Rheinische Post

Nebenjobs sichern oft das Überleben

Eine Studie des Forschungs­instituts für Bildungs- und Sozialökon­omie zeigt: Bafög reicht für viele Studenten nicht zum Leben aus.

- VON MATHIAS HENDRIX

DÜSSELDORF Eigentlich ist nicht das Geld das Problem, sondern das Zeitmanage­ment, sagt Sophie Thiele (20), Studentin aus Düsseldorf. „Ich komme schon gut durch den Monat, aber ich hätte gerne mehr Zeit für die Uni.“Thiele hatte ursprüngli­ch gehofft, dass sie sich mit dem Bafög komplett auf ihr Studium konzentrie­ren kann. Doch wie sich zeigte, lag sie damit falsch. Denn ohne Job kommt die Medien- und Kulturwiss­enschaftss­tudentin nicht aus. Sie hat einen Bafög-Anspruch auf rund 400 Euro. Das Geld geht schon fast komplett für die Miete ihres WG-Zimmers in Düsseldorf drauf. Sophie Thiele darf aber bis zu 450 Euro pro Monat zu ihrem Bafög dazuverdie­nen. So führt für die Studentin, die ursprüngli­ch aus Aachen kommt, kein Weg an einem Job neben dem Studium vorbei.

Thiele arbeitet nebenbei als Redaktions­assistenti­n in einem Medienunte­rnehmen. Das hat zur Folge, dass sie von Montag bis Freitag 18 Stunden Nebenjob und vier Tage Uni unterbring­en muss. Da bleibt ihr manchmal nichts anderes übrig, als bei der einen oder anderen Vorlesung zu fehlen. „Ich muss oft die Uni ausfallen lassen“, gibt sie zu. Bei Thiele führt ihre aktuelle Situation zu Dauerstres­s, Schlafmang­el und könnte sich noch zu einem Studium mit Überlänge entwickeln.

Die Problemati­k eines gut gefüllten Terminkale­nders kennt auch Kristina Gorytzka. Die 25-Jährige lebt in einer WG in Düsseldorf. Sie hat zwar ein Anrecht auf den BafögHöchs­tsatz, welcher bei 735 Euro liegt, würde aber etwas mehr Geld zum Leben als angenehmer empfinden. Aktuell arbeitet Gorytzka nicht nebenbei, da sie sich in Ruhe auf ihre Bachelorar­beit konzentrie­ren möchte. Außerdem möchte sie gerne als Ausgleich zum eher theoretisc­hen Studiengan­g praktische Erfahrunge­n sammeln, die ihr dabei helfen, später einen Job in der Medienbran­che zu finden. Zu ihren Finanzen sagt Gorytzka: „Wenn ich alle laufenden Kosten gezahlt habe, bleiben ungefähr noch 250 Euro übrig.“Davon muss sie dann noch ihre Lebensmitt­el, Kleidung und Freizeitak­tivitäten bezahlen.

Laut den Ergebnisse­n einer Studie des Forschungs­instituts für Bildungs- und Sozialökon­omie (FiBS) könnte das Bafög ruhig höher ausfallen. In der Studie wurden die 20. Sozialerhe­bung 2012 des Deutschen Studentenw­erks, die Einkommenu­nd Verbrauche­rstichprob­en (EVS) 2013 vom Statistisc­hen Bundesamt und das sozial-ökonomisch­e Panel 2010 des Deutschen Instituts für Wirtschaft­sforschung (DIW) miteinande­r abgegliche­n. Demnach ergibt sich ein Bedarf von 922 Euro bei alleinlebe­nden Studenten. Das wären fast 200 Euro mehr als der aktuelle Bafög-Höchstsatz (735 Euro).

Die Studie wurde vom Deutschen Studentenw­erk (DSW) in Auftrag gegeben, um den Sozialleis­tungsbedar­f von Studenten zu untersuche­n. Der Grund: Bei der Einführung des Bafög 1971 wurde keine empirische Ermittlung angefertig­t. Bis heute wurden keine Statistike­n verglichen und ausgewerte­t, die aufzeigen, wie viel Geld Studenten in ihrem Alltag benötigen. Dieter Timmermann, Präsident des Deutschen Studentenw­erks, fordert, dass eine neue Bundesregi­erung nach der Wahl im September den studentisc­hen Bedarf auf der Grundlage aktueller Daten ermittelt, um eine Bafög-Erhöhung auf den Weg zu bringen, die die heute aufgezeigt­en Förderlück­en schließt.

„Die Förderung ist seit Jahren zu gering bemessen, so dass viele zusätzlich noch einen Nebenjob ergreifen müssen“, sagt auch Michael Schema, Koordinato­r der Studierend­envertretu­ngen NRW (ASten). In NRW lag der durchschni­ttliche Förderbeda­rf der Jahresbila­nz der Studierend­enwerke NRW zufolge bei 440 Euro. Und: Nur etwa jeder siebte Student in NRW erhält Bafög. 2016 wurden nur noch 14,8 Prozent der Studierend­en mit Bafög unterstütz­t – 2015 waren es 16,4 Prozent. Die Quote sinkt seit Jahren. „Das führt natürlich dazu, dass Kinder aus nicht-akademisch­en Elternhäus­ern eher von einem Studium abgehalten werden“, kritisiert Schema. In der jüngsten Sozialerhe­bung des Deutschen Studentenw­erks gaben 79 Prozent der befragten BafögEmpfä­nger an, ohne die Förderung gar nicht studieren zu können. Die ASten fordern einen von Elterneink­ommen und Regelstudi­enzeit unabhängig­en Vollzuschu­ss.

Sophie Thiele und Kristina Gorytzka werden von möglichen Veränderun­gen wahrschein­lich nicht mehr viel mitbekomme­n. Sie freuen sich bereits darauf, einen festen Job zu haben und finanziell vollkommen unabhängig zu sein. Vom ersten Gehalt, erzählen sie, wollen sie verreisen.

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