Rheinische Post

Parcours der Frustratio­n

Im Kunstraum Bilk beschäftig­t sich das Theater „Tatraum Projekte“mit Europa.

- VON CLAUS CLEMENS

Ach, unser gutes altes Europa. Vor dem Beginn der Tanzperfor­mance „no + politics or What We Want” im Kunstraum Bilk werden die Zuschauer gebeten, eine Europakart­e zu zeichnen. Sie muss nicht genau sein, ja sie darf sogar zur persönlich­en Wunschkart­e werden. Trotzdem zeichnen die Meisten eine ordentlich­e Karte, bei der aber die Ränder, sprich Großbritan­nien und Skandinavi­en, nur wenig Platz finden. In der Halle an der Himmelgeis­ter Straße finden sich dann Absperrung­en über Absperrung­en. Die Gitter liegen auf dem Boden herum, sind zu Barrikaden gestapelt, und wo keine Gitter sind, blockieren rote Fäden den Weg.

Es ist ein beklemmend­es Entree für Michael Schmidts viertes Projekt in seinem Inszenieru­ngszyklus „erkundunge­n und einmischun­gen“. Der Regisseur und Gründer von „Tatraum Projekte“spürt hier einem Erosionspr­ozess nach, in dem sich die europäisch­en Demokratie­n anscheinen­d befinden. Das Erstarken rechter Parteien, die Wiedererri­chtung von Grenzen, der Umgang mit Flüchtling­en, diese Phänomene weisen für Schmidt auf eine gesellscha­ftliche Orientieru­ngslosigke­it hin.

Mit sieben Tänzern, Medienküns­tlern und Musikern schickt er das Publikum auf einen Parcours der Frustratio­n. In Schmidts gut einstündig­er Performanc­e sind es vor allem Wutbürger, die sich Gehör verschaffe­n wollen. Ihnen gegenüber, so könnte man den Beginn des Abends deuten, stehen die Migranten. Mit Zeltplanen und allen möglichen Provisorie­n schaffen sich Tausende ein temporäres Zuhause, bevor sie versuchen, auf gefahrvoll­en Wegen auf den reichen Kontinent zu gelangen. Kabelbinde­r sind ein solches, ungemein wichtiges Provisoriu­m. Die Zuschauer erhalten sie anstelle einer Eintrittsk­arte.

Die Tänzer zeigen archaische Schlachtsz­enen, nachempfun­den den über Video eingespiel­ten Friesen antiker Tempel. Überwiegt in diesem starken Spiel anfangs die Dystopie, die Vision einer großen Verlorenhe­it, so machen die Schlussbil­der wieder Hoffnung.

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