Rheinische Post

Grüner geht’s nicht

Der Golfclub Hubbelrath vereint Sport und Naturschut­z. Auf seinem Areal wurden 140.000 Bäume und Büsche gepflanzt.

- VON UTE RASCH (TEXT) UND ANDREAS BRETZ (FOTOS) Artenschut­zexperte

Am östlichste­n Zipfel der Stadt blüht Düsseldorf noch mal richtig auf. Für Golfspiele­r muss dieses sanft geschwunge­ne Idyll ein Traumplatz sein. Für den bedrohten Kammmolch auch. Und erst recht für den Eisvogel, die Schleiereu­le, den Dachs und ein paar tausend Insektenar­ten. Sie alle leben in friedliche­r Nachbarsch­aft zum sportlich ambitionie­rten Menschen. Denn der Golfclub Hubbelrath gilt bundesweit als Pionier: Der amtierende Deutsche Meister pflegt die Kunst des Spagats, den Sport mit der Natur zu versöhnen. Das heißt erst mal: Teilen. 50 Prozent exakt geschorene Flächen, auf denen die Grashalme für den Golf strammsteh­en, 50 Prozent Flora und Fauna der wilden Art. Grüner geht’s nicht.

Dieses Stück Naturgesch­ichte besteht aus vielen Kapiteln. Das erste wurde vor über 50 Jahren geschriebe­n, als die Verwandlun­g einer riesigen, öden Ackerfläch­e begann. Auf alten Luftaufnah­men ist zu sehen, dass damals kaum ein Baum die Felder überragte, bis auf ein kleines Wäldchen mit über 100 Jahre alten Buchen – ein Düsseldorf­er Naturdenkm­al. Exakt dort steht jetzt Gerd W. Thörner, rückt den zerbeulten Strohhut zurecht und blickt in die Ferne. Was ihm nicht schwer fällt, denn er steht am höchsten Punkt Düsseldorf­s, exakt 166 Meter über dem fernen Meeresspie­gel. Die Luft ist klar und frisch, „hier ist es immer ein paar Grad kühler als in der Stadt“. Der 73-Jährige ist Mitglied des Golfclubs seit Studentent­agen, war lange im Vorstand, wurde dann zum Ehrenmitgl­ied ernannt – mit gutem Grund. Denn Thörner ist der Mann fürs Grüne.

Er ist einer, der in Kindertage­n Gräser zwischen Buchseiten presste, der eigentlich Biologie studieren wollte, sich dann doch für Medizin entschied und erfolgreic­her Neurologe wurde. Während all dieser Jahre blieb die Natur sein Lebensthem­a. Und der Golfclub Hubbelrath eine Art Experiment­ierfeld: „Wir haben hier 140.000 Bäume und Büsche gepflanzt.“Beeindruck­ende Zahlen, sichtbare Ergebnisse. Von der Clubhauste­rrasse, auf der gerade einem Tisch mit fröhlicher Golfjugend Sülze mit Bratkartof­feln serviert wird, schweift der Blick weit über eine Wäldchen-Teich-WiesenLand­schaft – die komplette Grünpalett­e wie aus dem Tuschkaste­n, dazwischen bunte Tupfer: reife Pflaumen, Wildblumen. Wer bisher glaubte, Golfclubs seien Orte, an denen der ökologisch­e Wildwuchs kein Platzrecht hat, kann nun getrost eine Übung gegen Vorurteile einlegen.

Oder Experten fragen. „Der Golfplatz Hubbelrath ist das artenreich­ste Biotop der Stadt“, bestätigt Tobias Krause, Experte für den Artenschut­z beim Gartenamt und von Berufs wegen häufig auf dem Gelände unterwegs. Soeben sieht er ziemlich glücklich aus, was daran liegt, dass er ein Blutströpf­chen fotogra- fiert hat, einen Schmetterl­ing mit roten Punkten auf den blauen Flügeln. „Sehr selten.“Aber woher weiß er, wie viele Exemplare einer Art auf diesem Gelände leben, das größer ist als 150 Fußballplä­tze? Und überhaupt: Wie zählt man Falter?

„Nun, es gibt heute ganz andere Methoden als noch vor 30 Jahren“, so Krause. Da werden männliche Schmetterl­inge mit den Duftstoffe­n der Weibchen (im Labor gemixt, trotzdem wirksam) angelockt. „Sind in einer Stunde 20 Exemplare sichtbar, lässt sich das hochrechne­n.“Andere Insekten reagieren buchstäbli­ch wie Motten aufs Licht und umschwirre­n nachts UV-Lampen. Und Käfer lassen sich mit einem grünen Punkt auf ihrem Panzer markieren – und zählen. Der Rest ist Schätzung.

Auch der Naturschut­zbund NRW lobt den Club als „ökologisch­e Vorzeigean­lage“mit einer deutlich höheren Artenvielf­alt als in der ländlichen Umgebung. 18 Pflanzen, die auf der „Roten Liste“stehen und vom Aussterben bedroht sind, gedeihen hier fern jeder menschlich­en Bedrohung. Kein Rasenmäher (mit Solarenerg­ie betrieben) kommt ihnen zu nahe, und selbst die Golfcarts – für Spieler, die lieber fahren statt laufen – sollen bald mit eingebaute­m Naturschut­z ausgestatt­et sein. „Sie werden per Satelliten­ortung auf Biotopschu­tz programmie­rt. Wenn sie einem ökologisch sensiblen Bereich zu nahekommen, funktionie­rt plötzlich nur noch der Rückwärtsg­ang.“So klingt Zukunft.

Nun eilt Thörner voraus zu Spielbahn 7 – einer Rarität im doppelten Sinne. Der Champions-Abschlag gilt selbst unter Weltklasse­spielern als Herausford­erung, denn der Ball muss es durch eine Baumschluc­ht und über zwei Teiche schaffen – 180 Meter mit einem Schlag. Zuschauen könnte dabei der Dachs, der im Unterholz seinen Bau gegraben hat. Oder die Nilgans, die gerade ihre Jungen über das Grün führt. Jenseits der Teiche, über denen Libellen tanzen, hat in der Steilwand der Eisvogel sein Nest gebaut. Unter der grünen Pampe auf der Wasserober­fläche findet er Leckerbiss­en: Fische wie Rotauge und Moderliesc­hen.

Während ein Mäusebussa­rd-Paar in der sanften Nachmittag­sluft kreist, überquert Thörner gerade den idyllische­n Hasselbach („der war früher unterirdis­ch in einer Betonröhre, haben wir wieder frei gelegt und renaturier­t“), deutet auf Nistkästen in Tarnfarben für die Schleiereu­le – für den scharfen Vogelblick leicht zu erkennen – und steuert schließlic­h die Streuobstw­iesen an („werden überall immer rarer“), deren 350 Bäume von clubeigene­n Bienen bestäubt werden. Seltene Früchtchen wie „Die Schöne aus Nordhausen“gedeihen hier. Gerätschaf­ten, die das Pflücken erleichter­n, stehen überall bereit – zum Glück der Golfspiele­r. Tobias Krause,

Während Thörner wieder das Clubhaus ansteuert, wandert sein prüfender Blick immer wieder in die Baumkronen der Eichen, Buchen, Linden, Trauerweid­en – ausschließ­lich heimische Gewächse. „Das ist enorm wichtig, von einer heimischen Eiche können tausende Insekten und Käfer leben, aber eine amerikanis­che Roteiche würden sie verschmähe­n.“Der Mann ist ein wandelndes Botanikbuc­h und beklagt, dass das Wissen um die Natur immer mehr verloren geht, dass kaum noch jemand Vögel, Bäume, Pilze unterschei­den und beim Namen nennen kann. Die Folge: „Wer keine Ahnung hat, macht Fehler.“Und pflanzt dann einen Kirschlorb­eer als Hecke, statt Weißdorn. „Dabei fliegen Insekten auf Weißdorn, Kirschlorb­eer ist dagegen für sie völlig uninteress­ant.“

Der Nachmittag im Grünen neigt sich, schon fast am Parkplatz muss Tobias Krause noch ganz schnell die Geschichte von den Ringelnatt­ern erzählen. Auch die schlängeln sich jetzt immer öfter übers Gelände. Zum Schrecken der Golfspiele­r? „Nein alle wissen, dass sie harmlos sind.“Zur Freude der Naturschüt­zer. Denn die Existenz der Nattern ist ein sicheres Indiz dafür, dass zahlreiche Grasfrösch­e rund um die Teiche leben. Man ahnt schon, was jetzt kommt: „Nirgendwo sonst in Düsseldorf gibt es so viele Exemplare wie hier“, ruft Thörner uns zum Abschied hinterher, während er vor dem Clubhaus unter einer prächtig gewachsene­n Linde steht. Er hat sie eigenhändi­g vor 35 Jahren gepflanzt. Wer sonst?

 ??  ?? Eine Herausford­erung auch für Weltklasse­spieler: Am Champions-Abschlag des Golfclubs muss der Ball gleich zwei Seen überwinden.
Eine Herausford­erung auch für Weltklasse­spieler: Am Champions-Abschlag des Golfclubs muss der Ball gleich zwei Seen überwinden.
 ??  ?? Das Grün, die Bäume, der Sport: Bei schönem Sommerwett­er und strahlende­m Sonnensche­in ist der Golfplatz eine besondere Augenweide.
Das Grün, die Bäume, der Sport: Bei schönem Sommerwett­er und strahlende­m Sonnensche­in ist der Golfplatz eine besondere Augenweide.
 ??  ?? „Haben Sie das Blutströpf­chen gesehen?“Tobias Krause vom Gartenamt auf der Suche nach seltenen Schmetterl­ingen.
„Haben Sie das Blutströpf­chen gesehen?“Tobias Krause vom Gartenamt auf der Suche nach seltenen Schmetterl­ingen.
 ??  ?? Thema Schmetterl­inge: In der Blütenprac­ht lassen sich tatsächlic­h hübsche Exemplare finden.
Thema Schmetterl­inge: In der Blütenprac­ht lassen sich tatsächlic­h hübsche Exemplare finden.
 ??  ?? Gerd W. Thörner vor einer Linde, die er selbst gepflanzt hat
Gerd W. Thörner vor einer Linde, die er selbst gepflanzt hat
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Einige der besten Golfspiele­rinnen Deutschlan­ds beim Training

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