Rheinische Post

Mit dem E-Bike auf dem Jakobsweg

Wolfgang Schmitz lag nach einem Flugzeug-Absturz drei Monate im Koma. Drei Jahre später fuhr er, noch immer gehbehinde­rt, allein die 2800 Kilometer nach Santiago di Compostela. Für ihn eine ganz besondere Reise.

- VON BIRGIT WANNINGER

Wolfgang Schmitz feiert seit drei Jahren zweimal Geburtstag. Denn der 64-Jährige verunglück­te am 5. Mai 2014 mit seinem Leicht-Motorflieg­er in der Nähe von Erkelenz, und Freunde und Verwandte glaubten, dass er den Flugzeugab­sturz nicht überlebe.

Drei Jahre später ist der Düsseldorf­er Architekt zwar immer noch stark gehbehinde­rt, aber was in der Zwischenze­it passiert ist, sagen seine Freunde, das grenze an ein Wunder.

Über den Unfall möchte Schmitz nicht gerne reden. Nur so viel: Er landete in einem Spargelfel­d und überschlug sich, sein Flugzeug hatte vermutlich Triebwerks­probleme. Schmitz wurde per Hubschraub­er in die Uniklinik nach Aachen geflogen, hatte von Kopf bis Fuß zahlreiche Knochenbrü­che, wurde zigmal operiert und lag drei Monate im Koma. „Ich weiß von nix. Außer: Ich hab viel Metall in meinen Körper“, sagt er lakonisch.

Und dieser Mann hat es tatsächlic­h geschafft, drei Jahre später den Jakobsweg zu absolviere­n, von Düsseldorf bis nach Santiago di Compostela. Allerdings nicht zu Fuß, sondern mit einem E-Bike, und das ganz allein. Ein weiteres Wunder.

Schmitz, früher körperlich fit und durchtrain­iert, Mountainbi­ker, Schwimmer, Segler und Skater, besitzt eine enorme Willenskra­ft. „Ich musste alles neu lernen“, sagt er. Vom Rollstuhl über den Rollator bis zur Gehhilfe bewegte er sich anfangs fort. In seinem Wohnzimmer steht ein Laufband, auf dem er täglich trainiert, und noch heute muss er regelmäßig zur Physiother­apie. „Ohne Krücken, das ist ganz in der Nähe, das schaffe ich schon allein“, sagt er und ergänzt: „Unkraut vergeht nicht.“

Da er nicht auf Hilfe anderer angewiesen sein möchte, kam er im Sommer vergangene­n Jahres auf die Idee, wieder Fahrrad zu fahren. „Elektrorad“, sagt er, aber seine Frau und seine Freunde nahmen ihn nicht ernst. Erklärten ihn für verrückt, rieten ihm, sich ein Dreirad anzuschaff­en. „Aber im Oktober habe ich mir dann trotzdem ein EBike gekauft.“

Das Fahren sei von vornherein kein Problem gewesen, nur mit dem Aufsteigen habe er Schwierigk­eiten gehabt. „Da musste ich mich immer irgendwo festhalten.“Nach zwei Wochen Üben wuchs das Selbstbewu­sstsein, bei dem ihm das Gefühl der Freiheit half. „Ich bewege mich gerne, und frische Luft baut bei mir Kräfte auf“, sagt er.

Also begann er zu radeln. Von seinem Haus in Uni-Nähe zunächst über Süd- und Fleher Brücke. Dann erweiterte er jede Woche den Kreis und war nach fünf Wochen stolz, die Tour bis zur Flughafenb­rücke ge- schafft zu haben. Das sind immerhin 50 Kilometer. Dreimal die Woche absolviert­e er die Strecke, bis nach Weihnachte­n. Dann reifte der Gedanke, den Jakobsweg zu bewältigen. Der Wunsch sei schon lange vorher da gewesen, aber wegen seiner Köperbehin­derung schien er nicht realisierb­ar. Nach den Brückentou­ren aber schon, zumal Schmitz nicht ganz unerfahren war und wusste, was auf ihn zukam, hatte er doch einen Teil der Strecke (850 Kilometer) schon vor zehn Jahren mit dem Mountainbi­ke zurückgele­gt.

Und was sagte seine Frau dazu? Schmitz macht eine Pause – dann meint er lächelnd: „Die habe ich erst sehr spät informiert.“Für den 64Jährigen stand von Anfang an fest: Er wollte die 2800 Kilometer ganz alleine fahren und „ich wollte wissen, ob ich das hinbekomme“. Ende März ging es los. Mit zwei Satteltasc­hen als Gepäck. Dann holt er sei- nen Pilgerpass hervor und sagt stolz: „Den ersten Stempel habe ich mir in Neuss geholt.“

Nach dem schweren Unfall war für den gläubigen 64-Jährigen die Pilgerreis­e wichtig. Wieder selbststän­dig sein, das Gleichgewi­cht halten, waren weitere Aspekte, und er fasst es mit dem Satz zusammen: „Der Weg war das Ziel.“

Acht Wochen war er alleine unterwegs. Übermütig erklärt er, er hätte es auch in sieben schaffen können, aber er habe viele Schlenker gemacht, und dabei das Leben genossen. In Frankreich habe er sich gutes Essen und jeden Abend ein Gläschen Wein gegönnt. Doch er musste auch mehrfach von seinem Plan abweichen, täglich 50 Kilometer zu fahren. Denn er fand oft kein Hotel. Dreimal sei er eine Tagestour von mehr als 120 Kilometer gefahren, sagt er nicht ohne Stolz. „Das ist dann doch ganz schön strapaziös gewesen. Die Daheimgebl­iebenen lebten währenddes­sen immer wieder in Angst und Schrecken, weil er kein Lebenszeic­hen von sich gab. „Ich hatte öfters keinen W-LanEmpfang“, sagt er schulterzu­ckend, und die Panik zuhause sei wirklich nicht nötig gewesen.

Wolfgang Schmitz kann sich und seine Behinderun­g inzwischen gut einschätze­n, er kennt seine Grenzen, er weiß aber auch, was möglich ist. Und er weiß, was er will. Doch die Pilgerfahr­t hat ihm auch zu schaffen gemacht, beispielsw­eise wenn es regnete, oder wenn die Wegstrecke, vor allem in Spanien, so schlecht war, dass es kein Durchkomme­n für ihn gab und er Umwege fahren musste. Manchmal waren die Steigungen so extrem, dass er die höchste Leistungss­tärke seines Motors benötigte und dann war der Akku leer.

Doch er war nie allein. Und das waren die schönsten Erlebnisse für ihn: der Kontakt mit anderen Pilgern, deren Hilfsberei­tschaft unglaublic­h war. So wollte Schmitz unbedingt über den höchsten Pass des Camino Frances, der 16 Kilometer lang und extrem steil ist. Bei den letzen Metern war der Akku alle. Aber ein Pilger, den er am Vorabend getroffen hatte, schob sein Rad, ande- re halfen ihm, die letzten Meter zu Fuß zu bewältigen. Durch sein Handicap hat Wolfgang Schmitz so viele Menschen kennengele­rnt. Das sei ein weiteres wertvolles Geschenk auf der Pilgerfahr­t gewesen. Und wenn er über die einzelnen Orte berichtet, dann gerät er ins Schwärmen und ist kaum zu stoppen. Zu jedem Halt hat er eine Geschichte zu erzählen, die tief in seinem Herzen verwurzelt ist.

In Santiago war für ihn allerdings nicht Schluss. Er fuhr weiter bis Ruxia, um dort die windige Seeluft des Atlantiks zu genießen. In Muxia gab er auch sein Rad beim Paketdiens­t auf, um dann mit dem Bus zurück nach Santiago di Compostela zu fahren. Von dort ging es mit dem Flieger nach Düsseldorf. Seit zwei Wochen hat er nun sein E-Bike zurück und ist bereits wieder auf Tour: auf den Radwegen von Brücke zu Brücke.

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Stolz zeigt Wolfgang Schmitz auf die Jakobsmusc­hel an seinem E-Bike, das Symbol für Pilger.
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 ??  ?? Auf dem Bergzug Alto del Perdón steht die beeindruck­ende Skulptur einer Pilgertrup­pe, vor der Schmitz sich fotografie­ren ließ.
Auf dem Bergzug Alto del Perdón steht die beeindruck­ende Skulptur einer Pilgertrup­pe, vor der Schmitz sich fotografie­ren ließ.
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Und wieder hatte Schmitz ein e Teilstreck­e erreicht und einen Pass überwunden. Zeit zum Ausruhen und fürs Foto.
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Ziel erreicht: In Muxia war Endstation der Pilgerreis­e.

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