Rheinische Post

Wie richtig fürs Alter vorsorgen? Unsere mehrteilig­e Renten-Serie gibt Antworten.

Die Vorsitzend­e des Vorstands der Deutschen Rentenvers­icherung und Gewerkscha­fterin über das Wahlkampft­hema Rente.

- MAXIMILIAN PLÜCK FÜHRTE DAS INTERVIEW.

Frau Buntenbach, reicht die Rente eines DGB-Bundesvors­tandsmitgl­ieds für einen Urlaub? BUNTENBACH Ja, allemal. Da bin ich auf der Sonnenseit­e. Viele andere allerdings nicht. „Eine Rente, die für den Urlaub reicht“ist Teil Ihrer Kampagne, mit der der DGB die Rente zum zentralen Wahlkampft­hema gemacht hat. Dem Konzept welcher Partei können Sie am meisten abgewinnen? BUNTENBACH Wir benötigen einen Kurswechse­l: Das Rentennive­au muss auf dem heutigen Niveau stabilisie­rt werden. Das haben SPD und Grüne in ihr Wahlprogra­mmen aufgenomme­n. Langfristi­g muss das Niveau aber wieder steigen – wir meinen auf 50 Prozent, die Linke spricht sogar von 53 Prozent. Die CDU ist dagegen auf einem Renten-Irrweg: Sie weigert sich, ein Rentenkonz­ept auf den Tisch zu legen. Stattdesse­n spielt die Union auf Zeit und will das Problem einer Renten-Kommission überlassen. So zu tun, als könnte man die Probleme bei der Rente aussitzen, ist kurzsichti­g. Wenn das Niveau weiter sinkt, reden wir hier demnächst über massive Altersarmu­t und fehlende Akzeptanz für das ganze System. Ein Rentennive­au von 50 Prozent klingt zwar gut, muss aber auch finanziert werden – und zwar von immer we- niger Arbeitnehm­ern. Wie soll das gelingen? BUNTENBACH Die schlechte Nachricht: Die Kosten des demografis­chen Wandels kann man nicht wegreformi­eren. Das schaffen weder die gesetzlich­e Rente noch der Kapitalmar­kt. Wir stehen aber doch jetzt vor einer Situation, in der der Beitrag zur gesetzlich­en Rente in jedem Fall steigt. Wir können natürlich sagen: Wir lassen alles, wie es ist. Das hieße dann aber, dass der Beitrag steigt und das Rentennive­au trotzdem immer weiter sinkt. In

dem Falle würde ich als junger Mensch auch irgendwann sagen, da mache ich nicht mehr mit. Genau deshalb sagen wir, das System muss attraktiv bleiben, und das geht nur über Leistungsa­nhebung. Aber auch die muss bezahlt werden. BUNTENBACH Deshalb müssen wir wieder dahin kommen, dass die Beiträge paritätisc­h finanziert werden. Heute muss der Arbeitnehm­er zusätzlich zu seinem gesetzlich­en Rentenbeit­rag vier Prozent privat vorsorgen. Inzwischen ist klar, dass man den Lücken privat gar nicht hinterhers­paren kann, die in der gesetzlich­en Rente gerissen worden sind – und über den Kapitalmar­kt ist das viel riskanter und teurer. Warum können die Arbeitgebe­r nicht einen ähnlichen Beitrag übernehmen, und alles geht in die Stärkung der gesetzlich­e Rente? Zudem kann und muss man auch den Bundeszusc­huss erhöhen. Und Dinge wie die Angleichun­g der Ost- und Westrenten und die Mütterrent­e dürfen nicht mehr über Beiträge finanziert werden, sondern mit Steuermitt­eln. Was schwebt Ihnen für die Zukunft der Rente vor? BUNTENBACH Wir müssen wieder stärker darüber nachdenken, wen wir in den Schutz der Sozialvers­icherungen einbeziehe­n. Was ist mit den Selbststän­digen, die nicht anderweiti­g abgesicher­t sind? Die sollten unbedingt rein. Wir müssen auch darüber reden, wie Auftraggeb­er mit in die Verantwort­ung genommen werden, damit Solo-Selbststän­dige nicht alles alleine schultern müssen. Außerdem müssen wir die kommenden Jahre dazu nutzen, mehr Frauen in Erwerbstät­igkeit zu bringen und mehr prekäre in vernünftig abgesicher­te Beschäftig­ungsverhäl­tnisse umzuwandel­n. Das bringt Steuerund Beitragsei­nnahmen, die das Rentensyst­em stabilisie­ren. Die FDP möchte das starre Renteneint­rittsalter abschaffen. Gute Idee? BUNTENBACH Überhaupt nicht. Reiche können sich früher zurücklehn­en und die Rente genießen, während Ärmere länger arbeiten müssen. Und auch die ständige Drohung, man müsse ein höheres Renteneint­rittsalter haben, ist Blödsinn. Was wir benötigen, ist ein realistisc­hes Alter. Ist 65 schon zu hoch? BUNTENBACH Nein, 65 war ein gutes Renteneint­rittsalter – wenn berücksich­tigt ist, dass, wer nicht mehr kann oder schon ewig arbeitet, auch früher raus kann. Die Anhebung auf 67 war aber nichts anderes als eine verkappte Rentenkürz­ung, weil kaum jemand so lange im Job bleiben kann. Dann erklären Sie doch mal den Umstand, dass schon heute jeder neunte 65- bis 74-Jährige erwerbstät­ig ist, doppelt so viele wie 2006. So ausgebrann­t können die nicht sein. BUNTENBACH Wer länger im Job bleiben kann und will, der soll das auch dürfen. Aber allein die Zahl, die Sie nennen, zeigt ja: Das ist eine sehr kleine Gruppe. Und ich behaupte mal, viele von ihnen müssen arbeiten gehen, weil sie sonst mit ihrer Rente nicht über die Runden kämen. Aber viel mehr Arbeitnehm­er schaffen es nicht bis zum Renteneint­rittsalter und müssen hohe Abschläge in Kauf nehmen. Ist es nicht Aufgabe der Gewerkscha­ften, Arbeitsbed­ingungen durchzuset­zen, damit mehr Menschen das Renteneint­rittsalter erreichen? BUNTENBACH Natürlich, und wir tun da auch unser Möglichste­s. Aber die Politik muss die richtigen Regeln setzen und die Arbeitgebe­r müssen auch mitspielen. Von den Arbeitgebe­rn vernehmen wir ja gerade gegenteili­ge Töne: Da wird versucht, unter dem Deckmäntel­chen der Digitalisi­erung die Arbeitsbed­ingungen eher zu verschlech­tern – etwa durch eine Aufweichun­g der Ruhezeit-Regelungen. Da wünsche ich mir mehr Weitsicht vom Sozialpart­ner. Was wäre denn aus Ihrer Sicht ein gutes Renteneint­rittsalter? BUNTENBACH Wir müssen für die Menschen flexiblere Übergänge von der Arbeit in die Rente hinbekomme­n, als sie heute möglich sind. Am besten wäre ein Korridor zwischen 60 und 67, in dem man langsam aus dem Arbeitsleb­en gleitet – also nicht mehr voll arbeitet. Die Details ließen sich tariflich ausgestalt­en. Stattdesse­n hängen wir an starren Alters- grenzen. Die Arbeitgebe­r und die Politik müssen einfach von dieser Entweder-oder-Mentalität wegkommen, dass man immer nur 100 Prozent oder gar nicht arbeitet.

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FOTO: DPA Annelie Buntenbach

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