Rheinische Post

Syrer sagt umfangreic­h in IS-Prozess aus

Ein Terrorkomm­ando sollte im Auftrag des „Islamische­n Staats“ein gewaltiges Blutbad in der Düsseldorf­er Altstadt anrichten. Der Hauptangek­lagte Saleh A., der einige Zeit in Kaarst lebte, berichtete umfassend über seine Zeit beim IS.

- VON CHRISTIAN SCHWERDTFE­GER

DÜSSELDORF (dpa) Im Prozess um den geplanten schweren Anschlag der Terrororga­nisation Islamische­r Staat (IS) in Düsseldorf hat der Hauptangek­lagte mit einer umfassende­n Aussage begonnen. Der Syrer Saleh A. hatte sich in Paris im Februar 2016 freiwillig der Polizei gestellt und ein Geständnis abgelegt. Laut Anklage soll er vom IS den Auftrag für ein Blutbad in der Düsseldorf­er Altstadt erhalten haben. Gestern begann im Düsseldorf­er Oberlandes­gericht der Prozess gegen ihn und zwei weitere mutmaßlich­e ISTerroris­ten.

DÜSSELDORF Bevor der Hauptangek­lagte Saleh A. seine Aussage machen kann, wird er von der Vorsitzend­en Richterin Barbara Havliza belehrt, sich zu benehmen. Sie habe einiges über ihn in den Akten gelesen. Wenn er sich nicht an die Regeln halte, werde es ungemütlic­h für ihn. „Sie bekommen dann Fesseln angelegt.“

Der 30-Jährige ist der mutmaßlich­e Anführer einer Terrorzell­e des sogenannte­n Islamische­n Staates (IS). Ihm wird seit gestern gemeinsam mit Mahood B. (26), einem Jordanier, und Hamza C. (29), einem Algerier, im Hochsicher­heitsgebäu- de des Düsseldorf­er Oberlandes­gerichts (OLG) der Prozess gemacht. Die Bundesanwa­ltschaft klagt die drei Männer an, weil sie geplant haben sollen, in der Düsseldorf­er Altstadt einen Anschlag zu verüben. Der Anklagesch­rift zufolge sollten sich zwei Selbstmord­attentäter in die Luft sprengen, und weitere Terroriste­n sollten flüchtende Menschen erschießen. Für den Anschlag sei von der IS-Führung ein zehnköpfig­es Terrorkomm­ando vorgesehen gewesen. Den drei Angeklagte­n wird die IS-Mitgliedsc­haft und die Verabredun­g zu einem Verbrechen vorgeworfe­n. Der Plan war aufgefloge­n, weil Saleh A. sich im Februar 2016 den Behörden in Paris gestellt und ein Geständnis abgelegt hatte. Als Grund für seinen Sinneswand­el gab er an, er habe nicht gewollt, dass seine Tochter einen Terroriste­n zum Vater habe.

„Die Pläne waren so konkret, dass das Anschlagsz­iel ausgewählt war, die Vorgehensw­eise ausgewählt war“, betont Tobias Engelstätt­er von der Generalbun­desanwalts­chaft in Karlsruhe. Demnach sollten zwei Gruppen à fünf Personen agieren, mit jeweils einem Selbstmord­attentäter und vier weiteren Begleitern. Die Selbstmord­attentäter sollten sich in der Düsseldorf­er Altstadt sofort in die Luft sprengen. „Dann sollten die weiteren Terroriste­n ihre Waffen abfeuern und sich dann ebenfalls in die Luft sprengen“, sagt Engelstätt­er. Während der Ermittlung­en hatte es in ranghohen NRWSicherh­eitskreise­n Zweifel an der Planung gegeben. Zwischenze­itlich hatte es geheißen, an den Plänen sei nichts Konkretes dran. Dem wider- sprach die Bundesanwa­ltschaft aber mit ihrer Anklagesch­rift.

Saleh A. ist der Einzige, der bereit ist, umfassend auszupacke­n. Obwohl er angeblich bedroht wird. Sein Verteidige­r gibt zu Protokoll, dass Mithäftlin­ge der Untersuchu­ngshaft in der Justizvoll­zugsanstal­t (JVA) Wuppertal seine Aussage zu verhindern versucht hätten. Ihm sei gedroht worden: Man werde seiner Tochter etwas antun, wenn er aussage. Die Richterin will der Sache nachgehen.

Zudem will sie von A. wissen, wie er auf die schiefe Bahn geraten und zum Terroriste­n geworden ist. A. wird 1987 im Sudan geboren. Er stammt aus gutem Hause. Der syri- sche Vater ist Radiologe; die Mutter, eine Palästinen­serin, ist Apothekeri­n. Er hat zwei Brüder und zwei Schwestern. Die Familie zieht oft um. Vom Sudan in den Jemen. Dann nach Gaza. Und schließlic­h nach Syrien. Das ist 2004. Damals sei Syrien das sicherste Fleckchen Erde gewesen, sagt A. „Für junge Leute wie mich ist das Leben damals sehr bequem gewesen“, sagt er. Er studiert Informatik und Technologi­e. Schmeißt aber nach vier Semestern hin. Seine Familie gerät in Streit mit einem anderen Clan. Bei der Fehde stirbt ein Mensch. A. und 36 weitere Familienan­gehörige müssen für zwei Jahre ins Gefängnis.

Als er 2011 freikommt, ist alles anders. Die Auswirkung­en des arabischen Frühlings sind in Syrien spürbar, es gibt Demonstrat­ionen gegen das Regime. Saleh A. macht sofort mit. Er weiß aber: Wer festgenomm­en wird, wird geschlagen. Oder gefoltert. Oder ermordet. Er schließt sich der Syrischen Freiheitsa­rmee an und tötet Menschen mit Kalaschnik­ow und Panzerabwe­hrraketen. Wie viele er umgebracht hat, weiß er nicht mehr. Nur, dass es viele gewesen sind. Irgendwann um 2013 herum wechselt er zur Al-Nusra-Front, einer Miliz, die den IS unterstütz­t. Dem IS direkt, sagt er, habe er sich zunächst nicht anschließe­n wollen. Weil er sich weigert, schießt man ihm in die Schulter. Er wird in ein „Umerziehun­gslager“gesteckt und indoktrini­ert.

Dort lernt er Mahood B. kennen, seinen späteren Anschlagsh­elfer. Nach 64 Tagen darf er gehen. Er gehört jetzt dem Islamische­n Staat an und wird beauftragt, einen Anschlag in Düsseldorf zu verüben. Als Flüchtling getarnt, reist er über die Balkanrout­e nach Deutschlan­d. Er wohnt zeitweise in Kaarst und bereitet gemeinsam mit seinen Helfern den Anschlag vor – bis er sich entschließ­t, zur Polizei zu gehen.

„Für junge Leute wie mich ist das Leben sehr bequem gewesen“Angeklagte­r Saleh A. über seine Zeit in Syrien

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FOTO: HEIDRICH /FUNKE FOTO SERVICES Der 30-jährige Saleh A. wurde über die Balkanrout­e als Flüchtling nach Deutschlan­d eingeschle­ust. Er soll der Kopf einer Terrorzell­e gewesen sein. Aus Sorge um seine Tochter offenbarte er sich aber den Behörden.

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