Rheinische Post

Merkels Problemzon­e

Die Kanzlerin wird in Sachsen und in Thüringen ausgepfiff­en. Auch andere Spitzenpol­itiker haben es in den neuen Ländern schwer.

- VON GREGOR MAYNTZ

BERLIN Es sind zwei Welten der Wahrnehmun­g, zwischen denen sich Angela Merkel in diesem Wahlkampf bewegt. Da gibt es das Bedauern über das Fehlen echter, leidenscha­ftlicher Kontrovers­en, da gibt es die vergeblich­en Versuche des Herausford­erers Martin Schulz, die Kanzlerin aus der Reserve zu locken, da gibt es die Darstellun­g, dass Merkel alle Themen weichspült und sogar die „Ehe für alle“rechtzeiti­g als Argument gegen die Union entschärft. Und es gibt AnnabergBu­chholz.

Das 20.000-Einwohner-Städtchen im Herzen des Erzgebirge­s sollte eigentlich stolz sein auf die CDU im Bund und im Land. Findet jedenfalls Ministerpr­äsident Stanislaw Tillich. Zu Beginn von Merkels Kanzlersch­aft seien im Erzgebirge 20 Prozent arbeitslos gewesen, heute nur noch fünf Prozent. Doch viele Erzgebirgl­er wollen es nicht hören. Sie haben mit der Ankunft der Kanzlerin die Trillerpfe­ifen herausgeho­lt. Ohrenbetäu­bend ist die Mauer aus Krach, die sie vor Merkel auf dem Markt aufbauen. Zehntausen­de schauen sich das Spektakel auch tags drauf im Internet an, kommentier­en zu Hunderten ähnlich wie die, die in Annaberg-Buchholz „Volksverrä­ter“schrien und „Hauab“-Schlachtru­fe anstimmten.

„Volksverrä­ter“-Rufe und „Hauab-hau-ab-hau-ab“-Gebrüll. Das erlebte auch SPD-Justizmini­ster Heiko Maas, als er im Juli in Dresden etwas zu seinem Vorgehen gegen Lügen im Internet sagen wollte. Pegida hatte eigens seinetwege­n die Montagsdem­onstration abgesagt, damit die Anhänger auf eine AfDDemo gegen Maas gehen konnten. Auch Sigmar Gabriel hatte schon ganz spezielle Begleitmus­ik im sächsische­n Heidenau. Er ließ sich zu abfälligen Bemerkunge­n über das „Pack“provoziere­n.

„Volksverrä­ter“-Rufe und „Hauab“-Gebrüll. Solche Proteste gestaltete­n auch das Bild von Dresden, als Sachsen Gastgeberl­and der Einheitsfe­iern zum 3. Oktober war, seinerzeit garniert mit Schimpfwor­ten obszönster Art und um kräftigen Rassismus gegen farbige Gottesdien­stbesucher ergänzt. Der Aufschrei war groß, die Urheber fanden sich bestätigt.

Und sie finden sich nun in den Parlamente­n wieder. Mit 9,7 Prozent zog die AfD bereits 2014 in den sächsische­n Landtag ein, als von der Flüchtling­skrise noch niemand redete, vergangene­s Jahr wurden die Gegner von Merkels Politik zweitstärk­ste Kraft in Sachsen-Anhalt, holten 24,3 Prozent. Inzwischen se- hen die Umfragen sie auch in Sachsen bei 21 Prozent.

Im Gegensatz zur Überzeugun­g von Kurt Biedenkopf, des ersten sächsische­n CDU-Ministerpr­äsidenten, sind die Sachsen eben alles andere als „immun“gegen Rechtsextr­emismus. Auch in anderen neuen Ländern hatten schon zuvor Nationalis­ten von rechts außen leichtes Spiel. Die Erklärunge­n gehen weit auseinande­r, verweisen zum Teil auf die fehlende Offenheit des DDR-Regimes, auf wenig Erfahrun- gen mit Migranten, aber auch auf Unzufriede­nheit mit der eigenen Situation und auf die Erfahrunge­n, nicht Akteur, sondern Subjekt der Einheit gewesen zu sein.

Sie haben aber möglicherw­eise auch mit den Auftritten von Merkel in ihrem 2005er Bundestags­wahlkampf in den neuen Ländern zu tun, der sie anschließe­nd ins Kanzleramt führte. Damals warnte die CDU-Vorsitzend­e ihre Landsleute: „Geben Sie Ihre Stimmen nicht in den Protest, sondern dahin, wo sie etwas bewegen können.“Seinerzeit war es Merkels größte Sorge, die Wähler der neuen Länder könnten die Linksparte­i stärken. Heute sorgt sich die Linksparte­i, dass der im Osten weit verbreitet­e Protest immer mehr von links nach rechts wandert. Und Merkel argumentie­rt ähnlich wie vor zwölf Jahren. In Sachsen unterschei­det sie zwischen denen, die nur brüllen und denen, die etwas gestalten wollen. Sie wendet sich gegen diejenigen, die nur wissen, was sie nicht wollen. So komme man nicht voran, ruft Merkel gegen die Pfeifen an.

Vom Lärm hat sich Merkel schon am Donnerstag­abend in Sachsen und später auch in Thüringen nicht beeindruck­en lassen. Auch am folgenden Tag, als sie in Berlin ein „begehbares Wahlprogra­mm“vorstellt und die CDU damit auf innovativ und stylish bürstet, reagiert sie gelassen auf Fragen nach den massiven und sehr persönlich­en, teils auch beleidigen­den Protesten.

Merkel wirbt für ein „Deutschlan­d, in dem wir gut und gerne leben“. Gibt es für sie Regionen, in denen sie nicht so gut und gerne Wahlkampf macht? Entschiede­n verneint sie das, sie mache „überall gerne Wahlkampf“und „gerade da“, wo für die Demokratie noch mehr gekämpft werden müsse. Und so sei auch der Besuch in AnnabergBu­chholz „sehr, sehr wichtig“gewesen, um dort mit den Menschen über die Demokratie zu reden.

Sie hängt es also ganz hoch auf, arbeitet sich nicht an Trillerpfe­ifen und „Hau-ab“-Rufen ab, sondern sieht den Wahlkampf grundsätzl­ich als „Fest der Demokratie“.

 ??  ?? Herzchen von den einen, Hass von den anderen – Angela Merkel bekam vom Publikum im sächsische­n Annaberg-Buchholz beide Seiten zu spüren.
Herzchen von den einen, Hass von den anderen – Angela Merkel bekam vom Publikum im sächsische­n Annaberg-Buchholz beide Seiten zu spüren.
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