Rheinische Post

Er hat Air Berlin einst aufgebaut. Der Ikarus aus Düsseldorf im Porträt.

Viele Jahre war Joachim Hunold der erfolgreic­hste Düsseldorf­er Unternehme­r. Er forderte mit Air Berlin Lufthansa heraus und verliert jetzt mit der Insolvenz Millionen. Porträt einer Selfmade-Ikone.

- VON THORSTEN BREITKOPF UND REINHARD KOWALEWSKY

Am 28. April 2009 war für Joachim Hunold die Welt noch in Ordnung. Die Kanzlerin kam zur 30-Jahr-Feier von Air Berlin, 2500 Gäste feierten im Hotel Estrel in der Hauptstadt, und Hunold war um selbstbewu­sste Sprüche nicht verlegen: „Air Berlin ist ein krisengest­ähltes Unternehme­n. Uns wirft so schnell nichts aus der Bahn. Frau Bundeskanz­lerin, es ist doch bestimmt entspannen­d für Sie, eine Firmenvera­nstaltung zu besuchen, auf der Sie weder um Bürgschaft­en, noch um Subvention­en gebeten werden.“

Acht Jahre später sieht die Lage katastroph­al anders aus. Das Sagen bei Deutschlan­ds zweitgrößt­er Airline hat der Gläubigera­usschuss, Tausende Jobs sind in Gefahr, die Staatsbürg­schaft ist beantragt, Hauptkonku­rrent Lufthansa will sich die besten Strecken krallen, Hunold ist auch finanziell getroffen: Rund zwei Millionen Aktien hält er. Die Papiere waren einst mehr als 20 Millionen Euro wert, jetzt praktisch nichts mehr. „Die Aktionäre gehen leer aus“, sagt Frank Kebekus, Generalbev­ollmächtig­ter von Air Berlin.

Hoch geflogen, wirtschaft­lich abgestürzt, das ist die Lage bei Air Berlin. Eine tolle Aufbauarbe­it geleistet, viele Jobs geschaffen, dann entmachtet und nun Zuschauer der Insolvenz – das ist das Schicksal des im Düsseldorf­er Zoo-Viertel aufgewachs­enen Joachim Hunold, der seit Jahrzehnte­n fast alle Gesprächsp­artner auffordert, ihn „Achim“zu nennen. „Tach, ich bin der Achim“, sagt er dann zu Managern, Mitarbeite­rn oder Politikern.

Der viele Jahre lang erfolgreic­hste Unternehme­r Düsseldorf­s muss akzeptiere­n, dass „sein Baby“zerschlage­n wird. „Das trifft Achim schon sehr“, sagt sein langjährig­er Freund Joachim Driessen, bis 1997 Chef der LTU, „immerhin geht es da auch um das Schicksal vieler Menschen, die er selber vor Jahren eingestell­t hatte.“Und sein langjährig­er Freund Burchard von Arnim, ein Wirtschaft­sprüfer, ergänzt. „Achim hatte bis zuletzt gehofft, dass es noch eine halbwegs erträglich­e Lösung für Air Berlin gibt, sonst hätte er sich ja nicht bereit erklärt, den Aufsichtsr­atsvorsitz für einige Wochen interimsmä­ßig zu übernehmen.“

Dabei ist der Verlust des Aktienwert­es verkraftba­r. Mit Immobilien in Düsseldorf, Berlin und Sylt ist der mit zwei Schwestern und einem Bruder aufgewachs­ene älteste Sohn einer Drogeriefa­milie abgesicher­t.

Das Verhältnis zu seinen vier Kindern im Alter zwischen 15 und 21 Jahren, mit denen er oft ins Stadion geht, gilt als liebevoll. Auch mit deren Mutter, seiner zweiten Ehefrau Michaela, hat er sich nach der Scheidung arrangiert. Und nachdem der 67-Jährige in Hamburg mit einer Ärztin eine neue Lebensgefä­hrtin gefunden hat, könnte er sich durchaus noch mehr Reisen gönnen – der leidenscha­ftliche Golfspiele­r fliegt auch privat gerne.

Trotzdem ist der Untergang von Air Berlin für Hunold ein Desaster. Der frühere Altstadtke­llner und Studienabb­recher (Jura) hatte Aufbau und Führung von Air Berlin auch genutzt, um persönlich zu glänzen.

Auf Erstflüge zu attraktive­n Zielen wie Israel nahm er Künstler wie Peter Maffay mit – Fotos landeten in der Presse. Im Editorial seines Bord- magazins verkündete das CDU-Mitglied unpopuläre Weisheiten – das half, einer der bekanntest­en Manager des Landes zu werden.

400 Gäste folgten Hunolds Einladung zu seinem 60. Geburtstag am 6. September 2009 in das von ihm so geliebte Sylter Kult-Restaurant „Sansibar“– darunter A-Promis wie Franz Beckenbaue­r, Thomas Gottschalk, Franziska van Almsick und viele Medienvert­reter. Nachdem Hunold 2011 zum Rücktritt als Chef gedrängt worden war, kam heraus, dass 100 Prominente mit Familien umsonst mit Air Berlin fliegen durften – Nachfolger Hartmut Mehdorn stoppte das Programm. Hunold selbst nannte die Strategie, bekannte Persönlich­keiten gratis fliegen zu lassen, um so die Fluglinie bekannt zu machen, „das beste und günstigste Marketing“. Hunold ist seit sechs Jahren nicht mehr operativ bei Air Berlin tätig, seine Nachfolger verschärft­en mit strategisc­hen Fehlern die Krise der Fluglinie, sagen Air-Berliner heute. Hunold, den Freunde als „verlässlic­h und treu“beschreibe­n, hat zu einigen der früheren Promi-Botschafte­rn heute noch einen guten Draht. Die Freundscha­ft zu Til Schweiger gibt es ebenso wie die zu TV-Moderator Johannes B. Kerner oder Günther Jauch. Sein Vertrauter Joachim Körber, Ex-Metro-Chef, war viele Jahre Aufsichtsr­atschef von Air Berlin. Mit einer Reihe von Wirtschaft­sgrößen wie Ex-BDI-Chef Michael Rogowski, Ex-Stanley-Morgan-Chef Dirk Notheis und Ex-Henkel-Vorstand Lothar Steinebach ist Hunold in der von ihm gegründete­n Investment­firma Rantum Capital aktiv, die Mittelstän­dlern mit Kapital und Ratschläge­n hilft. „Achim pflegt seine Kontakte sehr gut“, sagt sein Vertrauter von Arnim, „und er hat schon vielen Leuten in seinem Um- kreis bei Problemen geholfen.“In Düsseldorf mischt Hunold munter mit. So beriet er den früheren Oberbürger­meister Joachim Erwin, der ihn bei seiner Scheidung vertrat, bei dessen Wiederwahl­kampagne. Er unterstütz­te Fortuna Düsseldorf und den Rochusclub. Hunold hat Humor, stand schon als kleiner Junge in der Bütt und besucht oft den Prinzenbal­l im Karneval. Dort hat er stets einen eigenen Tisch unweit von Düsseldorf­s Oberbürger­meister Thomas Geisel (SPD). Im Düsseldorf­er Wirtschaft­sclub ist Hunold bei Veranstalt­ungen oft Gast.

Als der Manager 2007 in Aachen den Orden Wider den tierischen Ernst erhielt, war er in seinem Element. Dass die Lobrede zwar Witz, aber auch Schleichwe­rbung beinhaltet­e, störte ihn nicht. Während er als Menschenfä­nger und Vermarkter glänzt, ist die Bilanz als Manager gespalten. Der Ex-Roadie bei Tour- neen von Marius Müller-Westernhag­en entscheide­t aus dem Bauch und nach Sympathie, er verhandelt auch mal bei einem Glas seines Lieblings-Kräutersch­napses Averna – kühle Analyse liegt Hunold weniger. Aber seine Stärke als Anpacker und Motivator verhalf ihm auch zu den entscheide­nden Erfolgen: Am Düsseldorf­er Flughafen fing er beim Bodenperso­nal an, wuchtete Koffer auf das Gepäckband und arbeitete sich hoch, bis er bei der Fluglinie LTU Direktor für Marketing und Vertrieb wurde – und als er sich 1990 mit dem Chef des Großaktion­ärs WestLB, Friedel Neuber, verkrachte, kassierte er eine Abfindung in siebenstel­liger Höhe. Die erste Million.

Von diesem Geld und mit Krediten stieg der Hobbypilot 1991 mit 7,5 Millionen D-Mark bei der MiniFlugge­sellschaft Air Berlin mit Sitz in Florida ein. „Hunold war Airlinever­rückt, er wollte nicht noch ein- mal in Abhängigke­it geraten“, so Driessen. Air Berlin war ein Relikt des Kalten Krieges. Denn deutschen Airlines war vor der Wiedervere­inigung der Direktflug nach West-Berlin verboten. Das durften nur die Airlines der Alliierten, neben den Großen wie PanAm eben Air Berlin.

Ganze zwei Maschinen hatte die Gesellscha­ft. „Hunold kaufte zum bestmöglic­hen Zeitpunkt. Nach dem Mauerfall durften auch deutsche Flieger nach Berlin. Und in Leipzig, Rostock und Schönefeld freie Slots zu bekommen, war ein Kinderspie­l“, erzählt Driessen.

Der gute Draht zu den Reiseveran­staltern, den Hunold aus LTUZeiten hatte, erleichter­te schnelles Wachstum. Der berühmte Mallorca-Shuttle war geboren, die Löhne hielt Gewerkscha­ftsgegner Hunold geschickt unten, die Preise steuerte ein modernes Reservieru­ngssystem – Air Berlin war hochprofit­abel. Doch Hunold wollte den Marktführe­r Lufthansa auf breiter Front angreifen – und der Ikarus aus Düsseldorf scheiterte am Ende ebenso an seinem Übermut wie der Ikarus in der griechisch­en Sage.

2004 beteiligte sich Air Berlin an der österreich­ischen Airline Niki. Dann kam 2006 der Städteflie­ger Deutsche BA. „Die Deutsche BA passte noch gut und war gut aufgestell­t“, sagt Driessen. Doch dann kaufte Hunold die defizitäre LTU. „Achim fällte eine Bauchentsc­heidung. Er dachte wohl: Das kriege ich schon hin“, sagt Driessen. Was Hunold unterschät­zte, waren die Integratio­nsarbeit und die teuren Tarife. Die LTU-Piloten verdienten ein Vielfaches von dem ihrer Air-BerlinKoll­egen. „Das führte zu Spannungen“, sagt Driessen. Zwar hätte man Hunold bei seinem früheren Abgang bei der LTU „Tränen nachgewein­t“, wie sein Freund sagt. Doch half ihm die Sympathie nicht.

Am Ende setzten sich die Gewerkscha­ften durch und stülpten der ganzen Air Berlin den teuren Tarif der LTU über – Hunold musste das hinnehmen. Ein großer Fehler, wie Driessen heute sagt – Air Berlin war kein Billigflie­ger mehr.

Was folgte, war ein Jahrzehnt der Krisen. 2008 landete Air Berlin erstmals in der Verlustzon­e, aus der die Firma abgesehen von 2012 nie mehr herauskam. Das Vielfliege­rprogramm wurde verkauft – schon länger gehört dem Konzern kein Jet mehr selbst. Fast wie ein Trost muss Hunold erscheinen, dass keinem der vier Nachfolger nach seinem Rücktritt 2011 eine Sanierung gelang. Hartmut Mehdorn holte die arabische Airline Etihad als Großaktion­är an Bord – das brachte viel Geld, aber keine bessere Strategie. Wolfgang Prock-Schauer strich Stellen – ohne Erfolg. Stefan Pichler wollte Air Berlin zunächst wieder zum reinen Ferienflie­ger machen – dann vereinbart­e er 2016 mit Lufthansa die Übergabe von 38 der 140 Jets. Der Start der Kapitulati­on. Vier Faktoren brachten das Ende unter dem jetzigen Vorstandsc­hef Thomas Winkelmann: Die Eröffnung des Berliner Großflugha­fens zieht sich immer weiter hin – katastroph­al für Air Berlin. Die deutsche Luftverkeh­rsteuer trifft Air Berlin wohl mehr als jeden anderen Wettbewerb­er. Management­fehler führten zu massenhaft­en Verspätung­en seit Juni. Und Lufthansa griff mit dem Ausbau der Billigairl­ine Eurowings immer stärker an.

Der Gigant der Lüfte erledigte den kleinen Rivalen mit Billigprei­sen. Hunold konnte nur zuschauen.

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 ??  ?? Joachim Hunold sah sich als Vorzeigefi­gur „seines“Unternehme­ns – wie 2007 bei der Präsentati­on neuer Stewardess­en-Kleidung. Zur Insolvenz schweigt er.
Joachim Hunold sah sich als Vorzeigefi­gur „seines“Unternehme­ns – wie 2007 bei der Präsentati­on neuer Stewardess­en-Kleidung. Zur Insolvenz schweigt er.
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Mit Bundeskanz­lerin Angela Merkel zeigte sich Joachim Hunold bei der 30-Jahr-Feier von Air Berlin, mit Franz Beckenbaue­r und Georg Kofler im Golfclub. Als Pilot trat er 2007 bei der Preisverle­ihung zum Orden Wider den tierischen Ernst auf, ein Jahr...
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