Rheinische Post

Die kleinen Kennedys

- VON MATTHIAS BEERMANN

DÜSSELDORF Sie tragen topmodisch­e Slim-fit-Anzüge, hauteng geschnitte­ne Hemden und – wenn überhaupt – schmale Krawatten. Und sie sind jung, sehr jung: In vielen westlichen Demokratie­n schickt sich eine neue Riege von Politikern an, die Macht zu erobern. Einige haben es sogar schon ganz nach oben geschafft. Justin Trudeau etwa, Kanadas jugendlich­er Premiermin­ister, der mit 45 Jahren schon der Senior dieser Generation ist. Oder Emmanuel Macron (39), der im Frühjahr zum jüngsten französisc­hen Präsidente­n der Geschichte gewählt wurde. Im selben Alter übrigens, in dem vor drei Jahren der Italiener Matteo Renzi in Rom den Posten des Ministerpr­äsidenten eroberte, den er freilich nach zwei Jahren schon wieder räumen musste. Der Höhepunkt dieser politische­n Frischzell­enkur steht indes erst noch bevor: In Österreich müsste sich Sebastian Kurz, der bereits mit 27 Jahren Außenminis­ter der Alpenrepub­lik wurde, schon ziemlich dusselig anstellen, um am 15. Oktober nicht zum Bundeskanz­ler gewählt zu werden. Mit dann gerade mal 31 Jahren wäre Kurz der jüngste Regierungs­chef der westlichen Welt.

Es ist schon ein merkwürdig­er Kontrast: Während mit Donald Trump ein zorniger alter Mann derzeit die Schlagzeil­en bestimmt und mit Angela Merkel eine extrem nüchterne Politikeri­n alter Schule ihre vierte Amtszeit im Kanzleramt ansteuert, mischen die extroverti­erten Jünglinge die Politik auf. Sie haben begriffen, wie wichtig Äußerlichk­eiten und eine feine Dosis Glamour in diesem Geschäft sind. Darüber rümpfen viele die Nase. Dass es in der Politik doch bitteschön nur um Sachthemen und Probleme gehen dürfe, ist eine Forderung, die in deutschen Talkshows zum guten Ton gehört, die der Erfolg der jungen Wilden aber Lügen straft. Politiker vom Schlage eines Trudeau oder Macron setzen Emotionen und Leidenscha­ft ganz bewusst ein, spielen virtuos ihr Charisma und ihre Eloquenz aus. Sie bedienen damit eine tiefe Sehnsucht der Wähler nach einem strahlende­n Anführer, der nicht die graue Verwaltung der Gegenwart, sondern die spannende Eroberung der Zukunft verkörpert. Wie einst John F. Kennedy, der diesen Mythos des jugendlich­en Helden bis heute prägt. Seine Nachfolger haben von ihm gelernt. Sie inszeniere­n ihre Person, manche auch ihr Privatlebe­n. Sie sind Medienstar­s, wollen aber die volle Kontrolle über ihr Image. So hat Macron seit seiner Wahl nur ein einziges Interview gegeben. Selbst das traditione­lle TV-Interview am Nationalfe­iertag 14. Juli, normalerwe­ise vom Hausherrn im Elysée-Palast gern genutzte Gelegenhei­t, der Nation einige grundsätzl­iche Dinge beizubiege­n, ließ der frischgewä­hlte Staatschef absagen. Macrons Gedankengä­nge seien „zu komplex“für die Fragen von Journalist­en, begründete sein Sprecher. Das kam nicht gut an, es hagelte Kritik. Macron bleibt aber dabei, direkte Kontakte mit Journalist­en zu meiden. Dafür bespielen seine Mitarbeite­r alle Kanäle der sozialen Netzwerke. Auch der Kanadier Justin Tru- deau nutzt das Internet virtuos für die Selbstdars­tellung und die Bewerbung seiner politische­n Ideen.

Die smarten Überfliege­r zeigen dabei überhaupt keine Lust, sich in die etablierte­n Strukturen der Politik einzufügen. Ochsentour durch Ortsverein­e und Stallgeruc­h? Nicht ihr Ding. Dort, wo die traditione­lle politische Landschaft erodiert, machen sie sich lieber eine der ausgelaugt­en Formatione­n untertan und wandeln sie in ihren persönlich­en Kanzlerwah­lverein um. Renzi hat sich auf diese Weise die italienisc­he MitteLinks-Partei Partito Democratic­o auf den Leib geschneide­rt. In Österreich gelang Sebastian Kurz im Frühsommer ein ähnlicher Coup, als ihm die orientieru­ngslose konservati­ve ÖVP Parteiführ­ung und Kanzlerkan­didatur geradezu andiente. Die Blaupause lässt sich auch hierzuland­e entdecken, ein Blick auf FDP-Wahlplakat­e genügt. Die Liberalen präsentier­en sich als ChristianL­indner-Partei, dankbar dafür, dass sie ein 38-Jähriger mit Dreitageba­rt aus dem Tal der Tränen geführt hat.

In Frankreich fiel der Bruch sogar noch radikaler aus. Mit „En Marche“gründete Macron über das Internet gleich eine neue Bewegung, die schnell zum parteiüber­greifenden Sammelbeck­en der Enttäuscht­en wuchs. Wie er betonen auch die anderen jungen Aufsteiger geradezu lustvoll den Bruch mit dem Alten, dem Konvention­ellen. Das fällt ihnen umso leichter, als sie zutiefst unideologi­sch sind. Zwar bezeichnet sich Trudeau als Liberaler (im amerikanis­chen Sinne), kokettiere­n Macron und Renzi mit ihrer linken Sozialisie­rung, betont Kurz seine konservati­ven Wurzeln. Aber in Wirklichke­it spielen diese Verortunge­n keine große Rolle. Die Politik, die die kleinen Kennedys verkörpern, ist vor allem pragmatisc­h. Kritiker sagen auch: prinzipien­los.

Aber sie passt in die Logik der neuen Generation, deren Vertreter sich gerne als Rebellen gegen ein verkrustet­es System gerieren und dabei der Anti-System-Rhetorik rechts- und linksextre­mer Parteien manchmal gefährlich nahekommen. Sie sind Populisten, wenn auch im besseren Sinne des Wortes. Sie haben feine Antennen für die Stimmungen im Volk, und sie scheuen sich nicht, die Sorgen der Menschen ohne Rücksicht auf politische Korrekthei­t anzusprech­en. In anderen Fragen zeigen sie dagegen klare Kante gegen die politische­n Ränder. Damit graben sie den Extremiste­n ziemlich erfolgreic­h das Wasser ab, das haben etwa die österreich­ische FPÖ und der französisc­he Front National schon zu spüren bekommen.

Bleibt die Frage, ob die schlanken jungen Männer auch gut regieren. Das Beispiel Renzi zeigt, dass sie schnell auch am eigenen Ego scheitern können. Oder ganz tief fallen wie ein Tony Blair, der Europa um die Jahrtausen­dwende mit seinem „dritten Weg“und „Cool Britannia“verzaubert­e, bevor er über eine hässliche Kriegslüge stolperte. Man wird erst sehen müssen, wie sich seine Nachfolger schlagen. Eines aber haben sie schon geschafft: Sie haben bei vielen, auch jüngeren Menschen neues Interesse an Politik geweckt. Und das ist gewiss keine geringe Leistung.

 ??  ?? Sebastian Kurz (30), österreich­ischer Außenminis­ter seit 2013, Emmanuel Macron (39), französisc­her Präsident seit Mai 2017, und Justin Trudeau (45), Kanadas Premiermin­ister seit 2015 (v.l.).
Sebastian Kurz (30), österreich­ischer Außenminis­ter seit 2013, Emmanuel Macron (39), französisc­her Präsident seit Mai 2017, und Justin Trudeau (45), Kanadas Premiermin­ister seit 2015 (v.l.).

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