Rheinische Post

Die Auswanderi­nnen

Vera von Thelemann lebt seit 30 Jahren in Südafrika, Hannelore Günther seit den 50ern in Brasilien. Eine Begegnung.

- VON NICOLE KAMPE

PEMPELFORT Hannelore Günther und Vera von Thelemann sind sich vor ein paar Tagen zum ersten Mal begegnet. Nicht zufällig, sondern gezielt, obwohl sie von der Existenz der anderen bis zu ihrem Treffen nichts wussten. Eingefädel­t hat das Marcel Jügel, Direktor des Hotels am Hofgarten. Weil Günther und von Thelemann schon seit vielen Jahren Gäste sind in seinem Hotel und sie eine ganz ähnliche Lebensgesc­hichte verbindet. Denn Hannelore Günther (85) lebt in Brasilien, Vera von Thelemann (76) in Südafrika. Beide Frauen sind Auswanderi­nnen, einmal im Jahr zieht sie es aber wieder nach Düsseldorf. Zum ersten Mal sind die Frauen zur gleichen Zeit in der Stadt. Das wollte Jügel nutzen, um sie zusammenzu­bringen, die Gäste von weit her, die so treu in das Haus an der Arnoldstra­ße kommen, das keinen Aufzug hat.

1956 zog Hannelore Günther mit ihrem Mann nach Brasilien, 24 ist sie gewesen. Für Mannesmann hatte ihr Mann damals gearbeitet, er sollte das Unternehme­n in Brasilien ausbauen. „Sechs Jahre sind wir geblieben“, sagt die 85-Jährige. Danach ging es zurück nach Deutschlan­d, bis Günthers Mann wieder nach Südamerika musste. „Diesmal für immer“, sagt die Seniorin. Schwer sind die Anfänge gewesen für die junge Frau, die die Sprache nicht sprach, die Kultur nicht kannte. „Ich war frisch verheirate­t“, erzählt sie, das Studium der Germanisti­k hatte sie gerade abgeschlos­sen, aber nie etwas damit gemacht. Irgendwann bekam sie Kinder, drei Söhne, und bald fühlte sich Günther heimisch in Brasilien.

Eine echte Business-Frau ist Vera von Thelemann gewesen, sie heiratete spät, „mit 37“, sagt sie, für Kin- der hatte sie keine Zeit. Mit 46 dann erlitt sie einen Schlaganfa­ll, der alles in ihrem Leben verändern sollte. „Pille und Kettenrauc­hen sind keine gute Kombinatio­n“, sagt die heute 76-Jährige, die sich trotz langer Krankenhau­saufenthal­te und Therapien nie ganz erholt hat. Sie musste raus aus Deutschlan­d, weg von den kalten, nassen Wintern, „ich wusste, wenn ich einen zweiten Schlaganfa­ll bekomme, überlebe ich das nicht“. Der Bruder ihres Mannes lebte zu dem Zeitpunkt schon in Südafrika, sie wollte die Fa- milie um sich, „und die Luft dort war viel besser“, sagt von Thelemann. „Zumindest damals.“Die Sommer in Südafrika werden heißer, das Wasser ist knapp. In Somerset West baute sie sich in den 80ern ein neues Zuhause auf, 30 Minuten von Kapstadt entfernt, „Düsseldorf ist aber meine Heimat geblieben“, sagt Vera von Thelemann, deswegen kommt sie immer wieder. Immer in das gleiche Hotel, immer zu Marcel Jügel, der die beiden Frauen empfängt, als gehörten sie zur Familie. Inzwischen reist von Thelemann al- lein, ihr Mann ist vor ein paar Jahren gestorben. Anstrengen­der sind die Flüge geworden, „aber mein Anwalt ist hier, gleich gegenüber vom Hotel“.

Wie lange Hannelore Günther die weite Flugreise noch auf sich nimmt, das weiß sie nicht. Mit 85 ist das nicht mehr ganz so leicht wie früher, als sie zwei, drei Mal im Jahr gekommen ist, „da lebten meine Eltern noch“, sagt sie. Wie bei Vera von Thelemann ist auch Günthers Mann gestorben, allein fliegt sie aber nicht mehr, „einer meiner Söh- ne kommt dann mit“, sagt die Mutter dreier Jungs, die inzwischen auch schon Enkel hat, denen sie gerne Deutschlan­d zeigt. Berlin, Paderborn, Kevelaer – das steht in diesem Sommer auf dem Programm, ihr Bruder wohnt am Niederrhei­n.

Viel vermisst Günther nicht von Deutschlan­d, wenn sie in Brasilien ist – außer die Familie natürlich, gute Würstchen und den scharfen Löwensenf. Einen kleinen Vorrat legt sie sich zu, bevor sie wieder abreist, an den Ort, der vor drei Jahren in die Fußball-Geschichts­bücher eingegange­n ist. „7 zu 1 sage ich nur“, so Günther, die meisten wissen dann schon, dass sie von Belo Horizonte spricht.

Besseres Wetter gibt es dort jedenfalls, da kann ihr Vera von Thelemann nur zustimmen. Einen trüben Sommer haben die beiden in Düsseldorf erwischt, dafür genießt die 76-Jährige die Kultur hier, „mir fehlt die Oper, und ich liebe den Hafen, die Ghery-Bauten“, sagt sie. „Und Zwetschgen­konfitüre gibt es bei uns nicht.“In einem alten, schönen Haus wohnt Vera von Thelemann in Somerset West, „haben Sie eigentlich auch eine Maid?“, fragt sie ganz selbstvers­tändlich Hannelore Günther, die nickt „und früher einen Gärtner“, hinzufügt, bevor sie eine kleinere Eigentumsw­ohnung bezog.

Ein bisschen anders ist das Leben wohl in Brasilien und Südafrika, dort wo zwei Frauen vor vielen Jahren angekommen sind, die ihre Heimat in Düsseldorf haben und ein Zuhause im Ausland. Die viel zurückgela­ssen haben, mutig waren und Neues entdeckten, und irgendwann sind die Grenzen ein bisschen verschwomm­en, zwischen Zuhause und Heimat. Ans Zurückkomm­en aber denkt keine mehr von ihnen – nur der Urlaub, der ist Pflicht, so lange es noch geht.

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Vera von Thelemann (l.) lebt in Somerset West in Südafrika, Hannelore Günther zog mit Ihrem Mann vor mehr als 60 Jahren ins brasiliani­sche Belo Horizonte.

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