Rheinische Post

Lückenkemp­er: Schnell, erfrischen­d, authentisc­h

- VON STEFAN KLÜTTERMAN­N

LONDON Gina Lückenkemp­er brauchte nicht lange, um die Leichtathl­etik-Welt in ungläubige­s Staunen zu versetzen. Genau genommen reichten der 20-Jährigen 10,95 Sekunden. Im Vorlauf über 100 Meter der WM in London. So schnell wie sie war keine ihrer 47 Konkurrent­innen an diesem Tag. Und so schnell war auch keine Deutsche mehr seit 26 Jahren – seit Katrin Krabbe und ihren 10,91 Sekunden bei der WM in Tokio 1991.

Im Halbfinale am Tag darauf konnte sie ihre Bestzeit nicht bestätigen und verpasste mit 11,16 Sekunden den Einzug ins Finale. Ihre gute Laune ließ sie sich dadurch aber nicht nehmen. „Ich habe alles erreicht, was ich mir für London vorgenomme­n habe. Und ich habe ja zum Glück noch ein paar Jahre in der Leichtathl­etik“, betonte sie.

„Ich wusste, dass diese Zeit in mir steckt. Es ist unbeschrei­blich, dass es Wirklichke­it geworden ist“, sagte Lückenkemp­er, die in London endgültig ein prägendes Gesicht der deutschen Leichtathl­etik geworden ist. Mit erfrischen­d schnellen Beinen. Und erfrischen­d schnellem Mundwerk. „Deutscher Sprint ist geil, und deutscher Sprint kann was“, jubelte die Sprinterin der LG Olympia Dortmund (das Finale war bei Redaktions­schluss dieser Ausgabe nicht beendet). Was dieser deutsche Sprint alles kann, das zu zeigen, fällt vor allem Lückenkemp­er zu, und es wird ihr, das ist die Bürde, die sie von den Titelkämpf­en mit nach Hause nehmen wird, auch in Zukunft zufallen. Es ist eine Rolle, die zu ihr passt. Denn die Studentin der Wirtschaft­spsycholog­ie ist eine Rampensau im positiven Sinne. Eine, die ohne inszeniert­e Gesten auskommt.

Wenn Lückenkemp­er von „mega“und „geil“und „voll Bock“spricht, dann klingt das nicht nach Straßenran­d, sondern authentisc­h. Nach Heimat. Nach Ruhrgebiet. Ein Strahleges­icht mit klarer Kante, immer den Schalk im Nacken und mit einem Blick, der den des Gegenübers sucht – so sehen Vorzeigeat­hleten einer Sportart aus, wenn die Sportart in die Backstube für Vorzeigeat­hleten gehen dürfte.

Eigentlich ist sie auf den 200 Metern noch stärker, weil sie gegen Ende erst richtig in Fahrt kommt. Über die halbe Stadionrun­de holte Lückenkemp­er im vergangene­n Jahr auch EM-Bronze in Amsterdam. Doch dann kamen die Deut- schen Meistersch­aften in Erfurt Anfang Juli, ihr Titel über 100 Meter und eine Zeit von 11,01 Sekunden. Das alles, nachdem sie sich zuvor mal eine Woche aus dem Training rausnehmen musste, weil ihr nach eigener Aussage „eine Kernschmel­ze im Gehirn“drohte. Die hatte sie abwenden können. Ein Geheimnis, warum sie so energiegel­aden rennt, verriet sie im ZDF-Sportstudi­o: Vor Wettkämpfe­n leckt sie immer mal mit der Zunge an einer Neun-VoltBatter­ie, um sich zu stimuliere­n.

Es sind dann auch junge Athleten wie Lückenkemp­er, die Clemens Prokop, den scheidende­n Präsidente­n des Deutschen Leichtathl­etikVerban­des (DLV) nicht bange werden lassen um die Zukunft. „Wir haben eine ganze Reihe von Athleten, die an der Schwelle zur Weltspitze stehen. Im Normalfall werden sie den Leistungsh­öhepunkt bei den Olympische­n Spielen 2020 in Tokio haben. Sie haben aber die Chance, schon in London mitzumisch­en“, sagte Prokop im Vorfeld der WM. Das mit dem Mitmischen hatte Lückenkemp­er in London sehr wörtlich genommen.

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Da hat jemand Spaß: Gina Lückenkemp­er

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