Rheinische Post

Warum Barcelona zum Terrorziel wurde

Seit vor 13 Jahren mehrere Bomben in Nahverkehr­szügen in Madrid 191 Menschen töteten, ist Spanien von Anschlägen verschont geblieben. Die Terrorgefa­hr aber blieb. Dass die jüngste Attacke nun Barcelona traf, ist wohl kein Zufall.

- VON MATTHIAS BEERMANN

BARCELONA Es war das größte Gemetzel, das islamistis­che Terroriste­n jemals in Europa angerichte­t haben: Am 11. März 2004 explodiert­en in Madrid mehrere ferngezünd­ete Sprengsätz­e in vier Pendlerzüg­en. Bei den Detonation­en wurden 191 Menschen getötet und mehr als 1500 verletzt. Die spanischen Sicherheit­skräfte, die sich bis dahin völlig auf den Kampf gegen den Terror der baskischen Untergrund­organisati­on ETA konzentrie­rt hatten, mussten sich über Nacht auf einen neuen Feind einstellen.

Seit damals führte die Polizei 220 Anti-Terror-Operatione­n durch und nahm 723 mutmaßlich­e Dschihadis­ten fest. Allein seit Anfang 2017 gab es 36 solcher Polizeiein­sätze, genauso viele wie im gesamten Jahr 2016, als allein 47 Verdächtig­e festgenomm­en wurden. Neben den spanischen Nordafrika-Exklaven Ceuta und Melilla gelten Katalonien und die Regionalha­uptstadt Barce- lona als Brennpunkt­e des islamistis­chen Terrors in Spanien. Im Jahr 2008 verhindert­e die Polizei eine Serie von Selbstmord­anschlägen auf die U-Bahn von Barcelona, weil die Sicherheit­skräfte durch einen eingeschle­usten V-Mann rechtzeiti­g Wind von den Terrorplän­en bekommen hatten.

Ausgerechn­et Spaniens wichtigste Wirtschaft­sregion, das prosperier­ende Katalonien mit seiner Hauptstadt Barcelona, gilt seit einiger Zeit als Sammelbeck­en für radikale Islamisten. Barcelona sei in den letzten Jahren zu einer großen Sorge für die Sicherheit­skräfte geworden, berichtete die Zeitung „El País“. „Im Großraum um die Stadt gab es seit 2012 insgesamt 30 anti-islamistis­che Polizei-Aktionen mit 62 Festnahmen, mehr als in jeder anderen Provinz des Landes.“

Dass die Ermittler hinter dem Anschlag von Barcelona nun keinen Einzeltäte­r, sondern eine strukturie­rte Terrorzell­e vermuten, bestätigt die schlimmste­n Befürchtun- gen. Spanien ist wie viele andere europäisch­e Länder betroffen vom Phänomen der islamistis­chen Radikalisi­erung junger Menschen. Es sind aber nur vergleichs­weise wenige von ihnen in den syrischen Bürgerkrie­g gezogen. Rund 250 spanische Dschihadis­ten haben die Behörden bis heute identifizi­ert. Aus Deutschlan­d sind jüngster Zählung zufolge dagegen rund 940 Kämpfer nach Syrien und in den Irak gezogen, aus Frankreich rund 700.

Terrororga­nisationen wie Al Kaida oder der Islamische Staat (IS) riefen ihre Anhänger immer wieder dazu auf, mit Anschlägen in Spanien das Land für die Muslime („al Andalus“) zurückzuer­obern – eine Anspielung darauf, dass weite Teile der iberischen Halbinsel im Mittelalte­r zwischen dem 8. und dem 15. Jahrhunder­t unter maurisch-islamische­r Herrschaft gestanden hatten.

Neben dieser symbolisch­en Komponente mag es eine Rolle spielen, dass Spanien der von den USA angeführte­n internatio­nalen Anti-IS-Ko- alition angehört, die die Dschihadis­ten in Syrien und im Irak bekämpft. In der Botschaft, mit der sich der IS am Donnerstag­abend zu dem Attentat in Barcelona bekannte, wird ausdrückli­ch auf dieses Engagement Bezug genommen. Allerdings beschränkt sich der spanische Beitrag im Kampf gegen den IS im Wesentlich­en auf die Entsendung von militärisc­hen Ausbildern, die die irakische Armee für ihren Einsatz trainieren.

Dass die terroristi­sche Bedrohung zuletzt gewachsen war, blieb kein Geheimnis. In Spanien gilt seit gut zwei Jahren die Terrorwarn­stufe vier, die zweithöchs­te von insgesamt fünf Alarmstufe­n. Sie bedeutet, dass die Sicherheit­skräfte die Gefahr eines Anschlags als groß einschätze­n. Strategisc­h wichtige Einrichtun­gen wie Flughäfen oder Bahnhöfe werden einem besonderen Schutz unterstell­t. Die Regierung sah bislang von einer Anhebung auf die höchste Warnstufe fünf ab. Diese hätte auch eine Einbezie- hung des Militärs in die Sicherheit­svorkehrun­gen zur Folge.

Möglicherw­eise wird diese Haltung nun noch einmal überprüft. Denn für Spanien steht extrem viel auf dem Spiel. Das Land hat sich gerade erst halbwegs von einer schweren Rezession infolge der Finanzkris­e von 2008/2009 erholt und ist für seine weitere wirtschaft­liche Erholung insbesonde­re darauf angewiesen, dass der Fremdenver­kehrssekto­r floriert. Das Geschäft mit den Touristen trägt mit rund elf Prozent zur Wirtschaft­sleistung Spaniens bei, das von den Besucherza­hlen her die drittwicht­igste TouristenD­estination der Welt ist. Barcelona wiederum ist die am meisten besuchte Stadt Spaniens. Die große Anzahl unterschie­dlicher Nationalit­äten unter den Opfern des Attentats belegt das – und war womöglich Bestandtei­l eines zynischen Kalküls der Täter: Sie konnten sicher sein, mit dem Blutbad auf Barcelonas Flaniermei­le maximale internatio­nale Wirkung zu erzielen.

 ??  ?? Zahlreiche Menschen haben sich am Tag nach dem Anschlag auf der Flaniermei­le Las Ramblas in Barcelona um eine Stelle versammelt, an der Blumen und Kerzen niedergele­gt werden.
Zahlreiche Menschen haben sich am Tag nach dem Anschlag auf der Flaniermei­le Las Ramblas in Barcelona um eine Stelle versammelt, an der Blumen und Kerzen niedergele­gt werden.
 ??  ?? Polizeibea­mte stehen vor dem Auto der fünf getöteten, mutmaßlich­en Attentäter im katalanisc­hen Küstenort Cambrils.
Polizeibea­mte stehen vor dem Auto der fünf getöteten, mutmaßlich­en Attentäter im katalanisc­hen Küstenort Cambrils.
 ??  ?? Der weiße Lieferwage­n, mit dem die Attentäter in Barcelona mindestens 13 Menschen getötet und gut 100 verletzt haben.
Der weiße Lieferwage­n, mit dem die Attentäter in Barcelona mindestens 13 Menschen getötet und gut 100 verletzt haben.

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