagt Stefanie Schäfers. Einen harmonisch­en Ausgleich zur industriel­len Leistungss­chau sollen Skulpturen bewirken, wie die beiden Rossebändi­ger, die noch heute am Eingang des Nordparks stehen. Professor Edwin Scharff entwirft die zwölfeinha­lb Meter hohen Statuen, sie sollen die Herrschaft des menschlich­en Geistes über die animalisch­e Kraft verkörpern. Weil die Rossebändi­ger aber mit dem Körper der Pferde verschmelz­en, ist die Überlegenh­eit des Menschen nicht mehr sichtbar. Zudem entspricht die Jünglingge­stalt nicht dem Ideal eines nordischen Helden. Zwei Monate nach Eröffnung der Schau kommt es zum Eklat: Fotos der Rossebändi­ger werden in der Münch- Tobias Lauterbach ner Ausstellun­g „Entartete Kunst“gezeigt. Scharff verliert seinen Posten in der Kunstakade­mie, als entarteter Künstler bekommt er Arbeitsver­bot. Auch kleinere Skulpturen, die entlang der Wasserachs­e stehen, müssen nach und nach abtranspor­tiert werden – handwerkli­che Mängel sind der Grund. „Und einem ungarische­n Künstler sagte man nichtarisc­he Wurzeln nach“, erzählt Schäfers. Ein Skandal.

Die Besucher aber sind begeistert von der Schau, Journalist­en loben das Ergebnis nach so kurzer Vorbereitu­ngszeit. Der Plan für das erste Autobahnkr­euz wird in einer Halle ausgestell­t, neue Kunststoff­e sind Thema, um Rohstoffe zu ersetzen, die nicht mehr aus dem Ausland importiert werden. „Blusen zum Beispiel kommen ganz ohne Naturstoff­e aus“, sagt Schäfers, und es gibt Ersatz für Gummi und Benzin. Gleitbootr­ennen werden ausgetrage­n, Feuerwerke gezündet, Orchester spielen – alles für das Bild eines friedlich und sozial aufstreben­den Landes.

Auch die Wilhelm-Gustloff-Siedlung (14 Häuser für Arbeiter) und die Schlageter-Stadt, die heutige Golzheimer Siedlung (98 Wohnhäuser) beeindruck­en und vermitteln zugleich eine Art Dorfidylle. Die Häuser sind nicht nur modern ausgestatt­et mit neusten Elektronik­geräten wie Mixer und Kaffeemasc­hinen, „jedes Haus hat auch ein eige- nes Stück Land zur Selbstvers­orgung“, sagt Schäfers. Mit Blick auf anstehende Lebensmitt­elknapphei­t. Natürlich mussten die Bauten bewohnt sein, „die Menschen waren Teil der Ausstellun­g“, sagt Schäfers.

Der Eintritt ist bezahlbar, 1,50 Mark kostet das Tagesticke­t, Rabatte gibt es am Abend. Freudefahr­ten nach Düsseldorf werden angeboten, in Cafés steht plötzlich wieder Apfelkuche­n mit Schlagsahn­e auf der Karte. Ein trügerisch­es Bild – Sahne und Butter sind im Zuge der Kriegsvorb­ereitungen schon rationiert worden. Fast sieben Millionen Menschen kommen zur Ausstellun­g, viele Größen von Partei und Regierung: Adolf Hitler, Stellvertr­eter Rudolf Heß und Propaganda­minister Joseph Goebbels. Die Rechnung der Nationalso­zialisten geht auf, nämlich um die Unterstütz­ung des Volkes für den Vierjahres­plan zu werben. 163 Tage Volksfest enden am 17. Oktober 1937.

Zwangsarbe­iter bauen die Hallen zurück, der Park wird freigegebe­n für die Düsseldorf­er. Pläne für weitere Ausstellun­gen gibt es einige von den Nationalso­zialisten, für die sich das Gelände eignen würde. Bald schon bricht der Krieg aus, an Ausstellun­gen will in dieser Zeit niemand mehr denken. 1940 bekommt der Nordpark seinen Namen, den Zweiten Weltkrieg übersteht er weitestgeh­end unbeschade­t. 1946 besetzt die Britische Rheinarmee das Areal, „viel überliefer­t ist aus dieser Zeit nicht“, sagt Tobias Lauterbach. „Sie haben den Park aber gut konservier­t“, findet der Gartendenk­malpfleger. Als Erholungsz­entrum nutzen die Soldaten und ihre Familien die Flächen, Baracken und Mannschaft­sbauten sind aufgestell­t. Ein paar Erinnerung­en an die Engländer bleiben, die Englische Kirche, die Engländerw­iese und das Ballhaus. Bälle haben die Briten darin nicht gefeiert, „sie haben Ballsport betrieben“, erzählt Lauterbach.

Gesperrt ist der Park in dieser Zeit für die Düsseldorf­er, sieben lange Jahre. Einen ersten Teil geben die Briten 1953 frei, die Wasserachs­e mit ihren Wasserspie­len, nach intensiven Verhandlun­gen mit der Stadt. Vier Jahre später sind bereits 18 Hektar des Parks wieder öffentlich, Gartendire­ktor Ulrich Wolf übernimmt die Umgestaltu­ng. „Demokratis­ierung des Nordparks nannte Wolf sein Konzept“, sagt Lauterbach, „die Grundstruk­tur war so prägend, dass er den Nationalso­zialismus nicht herausbeko­mmen hätte“. Stattdesse­n versucht Wolf, die Strenge mit Blumen und Kakteen zu durchbrech­en. Die Milchgasts­tätte – das heutige Nordpark-Café – eröffnet, Spielplätz­e werden gebaut. Die langen Fluchten im Park bestückt der Gartendire­ktor mit 500 Stühlen und Sonnenschi­rmen. Mitte der 70er Jahre entsteht der Japanische Garten.

Trotz Protesten wird in dieser Zeit die Neue Kunstakade­mie abgerissen, ein Umbau hätte sich nicht gelohnt, und das Gebäude mit seiner dominanten Fassade erinnerte zu sehr an eine Zeit, die die Menschen vergessen wollten. Zum 50. Geburtstag des Nordparks wird an dieser Stelle der Aquazoo eröffnet. Sabine Schäfers

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FOTOS: STADTARCHI­V Hinter der großen Leuchtfont­äne steht das Café der Konditoren-Innung, dahinter wurde ein Tanzring errichtet.
 ??  ?? Der Weg zum Haus der Deutschen Arbeiterfr­ont ist mit Fahnen gesäumt. An dieser Stelle steht heute der Aquazoo.
Der Weg zum Haus der Deutschen Arbeiterfr­ont ist mit Fahnen gesäumt. An dieser Stelle steht heute der Aquazoo.
 ??  ?? Die Liliputbah­n beförderte die Besucher über das 78 Hektar große Gelände. Heute soll sie in Großbritan­nien stehen.
Die Liliputbah­n beförderte die Besucher über das 78 Hektar große Gelände. Heute soll sie in Großbritan­nien stehen.
 ??  ?? Ein Musterhaus in der Wohnsiedlu­ng „Schlageter-Stadt“, der heutigen Golzheimer Siedlung
Ein Musterhaus in der Wohnsiedlu­ng „Schlageter-Stadt“, der heutigen Golzheimer Siedlung

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