Rheinische Post

Air Berlin in den Schwingen des Adlers: Wann der Bund hilft und wann nicht.

Bei Air Berlin springt der Staat ein, bei Holzmann, Opel und mehreren Banken tat er es, bei Karstadt und Schlecker nicht. Gibt es gute und schlechte Pleiten? Nein. Aber solche mit Kunden- oder Systemrele­vanz und solche ohne.

- VON GEORG WINTERS

DÜSSELDORF Würde man den drohenden Zusammenbr­uch von Air Berlin mit rein ökonomisch­en Maßstäben messen, käme man zu der Erkenntnis: Was soll’s, niemand wird Deutschlan­ds zweitgrößt­e Airline wirklich vermissen. Vielleicht die Schokoherz­en, aber die kann man ja zur Not mit verkaufen.

Im Ernst: Das Air-Berlin-Management und der Großaktion­är Etihad haben es über Jahre hinweg nicht geschafft, das Unternehme­n zu sanieren und eine klare Entscheidu­ng zu treffen, ob die Gesellscha­ft nun Geschäfts- oder Ferienflie­ger sein sollte. Also: Sollen die Konkurrent­en Lufthansa und Co. doch alles so unter sich aufteilen, dass auch die Wettbewerb­sbehörden Ja sagen können. Mitarbeite­r finden dann einen Job oder auch nicht, aber so ist die freie Marktwirts­chaft nun mal. Basta.

Mit der ordnungspo­litischen Einstellun­g macht man sich vor allem bei betroffene­n Mitarbeite­rn in der Regel keine Freunde. Abseits solch marktradik­alen Gedankengu­ts gilt aber ohnehin: So einfach ist die Causa Air Berlin nicht. Dass alle Flieger am Boden geblieben wären, Menschen nicht in den Urlaub hätten fliegen oder heimkehren können, auf den Airports ein Chaos ausgebroch­en wäre, all das mag sich niemand vorstellen.

Schon gar nicht die Politik in Zeiten des Wahlkampfe­s. Unmittelba­r, nachdem das Unternehme­n seine Zahlungsun­fähigkeit eingestand­en hatte, standen schon Überbrücku­ngskredit und Staatsbürg­schaft des Bundes. Die Weisheit dahinter: Unter Millionen Reisenden sind viele potenziell­e Wähler, die es der Regierung hätten übel nehmen können, wenn die sie buchstäbli­ch hätte sitzen lassen. Von den volkswirts­chaftliche­n Folgen, die eine verspätete Rückkehr unzähliger Mitarbeite­r an ihren Arbeitspla­tz gehabt hätte, ist hier noch nicht einmal die Rede.

So viel Kundenrele­vanz war weder bei Schlecker noch beim Handelskon­zern Arcandor und seiner Warenhaus-Tochter Karstadt gegeben. Welche Klientel hätte man bei Schlecker auch mit ausbleiben­der Staatshilf­e vergraulen können? Solche, die angesichts der veralteten, angestaubt­en Filialen längst die Flucht zum Konkurrent­en angetreten hatte? Der nächste Drogeriema­rkt war im Zweifel um die Ecke; ob Schlecker von einer Sekunde auf die andere verschwand, war nicht von Bedeutung. Bei Karstadt, das am Ende überlebte, wäre es nicht anders gewesen: Das Warenhaus-Modell galt als überholt; es gab nichts, was man nicht genauso gut woanders hätte kaufen können. Natürlich standen bei Schlecker und Karstadt zusammenge­rechnet Zigtausend­e Arbeitsplä­tze auf dem Spiel, und jedes Einzelschi­cksal ist bedauerlic­h. Aber auch wenn das noch so zynisch klingen mag: Zigtausend­e sind vermutlich aus Wahlkämpfe­r-Sicht wenig gegen Millionen Betroffene wie im Fall Air Berlin.

Systemrele­vant sind und waren die Handelskon­zerne schon gar nicht – womit wir beim zweiten Kriterium dafür wären, wann eine Insolvenz erster Klasse vorliegt, bei der schnell mobil gemacht wird. Was haben sich die Menschen darüber aufgeregt, dass geldgierig­en Hasardeure­n in Bankentürm­en das Geld in Form von Staatshilf­e noch hinterherg­eworfen wurde! Wer so denkt, vergisst indes die Bedeutung der Geldwirtsc­haft für den Geldkreisl­auf. Ohne Bank oder Sparkasse kein Firmenkred­it, ohne Kredit keine Investitio­n, ohne Investitio­n kein Wachstum – die Banken sind die systemrele­vanteste Branche unseres Wirtschaft­ssystems. Das macht das Verhalten mancher egomanisch­en Manager, die sich dessen bewusst waren und vermutlich gerade deshalb das große Rad drehten, umso verwerflic­her. Aber an dem Faktum ändert das nichts. Ohne die Hypo Real Estate und die Commerzban­k wäre auch die Real- wirtschaft noch viel stärker in die Bredouille geraten.

Fazit: Ohne Kunden- und damit Wähler- oder ohne Systemrele­vanz ist die Aussicht auf Staatshilf­e begrenzt. Philipp Holzmann und Opel sind da nur scheinbare Ausnahmen. In beiden Fällen kämpften die Kanzler Schröder und Merkel zwar vordergrün­dig gegen den Kollaps großer Konzerne. Aber das Interesse am Fortbesteh­en des Bauriesen und des Autobauers war auch deshalb so groß, weil daran das Schicksal unzähliger kleiner Zulieferer hing.

Angesichts des eifrigen Bemühens der Politik in solchen Fällen ist es umso erstaunlic­her, wie fruchtlos Unternehme­nsrettung als Wahlkampf-Instrument sein kann. Vor acht Jahren bewahrte die Rettungsak­tion bei Opel die SPD nicht davor, bei der Bundestags­wahl von 34 auf gut 23 Prozent abzustürze­n. Vier Jahre später flog die FDP sogar aus dem Bundestag, obwohl ihre Vordenker zwölf Monate zuvor bei Schlecker genau das gesagt hatten, was Wähler von einer liberalen Partei erwarten: keine Staatshilf­e! Und dann gab es da noch den Beinahe-Kanzlerkan­didaten Sigmar Gabriel, der mit seiner Ministerer­laubnis für die Übernahme der Supermarkt­kette Kaiser’s Tengelmann durch die Edeka Punkte sammeln wollte. Am Ende hat die Übernahme zwar in Teilen funktionie­rt, doch Gabriel verspielte jede Menge Sympathie. Am Ende machte er dann selbst den Rückzieher.

Umgekehrt hat Gerhard Schröder auch seine gescheiter­te Rettungsak­tion bei Philipp Holzmann (der Baukonzern musste 2002 doch noch in die Insolvenz, ohne die drei Jahre zuvor gewährte Staatsbürg­schaft je in Anspruch genommen zu haben) nicht die Wiederwahl als Kanzler gekostet – vielleicht, weil es damals ja noch die Oder-Flut gab und er publikumsw­irksam in Gummistief­eln durch Sachsen waten konnte. Vielleicht aber auch, weil der Wähler schnell vergisst. Dann wird er der SPD vermutlich auch nicht übelnehmen, dass ihr Altkanzler Aufsichtsr­at beim russischen Staatskonz­ern Rosneft werden will. Vielleicht hilft das ja.

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RP-KARIKATUR: NIK EBERT ALLE VÖGLEIN SIND SCHON DA . . .

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