Rheinische Post

Wenn man erst mal lesen kann

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Liebes kleines Mädchen aus Bilk, wenn du in zwei, drei Jahren lesen gelernt haben wirst und sich dir eine völlig neue Welt eröffnet hat, dann wirst du vergessen haben, was dir am Wochenende passiert ist. Deshalb schreiben wir es für dich auf, in der Hoffnung, dass du irgendwann zufällig auf diesen Text stoßen wirst.

Als du so etwa zwei Jahre alt gewesen bist – am vergangene­n Samstag also – da haben deine Eltern dich zum Einkaufen mitgenomme­n. Du hattest eine Menge Spaß, und du hättest noch viel mehr Spaß gehabt, wenn du einen dieser kleinen Kindereink­aufswagen hättest haben dürfen. Durftest du aber nicht. Die sind nur für Schulkinde­r, hat deine Mama gesagt, und vielleicht war das ganz gut so, denn andere Kleinkinde­r sind mit solchen Wagen kreuz und quer durch den Supermarkt gerannt und haben ziemlich viele Beinahe-Unfälle provoziert.

Du warst dagegen sehr brav. Du wolltest Buntstifte. Nur für Schulkinde­r, hat deine Mama gesagt. Und die Schokorieg­el, die du haben wolltest, auch. Dann wolltest du Bonbons. Genau. Schulkinde­r. Kinder, die nach den Ferien eingeschul­t werden, hat deine Mama wörtlichge­sagt. Sie hat dich also für klug genug gehalten, zu wissen, was „eingeschul­t“heißt. Aber für doof genug, zu glauben, dass man es sein muss, um ein Stück Schokolade zu kriegen.

Liebes kleines Mädchen aus Bilk, du warst so entzückend. Du hast nicht etwa geheult. Du hast genickt und gelächelt. Jedes Mal. Und jetzt geh zu deinen Eltern und hol’ dir eine Taschengel­derhöhung! sg

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