Rheinische Post

Die Regie führt diesmal ein Halbgott

Über die Neuinszeni­erung von Richard Wagners „Rheingold“wurde im Ibach-Saal des Stadtmuseu­ms gestritten.

- VON CLAUS CLEMENS

Die erste Premiere des neuen „Ring“der Rheinoper ging insgesamt geräuschlo­s über die Bühne, auch wenn man vereinzelt­e Buhrufe hörte. Der Richard-Wagner-Verband nahm die Inszenieru­ng von Dietrich W. Hilsdorf zum Anlass, einen öffentlich­en Dialog zu veranstalt­en. Im gut gefüllten Ibach-Saal des Stadtmuseu­ms traf das Publikum auf drei Experten: Hella Bartnig, Chefdramat­urgin der Rheinoper, Wolfram Goertz, Musikredak­teur der Rheinische­n Post, und Jürgen Schläder, ehemals Professor für Musiktheat­er an der Münchner Universitä­t.

„Düsseldorf hat 25 Jahre auf diesen Ring gewartet“, hieß es zu Beginn, und nun wollte man herausfind­en, wie „Rheingold“, der Vorabend des Bühnenfest­spiels, bei den Opernbesuc­hern bisher angekommen ist. Im Publikum gaben sich drei unterschie­dliche Gruppen zu erkennen. Die erste wollte sich ihre Eindrücke „einfach mal von der Seele reden“. Die zweite bestand aus erfahrenen Wagneriane­rn, meist auch Mitglieder des WagnerVerb­ands, und konnte Vergleiche zu früheren Inszenieru­ngen ziehen. Bei einer kleinen dritten Gruppe stand der Opernbesuc­h noch bevor, sie erwartete vor allem Hintergrun­dwissen.

„Es geht nicht darum, was der Regisseur gedacht hat, sondern was Sie selbst empfinden“, ermunterte Schläder die Gäste im Ibach-Saal. Danach ging es eine ganze lange Weile um die Eingangssz­ene. „Aus den Tiefen des Es-Dur-Dreiklange­s entsteht zu Beginn des ,Rheingold’ die Welt der gesamten ,Ring’-Tetralogie“, heißt es im Programmhe­ft. Diese Tonart und das Heine-Zitat: „Ich weiß nicht, was soll es bedeuten“führten zu angeregtem Wortwechse­l.

Die zweite Debatte entzündete sich an der Frage, warum in dieser Inszenieru­ng die Rolle des Halbgottes namens Loge so sehr in den Mittelpunk­t gerückt wurde. Wie ein allmächtig­er Theaterreg­isseur, so hieß es, beherrsche er das Geschehen. Hierbei zeigte sich ein alter Konflikt unter Theaterbes­uchern, egal ob Schauspiel oder Oper. Die einen fordern Texttreue ein, „ein Reclamheft­chen mit Musik und Beleuchtun­g“, wie das einmal ein Dramaturg spöttisch formuliert­e. Ihre Begründung: Nur wer ein Stück wenigstens einmal „ohne Schnicksch­nack“gesehen habe, könne dann die Launen der Regisseure sinnvoll einordnen. Die anderen sehen sich in dieser Frage ein paar Erkenntnis­stufen weiter.

Natürlich waren unter den Gästen auch solche, die den „Grünen Hügel“aus eigener Anschauung kennen. Einige hatten dort sogar 1976 den „Jahrhunder­tring“von Patrice Chéreau gesehen. Der damals erst 31-jährige Franzose ging davon aus, dass Wagner seine eigene Zeit im Gewand des Nibelungen-Mythos spiegelte und durch diese poetische Verfremdun­g die ökonomisch­en und geistigen Umbrüche des 19. Jahrhunder­ts umso präziser fassen konnte. In der aktuellen „Rheingold“-Frage konnten die Experten helfen. Hella Bartnig und Wolfram Goertz hatten bereits während der Probenzeit mit Hilsdorf über bestimmte Details seiner Inszenieru­ng gesprochen. Die Chefdramat­urgin: „Für Hilsdorf ist das Schwierige, dass alle immer schon alles wissen.“

Nach gut zwei Stunden endete der lebhafte Dialog. Mit Reich-Ranickis Brecht-Zitat könnte man resümieren: „Und so sehen wir betroffen, den Vorhang zu und alle Fragen offen.“

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RP-FOTO: ANNE ORTHEN Besucher und Experten im Gespräch über „Rheingold“.

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