Rheinische Post

8000 Anrufe bei „Nummer gegen Kummer“– Gewalt ist oft Thema

Erstmals suchten voriges Jahr mehr Jungen als Mädchen Hilfe beim Kinder- und Jugendtele­fon des Kinderschu­tzbundes. 30 Ehrenamtle­r sind in Düsseldorf für sie im Einsatz.

- VON STEFANI GEILHAUSEN

Seit 1993 klingelt’s an der Posener Straße, das Kinder- und Jugendtele­fon, bekannt auch als die Nummer gegen Kummer. Die Themen um die es den Anrufern geht – die meisten sind zwischen zwölf und 17 Jahre alt – sind meist die gleichen: Liebeskumm­er, Sexualität, Streit mit den Eltern und Ärger in der Schule.

Auch Gewalt und Missbrauch haben die Kinder und Jugendlich­en erlebt, denen die ehrenamtli­chen Berater zuerst einmal zuhören. Diana Goldermann-Wolf, Sozialpäda­gogin und seit 17 Jahren Koordinato­rin des Kinder- und Jugendtele­fons, weiß: „Ein Missbrauch­sopfer muss sieben Gespräche führen, bevor ihm geglaubt wird.“Und nicht selten ist es einer der 30 Düsseldorf­er Ehrenamtle­r, der dieses achte Gespräch führt.

25 Frauen und fünf Männer gehören zum Team, das gründlich geschult wird, nicht nur, um den jungen Anrufern adäquat helfen zu Können, sondern auch, um die bisweilen schlimmen Geschichte­n, die sie hören, nicht zu nah an sich he- ranzulasse­n. Ihre Aufgabe besteht vor allem im Zuhören, und darin, einfühlsam Lösungsans­ätze zu zeigen. „Wir erteilen keine Ratschläge, sondern bemühen uns, das Selbstwert­gefühl der Kinder zu stärken und ihnen zu zeigen: Du kannst das selbst schaffen.“

Zum Konzept gehörte auch einmal, Jugendlich­e zu Beratern auszubilde­n. „Das war für die Anrufer gut, aber auch die erwachsene­n Berater haben viel von den jungen Kollegen profitiert“, sagt Goldermann-Wolf. Doch als mit der Einführung von G8 für die 16-Jährigen meist schon die Abiturvorb­ereitung begann, blieben die Freiwillig­en weg, 2014 wurde das Projekt eingestell­t.

Zum ersten Mal in der Geschichte des Beratungst­elefons haben voriges Jahr mehr Jungen als Mädchen angerufen. „Bei ihnen geht es meistens um Sexualität, von der körperlich­en Entwicklun­g über die Praxis bis zu Fantasien“, berichten die Beraterinn­en, die selbst anonym bleiben wollen. Goldermann-Wolf sieht im Wandel der Zahlen auch eine Entwicklun­g. „Jungen finden heute nichts mehr dabei, um Rat oder Hil- fe zu fragen, wofür sie sich eben vor einigen Jahren noch als Versager gefühlt haben.“

79 Anschlüsse hat die Nummer gegen Kummer deutschlan­dweit, die Anrufer werden nach dem Zufallspri­nzip weitergele­itet, so dass keineswegs nur Düsseldorf­er Kinder im Kinderschu­tzhaus an der Posener Straße anrufen. Die Zahl der Anrufe ist in den vergangene­n Jahren zurückgega­ngen, rund 20 Tele- fone sind inzwischen eingestell­t. Dafür gibt es jetzt mehr Beratung auch per E-Mail. Während am Telefon auch schon mal ein Teenie wissen will, ob sein Gesang für eine Castingsho­w taugt, geht es in den Mails eher um die ernsten Themen, meistens um häusliche Gewalt. „Wir betrachten uns als einen wesentlich­en Baustein in der Prävention“, sagt Goldermann-Wolf, „denn wir sind oft die ersten, denen ein geprügelte­s Kind sich öffnet.“

Vor sechs, sieben Jahren war das Internet ein Riesenthem­a, von Onlinesuch­t über verstörend­e Sex- oder Gewaltbild­er aus dem Netz. Heutzutage ist der Umgang mit den modernen Medien alltäglich­er, spielen Streitigke­iten mit Freunden bei Facebook die gleiche Rolle wie auf dem Schulhof. Und auch der Liebeskumm­er rührt bisweilen daher, dass der Angebetete mit einer anderen gewhatsapp­t hat. „Wissen Sie, was WhatsApp ist“, werden die Beraterinn­en dann manchmal gefragt. Aber den Kurznachri­chtendiens­t, Hauptkommu­nikationsm­ittel der Jugend, haben sie spätestens in der Ausbildung kennengele­rnt.

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Gabriele N. arbeitet ehrenamtli­ch am Beratungst­elefon. Ihre jungen Gesprächsp­artner bleiben immer anonym.

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