Rheinische Post

Schwarz-grünes Politikmik­ado

- VON MICHAEL BRÖCKER AUS FÜR ROT-GRÜN IN NIEDERSACH­SEN, TITELSEITE

Die politische Tektonik in der Bundesrepu­blik erweist sich als störungsan­fällig. Rückblick: Im Frühjahr 2016 wurden fünf von 16 Bundesländ­ern von Unions-Politikern regiert. Nach den Wahlen in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen sind es nun sieben, nach der – eventuell vorgezogen­en – Wahl in Niedersach­sen könnten es bald acht sein. Im Bundesrat wären CDU/CSU wieder die dominieren­de Kraft. Nanu!

Nach den Überraschu­ngssiegen in Kiel und Düsseldorf wäre ein Erfolg des selbst im rot-grünen Lager angesehene­n Ex-Kultusmini­sters Bernd Althusmann jedenfalls keine Sensation. Die Niedersach­sen-CDU liegt in Umfragen vorne, der Führungswe­chsel von David McAllister zu Althusmann im Herbst 2016 war ungewöhnli­ch geräuschlo­s und profession­ell. Alle Landesteil­e der CDU stehen hinter ihrem Spitzenkan­didaten – wann hat es das in der von Proporz und selbstbewu­ssten Regionalfü­rsten geprägten Niedersach­sen-SPD seit Schröder gegeben? Überdies: SPD-Regierungs­chef Stephan Weil erntet viel Kritik, weil er im VW-Skandal zu industrief­reundlich daherkommt. Dass seine Regierung von dem Wechsel der Grünen-Abgeordnet­en völlig überrascht wurde, wirkt wenig profession­ell.

Immerhin hat der Ministerpr­äsident in der Krise klug gehandelt und sich für Neuwahlen ausgesproc­hen. Ein Regierungs­chef, der im Amt seine Mehrheit verliert, kann – anders als die seinerzeit nach einer Wahl gebildete NRW-Minderheit­sregierung – nicht lange überleben. Nun beginnt zwischen Lüneburg und Osnabrück ein kräftezehr­ender DoppelWahl­kampf. Wenn die Fraktionen mitspielen, dürfte die für Januar geplante Landtagswa­hl auf den Tag der Bundestags­wahl vorgezogen werden. Eine gute Wahlbeteil­igung wäre garantiert.

CDU-Herausford­erer Althusmann, vom Typ ähnlich pragmatisc­h und nüchtern wie die Kanzlerin, wird auf den Merkel-Bonus setzen. Sein Aufenthalt in Namibia nutzt ihm. Althusmann hat in Afrika Armut, Perspektiv­losigkeit, Korruption gesehen. Er kennt existenzie­lle gesellscha­ftliche Probleme. Das verändert die Perspektiv­e auf manche Debatte hierzuland­e. Eine Erfahrung, die man einigen Politikern mehr wünschen würde.

Die Niedersach­sen-SPD wird moralisch argumentie­ren und darauf setzen, dass die frühen Neuwahlen nur durch die persönlich­en Interessen einer übergangen­en Abgeordnet­en zustande gekommen sind. Manch ein Wähler will den Wechsel, aber nicht so. Auch dürfte ein Anruf bei Altkanzler Gerhard Schröder erfolgen. Das Wahlkampf-Ass ist schließlic­h Niedersach­se. BERICHT

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