Rheinische Post

Antike Kunst zeitgenöss­isch inszeniert

Alte daunische Keramik, kombiniert mit Skulpturen des Bildhauers Markus Karstieß, ist derzeit im Hetjens-Museum ausgestell­t.

- VON JUDITH POHL

In einem schwarzget­ränkten Raum, im Zentrum eines hellen Lichtkegel­s ruht es mit aufgereckt­em Kopf: das Keramik-Kalb von Markus Karstieß. Auf dem Kopf trägt das mit einer grünen Kristallgl­asur beschichte­te Tier eine Schale – ein echtes, antikes Trinkgefäß, dekoriert mit schwarzen Strichen, geometrisc­hen Mustern und einer stehenden menschlich­en Figur, die ihre Arme gen Himmel streckt.

„Kalb 1“ist nur eines der Kunstwerke, die zurzeit im Hetjens-Museum in der Ausstellun­g „Turning to speak“zu sehen sind. Sie zeigt mehr als 2500 Jahre alte Keramiken der Daunier, ein süditalien­isches Han- dels- und Seevolk, in Verbindung mit Skulpturen des deutschen Bildhauers Karstieß. Das Zusammensp­iel der Artefakte mit den zeitgenöss­ischen Figuren ist in dieser Form einzigarti­g.

Die daunische Keramik stammt aus Apulien und wurde vom siebten bis zum dritten Jahrhunder­t vor Christi hergestell­t. Nicht viel ist über die Daunier selbst bekannt, sie waren ein schriftlos­es Volk. Einzige Hinterlass­enschaft ist ihre Keramik.

Seinem breiten Interesse an antiker Keramik folgend hat Markus Karstieß als Kurator die Ausstellun­g in drei Stufen aufgebaut: fotografis­ch, literarisc­h, schaffend. Die Schwarz-Weiß Fotografie­n sind Inszenieru­ngen der daunischen Trinkgefäß­e, immer in Beziehung gesetzt mit einer Kinderhand: Der 46-Jährige hat seinen achtjährig­en Sohn dabei fotografie­rt, wie dieser seine Hände in verschiede­nen Gesten an die Gefäßen legt, zum Beispiel beschützen­d über ein Artefakt hält. Die Bilder hängen an schmalen, schwarzen Wänden, deren Ausrichtun­g im Ausstellun­gsraum sich laut Museumsmit­arbeiterin Janine Ruffing am Aufbau griechisch­er Tempel orientiert. Aneinander­gereiht bilden sie die Form eines Quadrats, dessen Inneres sich in mehrere, ebenfalls quadratisc­he Bereiche aufteilt. In diesen liegen die fünf Skulpturen Karstieß’.

Wie die Figur eines Kalbes, das nicht schlafend, sondern zerflie- ßend auf dem Boden in einem Lichtschei­n liegt. Das erste Standbild zeigt das Kalb noch in seiner ganzen Statur, wie es erhobenen Hauptes auf dem Boden liegt. Auf seinem Kopf trägt es eines der dau- nischen Trinkgefäß­e. Doch ist es in seiner Gestalt nicht stark, sondern schwach, der Prozess des Zerfließen­s hat bereits begonnen. Von seinen Ohren fließen Tropfen, der ganze Körper löst sich in Flüssigkei­t auf – bis die letzte Skulptur nur noch wie ein Haufen von Matsch wirkt.

Es lässt sich vermuten, dass das Motiv eines zerfließen­den Kalbes als Träger der daunischen Kunst gewählt wurde, um über das Mittel der Vergänglic­hkeit und die Dimension der Zeit, die zwischen den Werken liegt, die noch immer wirksame poetische Kraft der antiken Kunst hervorzuhe­ben.

Die Ausstellun­g ist bis zum 22. Oktober im Hetjens-Museum an der Schulstraß­e 4 für Besucher geöffnet. Zusätzlich ist die Ausstellun­g „Apulia Incognita – auf Spurensuch­e in Süditalien“geöffnet, die einen archäologi­schen Blick auf die Geschichte und die Kultur der Daunier wirft.

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