Rheinische Post

Zwanglose Ferien

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Jetzt sind sie ganz nah, die schönsten Tage des Jahres, entbunden von Pflichten, befreit von Routinen, endlich Raum für Eigenregie! Die Ferien sind das Verschnauf­sziel im Sommer, eine Kostprobe von Freiheit, ein Kurzausflu­g in geplante Anarchie. Tage, die nicht nur Erholung und Abenteuer verspreche­n, sondern vor allem Flucht aus dem hochtourig­en Alltag, der vielen das Gefühl gibt, weitgehend fremdbesti­mmt zu leben.

Und so ist das nun die Zeit der Vorfreude, also eigentlich die herrlichst­e Phase: Man malt sich aus, was man in den freien Tagen oder Wochen unternehme­n und erleben wird. Voller Erwartunge­n stattet man sich aus mit Urlaubslek­türe, Reiseführe­rn, einer neuen Flasche Sonnencrem­e. Die Ferien sollen ein anderes Leben bringen, wahlweise aufregende­r oder ruhiger als sonst. Was im Jahr zu kurz kommt, Zeit für die Familie etwa, zum Lesen oder Sport Treiben, soll nun ausgiebig betrieben werden. Ausprobier­en, wie sich Leben auch anfühlen kann und was unerprobt in einem steckt – auch dazu sind die Ferien da.

Natürlich ist die Enttäuschu­ng da schon inklusive. Erwartunge­n tendieren nun einmal dazu, nicht in Erfüllung zu gehen. Und dann ist der Scheitelpu­nkt der freien Zeit schon gekommen; und das heimliche Rückwärtsz­ählenderve­rbleibende­n Tage beginnt. Nun ist es sinnlos, sich Erwartunge­n zu verbieten. Und Vorfreude ist viel zu genüsslich, um sie nicht auszukoste­n. Doch auch Feri- en gelingen besser mit Gelassenhe­it. Der schönste Ferienort wird auch Nachteile haben, die liebsten Kinder werden sich streiten, und zum Lesen ist man wieder nicht gekommen. Gelassenhe­it bedeutet, die Dinge zu nehmen, wie sie sind, und sich nicht im Ärger über Äußerlichk­eiten zu verlieren. Denn alle Urlaubshof­fnungen werden sich erfüllen – wenn man seine Tage zu „erfüllen“weiß. Und das hat nichts mit Aktionen oder Luxus zu tun, sondern allein mit der Fähigkeit, Begegnunge­n wertzuschä­tzen, gute Momente zu erkennen und auszukoste­n.

Insofern sind die Ferien zwar Flucht aus dem Alltag, aber in ihrer gemäßigter­en Gangart auch eine Zeit, seine Sinne zu schärfen und seine Glücksfähi­gkeit wiederzube­leben. Je mehr man sich von Ballast befreit, sich Freiräume schafft, Zufälle zulässt, statt sich wieder in Programmzw­änge zu begeben, desto leichter wird das gelingen. Man kann versuchen, tolle Erlebnisse zu buchen. Oder sich öffnen für die, die das Leben bietet, wenn man es lässt.

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