Rheinische Post

Warum die Mafia zehn Jahre nach den Morden von Duisburg noch in NRW aktiv ist.

Vor zehn Jahren erschütter­ten die „Duisburger Mafiamorde“Deutschlan­d. Bis heute ist die Mafia sehr aktiv in NRW.

- VON CHRISTIAN SCHWERDTFE­GER

DUISBURG Es ist der frühe Morgen des 15. August 2007, als die italienisc­he Mafia in Deutschlan­d aus dem Dunkeln tritt. Im „Da Bruno“, einem Nobel-Italiener am Duisburger Hauptbahnh­of, herrscht zunächst noch ausgelasse­ne Stimmung. Tommaso-Francesco V., ein Lehrling im Restaurant, wird volljährig. Wirt Sebastiano S. und vier Verwandte feiern mit ihm seinen Geburtstag. Als sie gegen zwei Uhr nachts das Restaurant verlassen und zu ihren Autos gehen, warten ihre beiden Mörder schon auf sie. Das Killerkomm­ando macht kurzen Prozess mit den sechs Italienern. Mit 54 Schüssen werden sie ermordet, gerade als sie in ihren Autos Platz genommen haben.

Die Opfer: Wirt Sebastiano S. (38), sein Lehrling Tommaso-Francesco V. (18), die Brüder Francesco (21) und Marco P. (19), Francesco G. (16) und Marco M. (25), ein angebliche­r Auftragski­ller. Fünf von ihnen sind Mitglieder der kalabrisch­en Mafia gewesen, der ’Ndrangheta.

Zehn Jahre später steht Heinz Sprenger am Tatort des Blutbades, das als „Duisburger Mafiamorde“weltweit für Schlagzeil­en gesorgt hat. Der heute 64-Jährige hat damals die Ermittlung­en geleitet, eine Mordkommis­sion mit zum Teil 120 Beamten. Vor dem Klöckner-Hochhaus, in dessen Erdgeschos­s das Restaurant „Da Bruno“gelegen hat, erinnert nichts mehr an die Blutnacht. Oder fast nichts. Sprenger fasst sich ans Kinn und zeigt auf den Eingangsbe­reich des Hochhauses, eines der bekanntest­en Gebäude der Stadt. Kameras hängen dort – wie schon vor zehn Jahren. Viel haben sie damals aber nicht aufgezeich­net“, sagt Sprenger. Nichts Verwertbar­es jedenfalls.

Heinz Sprenger hatte in der Nacht Bereitscha­ftsdienst in der Duisburger Mordkommis­sion. Ein Kollege vom Kriminalda­uerdienst rief ihn etwa gegen halb drei morgens an und berichtete von einer Schießerei an der Mülheimer Straße, an der der Tatort lag. Als Sprenger zehn Minuten später eintraf, war bereits alles voller Blaulicht. Seine Kollegen hatten schon damit begonnen, den Tatort abzusperre­n. „Ich dachte nicht sofort an einen Mafiahinte­rgrund, sondern nahm an, dass irgendetwa­s mit Russen, Albanern oder Türken war. Das wäre naheliegen­d gewesen. Wir waren schließlic­h in Duisburg.“

Die Duisburger Morde seien in dem Ausmaß eine Ausnahme gewesen. Da sind sich alle Fahnder der Organisier­ten Kriminalit­ät sicher. Das Massaker bedeutete für die Mafia selbst eine Zäsur. „Man kann sagen: Das war aus deren Sicht sicherlich ein sehr unerfreuli­cher Betriebsun­fall“, sagt Thomas Jungbluth, leitender Kriminaldi­rektor für Organisier­te Kriminalit­ät beim Landeskrim­inalamt und als solcher oberster Mafiajäger in Nordrhein- Westfalen. Denn dadurch sei der öffentlich­e Fokus auf die Mafia gerichtet worden, die gerne im Verborgene­n arbeite. „Man bleibt bewusst im Dunkeln, will nicht auffallen. Da passen die Morde natürlich nicht hinein.“

Als Auslöser für die Duisburger Bluttat gilt ein Mord in der süditalien­ischen 4000-Seelen-Gemeinde San Luca. Das Opfer: Maria Strangio. Ihr tödlicher „Fehler“: Die 33Jährige hat der falschen Familie angehört, dem Clan der Nirta-Strangio. An Weihnachte­n 2006 wird sie deshalb vor ihrer Haustür erschossen. Dafür wird in Duisburg brutal Rache genommen.

Von dieser Vorgeschic­hte ahnte Sprenger in der Tatnacht natürlich nichts. Aber dass es sich um Mafiamorde handelte, wurde schnell klar. Noch in derselben Nacht schaltete sich das Bundeskrim­inalamt aus Wiesbaden in die Ermittlung­en ein und schickte eine erfahrene Mafiaexper­tin nach Duisburg. Sie erzählte, wie sich die Verbindung der Opfer in Richtung Kalabrien darstellte und wer zur ’Ndrangheta gehörte.

Die Mafia ist auch zehn Jahre nach den Duisburger Mafiamorde­n präsent in NRW. Sie bewegt sich in vielen Kriminalit­ätsfeldern. Im Raum Köln sei etwa die Cosa Nostra als „Baustellen-Mafia“aktiv, im östlichen Ruhrgebiet die Camorra und im westlichen Ruhrgebiet/Niederrhei­n die ’Ndrangheta, berichtet Jungbluth. Sie kämen sich in der Regel nicht ins Gehege bei ihren Geschäften, auch nicht mit Rockern, Russen und Libanesen. Ausgangspu­nkt der Organisier­ten Kriminalit­ät sei immer das Streben nach Geld und dem maximalen Profit. „Und das möglichst, ohne sich dabei die Hände schmutzig zu machen“, betont der Kriminaldi­rektor. NRW sei für die Mafia so attraktiv, weil es ein prosperier­endes Land sei mit einer guten Infrastruk­tur und Nähe zu den Niederland­en. „NRW gilt für die Mafia als Rückzugsor­t, als Operations­ort für ihre Geschäfte und als Transitlan­d, um etwa Drogen aus den Niederland­en zu schmuggeln.“

Sprenger steht vor dem KlöcknerHo­chhaus. Ihm ist von damals be- sonders die akribische Ermittlung­sarbeit in Erinnerung geblieben, mit der sie nach und nach den Tatverdäch­tigen auf die Spur gekommen sind – und der Druck, der auf ihm und seiner Mordkommis­sion gelastet hat. Die Welt habe schließlic­h auf die Duisburger Fahnder geschaut. „Wir haben zunächst begonnen, sämtliche Hintergrun­dinformati­onen abzuklären, vor allem zu der Örtlichkei­t, an der die Morde geschehen waren“, sagt Sprenger. Ein weiterer wichtiger Punkt sei die Identifika­tion der Opfer gewesen – wer also genau waren die insgesamt sechs Erschossen­en? Und wer die Täter? Unzählige Zeugen habe man befragt. Sprenger fällt ein Zeitungsbo­te aus der Tatnacht ein, der direkt nach den Schüssen zufällig Kontakt mit den Tätern gehabt hat. Dieser hatte, so steht es auch in den Ermittlung­sakten, zwei Personen auf ein Fahrzeug zulaufen sehen, das in einer Parkbucht am Straßenran­d stand. Er schaute sich die beiden an und bekam darauf in gebrochene­m Deutsch die Frage zugerufen: „Was guckst du?“– worauf er erklärte, er verteile nur Zeitungen. Dann fuhren die Mörder mit quietschen­den Reifen davon.

Zu den Kriminalit­ätsfeldern der Mafia gehört nach wie vor auch die traditione­lle Schutzgeld-Erpressung. Diese ist jedoch extrem schwer nachzuweis­en, nicht zuletzt wegen mangelnder Anzeigeber­eitschaft der Opfer. Ein Insider erklärt, dass man sich die moderne Schutzgeld­Erpressung anders vorstellen müsse, als dass jemand von der Mafia einmal im Monat in ein Restaurant kommt und Schutzgeld abholt. Das gebe es zwar sicherlich auch noch, aber heutzutage liefe das vor allem so ab: „Wer ein italienisc­hes Restaurant aufmacht, muss dann unter Umständen zum Beispiel Stühle, Tische oder Getränke von einem bestimmten Lieferante­n abnehmen. Hinter dem wiederum die Mafia steckt.“Man müsse sich nur einmal die Mühe machen und sich das Inventar verschiede­ner italienisc­her Restaurant­s anschauen. „Dann würde einem auffallen, dass die Inneneinri­chtungen sich doch sehr ähneln.“

Eine zentrale Rolle in den damaligen Ermittlung­en spielte das Restaurant „Da Bruno“. Sebastiano S. hatte es einige Jahre zuvor von einem anderen Italiener übernommen, der irgendwann nach der Wende in die neuen Bundesländ­er gegangen war. S. machte aus dem „Da Bruno“einen Anlaufpunk­t für Prominente, die damals noch zahlreich und oft nach Duisburg kamen – etwa wenn Thomas Gottschalk mit „Wetten, dass ..?“in der RheinRuhr-Halle war. Auch Banker und Geschäftsl­eute gingen bei ihm ein und aus. Er sei ein begnadeter Koch gewesen, der mit Menschen umgehen und sie bedienen konnte. Ein typischer lebensfroh­er Italiener eben. „Man fühlte sich wohl bei ihm“, sagt jemand, der ihn kannte. Was viele Gäste nicht wussten – oder gerne übersahen: S. war Mitglied der kalabrisch­en Mafia. In seinem Restaurant trafen sich auch ranghohe Mafiosi aus Italien, die sich temporär in Duisburg aufhielten. Den Fahndern war das jedoch nicht verborgen geblieben. „Wir wussten um die Bedeutung des Restaurant­s für die Mafia“, so ein Insider.

Sprenger steht vor den geschlosse­nen Türen des ehemaligen Restaurant­s und erzählt von der Durchsuchu­ng, bei der man ein ausgebrann­tes Heiligenbi­ld des San Michele, dem Schutzpatr­on der italienisc­hen Polizei, gefunden habe. Für die Ermittler habe damit festgestan­den: Der 18-jährige V. hat nicht nur Geburtstag gefeiert, sondern ist auch mit seiner Volljährig­keit in die ’Ndrangheta aufgenomme­n worden. „Zum Ritual gehört es, den Kopf des heiligen Michele auszubrenn­en“, erklärt Sprenger.

In NRW arbeiten heute rund 600 Polizisten im Bereich Organisier­te Kriminalit­ät. In keinem anderen Bundesland sind es mehr. Wie viele Anhänger hingegen die Mafia in NRW habe, kann das LKA nicht seriös sagen. Man habe ungefähr 100 Leute identifizi­ert, die möglicherw­eise Bezüge zur italienisc­hen Organisier­ten Kriminalit­ät haben. Man arbeite eng mit den Mafiajäger­n in Italien zusammen, die es zum Teil leichter haben, gegen die Kriminelle­n vorzugehen. Dort werden die Personen, die verdächtig­t werden, der Mafia anzugehöre­n, sofort abgehört. So sammele man schneller belastende­s Material. In Deutschlan­d, sagt Jungbluth, sei das nicht so einfach möglich. Dennoch habe man, wie der Fall Duisburg zeigt, sehr gute Ermittlung­sergebniss­e vorzuweise­n, „hinter denen wir uns nicht verstecken müssen“. Die Duisburger Mafiamorde seien durch klassische Ermittlung­sarbeit der Kriminalpo­lizei gelöst worden. „Dass sie die Tat so schnell aufgeklärt hat, war echt tolle Arbeit“, betont Jungbluth.

Der Haupttäter und Drahtziehe­r Giovanni Strangio, zur Tatzeit 28 Jahre alt, wurde 2011 zu lebenslang­er Haft verurteilt. Als Todesschüt­zen galten zunächst auch Giuseppe und Sebastiano Nirta. Mord haben die Ankläger den beiden aber nicht nachweisen können. Wegen Zugehörigk­eit zur Mafia wurden sie zu zwölf Jahren Haft verurteilt. Sprenger ärgert sich nicht über die milden Urteile für die Nirtas. Alle, die festgenomm­en worden seien, hätten hochkaräti­ge Anwälte an die Seite gestellt bekommen, die mit allen italienisc­hen Wassern gewaschen gewesen seien. Er sagt das genau an der Stelle, wo die Leichen gefunden worden sind. „Strangios Verteidige­r war sogar Staatssekr­etär in der Berlusconi-Regierung.“

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Heinz Sprenger (l.) und Thomas Jungbluth. FOTOS: REICHWEIN/BAUER
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Ein Mafiosi, der an den Morden beteiligt gewesen sein soll, wurde in Italien in einem Erdloch gefunden (l.). So berichtete die Rheinische Post 2007 über den Fall (r.). FOTOS: DPA
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Die Täter wurden kurz nach dem Blutbad von einer Überwachun­gskamera an einer Tankstelle gefilmt.
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Der Haupttäter und Drahtziehe­r der Mafiamorde, Giovanni Strangio.
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Eine der Tatwaffen: Eine italienisc­he Beretta, Modell 93R.

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