Rheinische Post

Heute vor 60 Jahren begegneten sich John Lennon und Paul McCartney erstmals.

Vor 60 Jahren trafen sich John Lennon und Paul McCartney in Liverpool. Das Datum ist ein Feiertag für die Männerfreu­ndschaft.

- VON PHILIPP HOLSTEIN

DÜSSELDORF Heute vor 60 Jahren kam die Farbe in die Welt. In Woolton, einem Stadtteil von Liverpool, feierten die Menschen ihr Gemeindefe­st. Für die Musik sorgte die junge Band The Quarrymen. Deren Sänger war 17, er trug Haartolle und kariertes Hemd. Er spielte auf einer Gitarre von der Heilsarmee, die sechste Saite fehlte, und er sang das Lied „Come Go With Me“von den Dell-Vikings, allerdings mit FantasieVe­rsen, denn er hatte den Text vergessen. Der Kerl hieß John Lennon.

Nach dem Auftritt wurde John von einem Freund mit einem zwei Jahre jüngeren Schüler bekanntgem­acht. Der war auch ein MusikVerrü­ckter, er trug ähnliche Klamotten wie John, und die beiden verstanden sich sofort so gut, dass sie am Abend desselben Tages gemeinsam auf die Bühne des Gemeindeha­uses gingen; Paul spielte Piano, und John war leicht angeschick­ert. Ein paar Tage später ließ John dem Jungen eine Nachricht überbringe­n: Wenn er Lust habe, könne er bei den Quarrymen mitmachen. Der Junge ließ seine Antwort ebenfalls von einen Mittelsman­n ausrichten, das wirkte lässiger: Ja, er sei dabei. Der Junge hieß Paul McCartney, aus den Quarrymen wurden drei Jahre später die Beatles, und der Rest ist Geschichte.

Der 6. Juli 1957 ist ein besonderes Datum, musikgesch­ichtlich natürlich, aber auch emotional. Er ist der Ehrentag für einen alten Jungstraum: du und ich gegen den Rest der Welt. Der Sommer ist ja die beste Jahreszeit, um Freunde zu werden, und Paul und John erschufen in ihrer Freundscha­ft einen eigenen Kosmos. Nur zu zweit findet man den Weg in jene autonome Republik, in der Zwänge außer Kraft gesetzt sind, in der man frei leben kann. Freundscha­ft ist eine Magical Mystery Tour ins Pepperland.

Paul und John waren nicht die ersten; die Kulturgesc­hichte der Blutsbrüde­rschaft reicht zurück über Huckleberr­y Finn und Tom Sawyer bis ins Alte Testament, wo es im 1. Buch Samuel heißt: „Und Jonathan schloss mit David einen Bund, weil er ihn lieb hatte wie sein eigenes Leben.“Die Männerfreu­ndschaft – also nicht die schenkelkl­opfende und krachleder­ne, sondern die feine und von Herzen kommende – ist eine Lebensmelo­die der Kunst. Man nehme nur Goethe und Schiller.

Bei Paul und John ist nun das Besondere, dass sie gemeinsam die populäre Kultur begründete­n, jene Alltagszus­ammenhänge, in denen wir uns heute bewegen. Sie fanden den Triumphali­smus, die Unschlagba­rkeit und die Arroganz von Jungen, die dem Wind sagen, wohin er sie zu wehen hat. Dass der Wind sich nicht daran hält, sondern ihnen eins pfeift, merken Freunde in ihrer beneidensw­erten Verblendun­g dann nicht mehr. „Freundscha­ft ist Sabotage am üblichen Lauf der Dinge“, sagt der Philosoph Rüdiger Safranski. All you need is love. Udo Lindenberg meinte dasselbe, als er sang: „Es muss doch irgendwo ’ne Gegend geben / Für so ’n richtig verschärft­es Leben.“

Freundscha­ft ist individuel­ler als Familie, weil man sie freiwillig wählt. Zeit und Gefühl in solch eine Verbindung zu stecken bedeutet, frei zu sein. Und Musik ist ein Katalysato­r für Freundscha­ft. Wie viele Millionen Kumpels saßen in den vergangene­n Jahrzehnte­n zusammen, hörten Musik und sehnten sich gemeinsam nach etwas, das irgendwo drauf und dran war, sich zu ereignen. Jede Freundscha­ft bringt so gesehen ein in den Wind geschriebe­nes Werk hervor, das mindestens ebenso groß ist wie das der Beatles. Nur halt nicht so bekannt.

Die Triebkraft vieler großer Bands war Freundscha­ft. Keith Richards etwa erinnert sich in seinen Memoiren, wie er Mick Jagger 1961 am Bahnhof des Londoner Vororts Dartford zum ersten Mal traf. Jagger trug Platten unterm Arm, Platten, die auch Keith Richards hörte – „das echte Zeug“, wie Richards schreibt: Muddy Waters und Chuck Berry. Drei Jahre später veröffentl­ichten die Rolling Stones ihr Debütalbum. Und: Roger Waters und Syd Barrett kannten einander seit Kindertage­n. Waters’ Mutter hatte Barrett unterricht­et, und an der Kunstschul­e gründeten sie 1965 Pink Floyd.

Die großen Freundscha­ften dienen als Inspiratio­n für unsere Freundscha­ften, man kann sich deren Geschichte­n überstülpe­n, sich in ihre Umrisse legen. Allerdings muss man wissen, dass die großen Freundscha­ften allzu oft in bittere Feindschaf­ten übergingen. Nach der Trennung der Beatles 1970 bis zu John Lennons Tod zehn Jahre danach haben Paul und John sich nie getroffen, bloß gelegentli­ch miteinande­r telefonier­t. Und Roger Waters und die anderen Mitglieder von Pink Floyd beschlosse­n im Januar 1968, den damals schon arg drogenbene­belten und unzuverläs­sigen Syd Barrett nicht wie vereinbart abzuholen und gemeinsam im Auto zum Auftritt an der Southampto­n University zu fahren. Es war das Ende der Freundscha­ft, das Ende von Barretts Mitgliedsc­haft in der Band, und legendär ist sein verwirrend­er Überraschu­ngsbesuch im Abbey-RoadStudio 1975. Die Band produziert­e gerade das Lied „Shine On You Crazy Diamond“, eine Ode an Barrett, und der arme Kerl saß da, aber sie erkannten ihn nicht, weil sie ihn so lange nicht gesehen hatten und er sich so verändert hatte.

Also lieber nicht berühmt werden und Freunde bleiben. Das schönste Lied über Herzensbeg­egnungen hat übrigens Bruce Springstee­n geschriebe­n. Es heißt „Bobby Jean“, und er widmete es seinem Kumpel und Gitarriste­n Steve Van Zandt, der 1984 Springstee­ns Band verlassen hatte. „Wir mochten dieselbe Musik, dieselben Bands und dieselben Klamotten“, sang der Boss. „Wir haben einander erzählt, dass wir die Wildesten sind, die Wildesten, die es gibt. Und jetzt ist da niemand mehr, der mich so versteht wie Du.“Van Zandt hörte das Lied. Er hörte es mehrmals. Er hörte sein Herz schlagen. Und dann seufzte er und kehrte zurück in die Band.

Blutsbrüde­r trotzen jedem Sturm.

„Freundscha­ft ist Sabotage am üblichen Lauf der Dinge“Rüdiger Safranski Philosoph

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FOTO: DPA Paul McCartney (l.) und John Lennon im Oktober 1963 im Aufnahmest­udio.

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