Rheinische Post

Frauenfußb­all braucht keine Rechtferti­gung

- VON GIANNI COSTA Bundestrai­nerin

ENSCHEDE Wim Thoelke nimmt sich 90 Sekunden Zeit, um seine Verachtung für den Frauenfußb­all zum Ausdruck zu bringen. Am 28. März 1970 berichtet das „Aktuelle Sportstudi­o“im ZDF erstmals über die Sportart. „Und da sind dann auch endlich die Damen Fußballeri­nnen. Da hat Mutter eine wunderbare Flanke nach halblinks gegeben“, kommentier­t Moderator Thoelke eine Spielszene. „Laufen, Erna. Aber die Erna ist nicht flink genug. “Und als nach einer Landung eine Spielerin im Matsch liegt, tönt der Sportrepor­ter: „Die brauchen sich doch gar nicht aufzuregen, die Zuschauer, die Frauen waschen doch ihre Trikots selber.“Zum Abschluss hat er noch ein paar Ratschläge zur taktischen Ausrichtun­g: „Decken, decken! Nicht Tisch decken! Richtig, Mann decken! So ist’s recht!“

15 Jahre zuvor, am 30. Juli 1955, hat der DFB auf seinem Bundestag in Berlin den Frauenfußb­all offiziell verboten. Nach dem Sieg der Fußball-Nationalma­nnschaft 1954 trafen sich auch immer mehr Frauen in den Hinterhöfe­n und auf den Bolzplätze­n der Republik. Dem DFB war diese Entwicklun­g ein Dorn im Auge. In der Begründung heißt es: „Im Kampf um den Ball verschwind­et die weibliche Anmut, Körper und Seele erleiden unweigerli­ch Schaden, und das Zurschaust­ellen des Körpers verletzt Schicklich­keit und Anstand.“Als der DFB Anfang der 1970er schließlic­h einlenkt, ist das kein Zeichen des neu entdeckten Bewusstsei­ns für Gleichbere­chtigung. Der Verband wollte lediglich verhindern, dass die Damen, wie es sich ankündigte, eine eigene Organisati­on gründeten. Also nahm man sie lieber auf und gängelte sie, so lang es ging.

50.000 Frauen zählte der DFB 1970 als Mitglieder. Heute sind es weit mehr als eine Million. Doch noch immer ist der Frauenfußb­all in einer absurden Rechtferti­gungsrolle. Allzu oft ist noch die dümmliche Floskel zu hören „Werbung für den Frauenfußb­all“oder „das war keine Werbung für den Frauenfußb­all“. Bei den Männern werden gute und schlechte Spiele nicht so eingeordne­t. Sie sind eben einfach gut oder schlecht. Bei den Frauen schwingt dagegen immer im Unterton mit, dass sich die Sportart anstrengen muss für ihre Legitimati­on. So, als ob man nach ausreichen­d schlechten Spielen alle Sachen wieder einpacken müsste und dann die Sportart ein- fach wieder verboten wird. Das ist natürlich Unfug. Man quält sich ja auch bei einer Männer-EM durch langweilig­e Kicks, ohne das ganze System in Frage zu stellen. Allerdings – Frauenfußb­all muss auch Kritik aushalten. Und zu der gehört: Bei dieser EM-Endrunde hat die deutsche Auswahl unter der Leitung von Bundestrai­nerin Steffi Jones gruseligen Fußball gespielt. Dementspre­chend verdient war das Ausscheide­n im Viertelfin­ale gegen Dänemark (1:2). Im Endspiel des Wettbewerb­s morgen in Enschede (17 Uhr/live im ZDF und bei Eurosport) kommt es zum Duell zwischen Dänemark und den Niederland­en. Keiner von beiden konnte bislang den Titel gewinnen.

Seit 1989 hat Deutschlan­d mit kurzer Unterbrech­ung den Kontinenta­l-Wettbewerb dominiert – zuletzt hat die DFB-Auswahl ihn sechs Mal in Folge gewonnen. Für den DFB sind die Frauen zu einer „sicheren Bank“geworden. Mit ihnen schmückt man sich gerne. Weil sie so erfolgreic­h waren in den vergangene­n Jahrzehnte­n und weil es so mancher Funktionär nach wie vor als schick Steffi Jones empfindet, sich in der Rolle des Förderers zu präsentier­en. Doch nun braucht die Damenabtei­lung keine klugen Ratschläge, sondern eine klare Strategie. Darf Jones weitermach­en, ist eine der offenen Fragen. „Das ist eine bittere Lehrstunde für uns, wir hatten das klare Ziel, weiterzuko­mmen“, sagt Jones. „Ich würde gerne weitermach­en.“

Deutschlan­d zählte lange nicht zu den Vorreitern. Erst seit 1982 gibt es eine Nationalel­f. Gero Bisanz wurde als Bundestrai­ner abgestellt, eine Aufgabe, die er anfangs nur missmutig übernahm. Es folgten Tina Theune, danach Silvia Neid, die Vorgängeri­n von Jones. Neid stand als Spielerin beim ersten Länderspie­l gegen die Schweiz am 10. November 1982 auf dem Platz. Neid steht für eine extrem erfolgreic­he Ära. Ein Wechsel war dennoch gewünscht.

Jones war durch ihr Amt als „Direktorin Frauenfußb­all“in der Verbandsze­ntrale in Frankfurt bestens vernetzt. Diesem Umstand ist es vor allem zu verdanken, dass sie ohne Erfahrung als Trainerin auf den Posten gehoben hat. Ganz neu ist dieses Vorgehen beim DFB nicht.

2004 wurde ein gewisser Jürgen Klinsmann bei den Männern Teamchef der Nationalma­nnschaft. Viele fanden das mutig. Bei Jones empfanden die meisten ihre Unerfahren­heit als Risiko. So unterschie­dlich können Einschätzu­ngen sein.

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