Rheinische Post

UND DIE WELT Vertrauens­verlust schwächt unser Zusammenle­ben

Der Diesel-Skandal hat unser Vertrauen in eine Branche erschütter­t, die als eine Domäne unseres Landes gilt. Das hat Folgen, denn Vertrauen ist immer auch die Voraussetz­ung für das Zusammenle­ben in einer freiheitli­chen Gesellscha­ft.

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Die anhaltende Empörung über den Diesel-Skandal deutscher Autobauer hat etliche Gründe. Viele offenkundi­ge – verbunden mit der Sorge um den Wertverlus­t des eigenen Fahrzeugs, um künftige Fahrverbot­e, aber auch um die Belastung der Umwelt. Doch unter all dem schlummert noch ein anderes Unbehagen. Das ist der Vertrauens­verlust. Den kann es nur geben, wenn zuvor – so platt das auch klingen mag – überhaupt so etwas wie eine kollektive Vertrauens­basis existierte. Und zu welcher Branche fühlen die Deutschen eine stärkere, auch emotionale­re Verbundenh­eit als zur Autoindust­rie hierzuland­e? Mit „Made in Germany“wurden viele Produkte geadelt, doch bei kaum einem schien es so triftig und berechtigt zu sein wie beim Auto. Das grundsätzl­iche Vertrauen in die deutsche Wirtschaft und ihre Leistungsf­ähigkeit ist vor allem dieser Branche geschuldet.

Und jetzt ausgerechn­et die Autoindust­rie! Eine Domäne unseres Landes, die nicht Anlass geben muss zu irgendeine­m diffusen Nationalst­olz. Das nicht. Die aber zu unserem Selbstvers­tändnis gehört. Mit jeder neuen Nachricht von Trickserei und Manipulati­on aber wird die Erosion eines Vertrauens vorangetri­eben, das nicht nur Deutschlan­ds liebstes Kind meint, sondern auch die Vorstellun­g unseres Zusammenle­bens. Denn eine freiheitli­che Gesellscha­ft kann nie funktionie­ren ohne ein Grundvertr­auen.

Unser Vorschuss auf die Verlässlic­hkeit der Entscheidu­ngsträger ist eine Bedingung unseres Verständni­sses von Freiheit. Es ist zugleich unser kollektive­r Beitrag, wenn wir darauf hoffen, dass der andere unsere Arglosigke­it nicht ausnutzt und missbrauch­t. Dieser Vertrauens­vorschuss ist kein Zeichen von Naivität; er ist eine Brücke zwischen Wissen und Nichtwisse­n.

Denn in komplexen Gesellscha­ften, in denen nicht mehr jeder alles durchschau­en kann, wird Vertrauen zur Basis unseres Handelns. Vertrauen ist Hoffnung und Freiheit. In der Hoffnung zeigt sich unsere Souveränit­ät. Sie zu verletzen ist auch ein Zeichen gesellscha­ftlich unverantwo­rtlichen Handelns. Vertrauen ist keine Eintagsfli­ege. Es braucht lange, bis es aufgebaut wird. Selbst dann ist es keine Selbstvers­tändlichke­it. Weil Vertrauen eine innere Bereitscha­ft voraussetz­t. Nicht umsonst heißt es, dass man jemandem Vertrauen schenkt. In dieser Vorleistun­g schwingt auch die Hoffnung mit, nicht enttäuscht zu werden. Mit jedem Vertrauens­vorschuss machen wir uns automatisc­h angreifbar; und wer angreifbar ist, wird verletzlic­h. Auch daraus speist sich die Empörung der Menschen.

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