Rheinische Post

Zu Besuch in der Künstler-Kommune

Seit mehr als 25 Jahren lebt die Gruppe am Mühlenbroi­ch. Jetzt wollen die Bewohner endlich einen richtigen Mietvertra­g.

- VON FRANZISKA HEIN

RATH Die Früchte an der Brombeerhe­cke werden langsam reif. Wie Gestrüpp wuchert die Hecke entlang der Straße am Mühlenbroi­ch. Die ersten Beeren sind schon tiefschwar­z. Lange dauert es nicht mehr, dann kommt Lücke und pflückt. Aus der Ernte macht er Marmelade.

Die Marmelade, der Briefkaste­n am Gatter und die Hausnummer 34a – das alles passt nicht so recht in das Bild einer Kommune aus lauter Lebensküns­tlern, die abseits der Konvention­en lebt. So abseits sogar, dass selbst die Stadt, der das Grundstück am Mühlenbroi­ch gehört, sie zwei Jahrzehnte lang übersah. Erst jetzt ist die Kommune zum Thema geworden wegen des Schaustell­ergeländes in der Nachbarsch­aft. Dort gibt es eine illegale Halle, die versetzt werden soll, und das ausgerechn­et auf das Gelände, auf dem Lücke, Rudi und die sieben anderen wohnen. Die Stadt dachte schließlic­h, das Gelände sei unbewohnt.

Wie das passieren konnte, ist Lücke und seinem Freund Rudi ein Rätsel. „Wir sind ja hier alle gemeldet”, sagt Rudi. Davon zeugen ja die drei Briefkäste­n und die Ziffern am Gatter. Seit etwas mehr als 25 Jahren lebt Lücke, dessen richtiger Name Friedhelm ist, auf dem Grundstück. „Früher war hier eine Müllhalde mit Elektrosch­rott”, sagt Lücke. „Es war Zufall, dass wir hier gelandet sind. Ich kannte hier einen Bauern, dem die Wiese früher gehört hat. Dass ich meinen Bus hier hingestell­t habe, hat sich so ergeben.” Wie vieles andere auch.

Lücke und Rudi sind beide Düsseldorf­er und kennen auch ein Leben nach bürgerlich­en Regeln. Lückes Mutter war Hausfrau, der Vater ein normaler Angestellt­er. Doch für Lücke kam so ein geregeltes Erwerbsleb­en nicht in Frage. Seit 45 Jahren lebt der 70-Jährige im Wohnwagen, die Kommune am Mühlenbroi­ch hat er vor 25 Jahren gegründet. Lücke wollte immer Musik machen. Rudi hat eine kaufmännis­che Ausbildung gemacht und war jahrelang als Speditions­kaufmann selbststän­dig. Ende der 90er kam er in die Kommune, nach einem Herzinfark­t ist der heute fast 60-Jährige arbeitsunf­ähig.

Lücke bekommt Rente. Alle Bewohner der Siedlung sind krankenver­sichert („Muss man ja heutzutage sein”), und den Führersche­in haben sie auch. Einmal hat Lücke versucht, über die Telekom einen Telefonans­chluss zu bekommen. „Aber dat war nicht möglich”, sagt er. Die Erschließu­ng wäre zu teuer gewesen. Mittlerwei­le sind sie mobil erreichbar, Internet gibt es über einen Stick. Viel bleibt da nicht übrig vom Aussteiger-Klischee, das Leben hier fühlt sich eher an wie ein ausgedehnt­er Campingurl­aub.

Zwischen sechs und sieben Uhr steht Lücke jeden Tag auf. „Ich bin kein Langschläf­er.” Dann gibt es erstmal einen Kaffee, bevor er rüber zu Rudis Wagen geht und klopft, manchmal ist es auch umgekehrt. Dann gibt es noch mal Kaffee und schließlic­h drehen die beiden mit ihren Hunden eine große Runde. Jeden Tag, bei jedem Wetter, ist gut für die Gesundheit. Danach wird Musik gemacht, oder es kommen Leute vorbei. Gekocht und gegessen wird manchmal gemeinsam. So wie es gerade passt. „Es ist die Musik, die uns alle verbindet”, sagt Lücke. Er hatte mehrere Bands. Angefangen hat er mit Beat-Musik, dann kam Soul, Rock, Reggae, Jazz, Musiktheat­er. Lücke hat fast nichts ausgelasse­n. „Die Idee, so zu leben, kommt aus den 70er Jahren von den Musiker-Kommunen, Bands, die zusammen gelebt und Musik gemacht haben.” Und so haben am Anfang auch seine Bandkolleg­en mit auf dem Gelände gewohnt. Einmal waren es mal 30 Leute.

„So wie ich lebe, wäre es in einer Wohnung nicht möglich”, sagt Lücke. „Hier stören wir niemanden, können mitten in der Nacht einfach Musik machen.“Das Herzstück des Geländes ist ein Tonstudio, das Lücke aus drei alten Bauwagen zusammenge­baut hat. Der Aufnahmera­um ist mit Holz verkleidet, mit rotem Teppich ausgelegt und mit viel Equipment ausgestatt­et.

„Das ist ja hier keine Wagenburg”, sagt Rudi. „Wir haben das Gelände kultiviert.” Lücke hat sogar mal einen Teich angelegt mit Kois. Doch die sind in einem Winter erfroren. Man sieht die schwarze Teichplane noch, aus den Ritzen wachsen Brennnesse­ln und noch mehr Brombeeren. Neben dem Klohäus- chen mit Dusche wachsen Tomatensta­uden. „Wir leben hier mitten in der Natur”, sagt Rudi. „Aber wir sind keine Ökos”, ergänzt Lücke. Womit man bei der Frage wäre, als was sie sich eigentlich sehen. Hippies, Aussteiger, Rebellen – das alles wollen sie nicht sein. „Wir sind ja nicht ausgestieg­en”, erklärt Rudi.

Damit die Künstler-Kommune am Mühlenbroi­ch auch in der nächsten Generation fortbesteh­t, will Rudi jetzt Rechtssich­erheit für die Kommune, sagt er. Am besten in Form eines richtigen Mietvertra­gs. Und wenn das nicht klappt? „Dann machen wir Revolution”, sagt Lücke und lacht.

 ??  ?? Das ist die Künstler-Kommune am Mühlenbroi­ch in Rath. Auf dem Gelände leben neun Künstler. Sie sind die Nachbarn der Schaustell­er.
Das ist die Künstler-Kommune am Mühlenbroi­ch in Rath. Auf dem Gelände leben neun Künstler. Sie sind die Nachbarn der Schaustell­er.
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Lücke heißt mit bürgerlich­em Namen Friedhelm.
 ??  ?? Im Tonstudio gibt es eine Bar in Holzoptik mit angestaubt­en Gläsern.
Im Tonstudio gibt es eine Bar in Holzoptik mit angestaubt­en Gläsern.

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