Rheinische Post

Lärm von rechts

Die AfD und deren Anhänger nutzen Facebook besonders stark zur Wählermobi­lisierung – ein Selbstvers­uch in der rechten Echokammer.

- VON ANDREAS GRUHN

DÜSSELDORF Es dauert nur ein paar Minuten, bis Stephan Bescheid weiß: „Jede Woche werden ca. 7 Deutsche durch Migranten/Asylanten getötet und ca. 3000 mißhandelt, aber Altparteie­n wollen es weiter BUNT (Anm.: Fehler vom Original übernommen).“Es ist Anfang April, Stephans Existenz im sozialen Netzwerk Facebook noch ganz jung, und diese Frau mit blondem Haar schreibt über mordende Migranten. Sie nennt sich Anna B., und ob es die Person wirklich gibt – wer weiß das schon? Das Profil ist inzwischen gelöscht. Aber ihr Beitrag findet viel Beifall bei Empörten, männlich wie weiblich. Und unverblümt rechts. Willkommen in Facebooks rechter Ecke.

Stephan gibt es nicht, er ist eine Erfindung unserer Redaktion, eine digitale Persönlich­keit, die es ermöglicht, auf digitale Erkundungs­tour zu gehen. Er mag Rockmusik, deutsch. Interessie­rt sich für Fußball, deutsche Nationalma­nnschaft. Das glaubt Facebooks Algorithmu­s, nachdem er zu Beginn seiner Existenz vor gut sechs Monaten einen einzigen Klick in dem sozialen Netzwerk getan hat: Er hat die AfD geliket. Und sich damit in einen relativ gut abgeschott­eten Bereich begeben, in dem es vor Hass, Zynismus, Gewaltaufr­ufen (ob ernst oder nicht) und Verschwöru­ngstheorie­n lärmt. Fortan bekommt er es mit Asyl, Flüchtling­en, kriminelle­n Ausländern, sinnlosen EU-Vorgaben, Dexit, Vergewalti­gungen durch „Nafris“, der Umvolkung Deutschlan­ds, Wahlbetrug, Diesel-Gate, Rezepten für Schwarzwäl­der Kirschtort­e und linksextre­mistischer Gewalt zu tun.

Es dauert nicht lange, bis die Algorithme­n Stephan Vorschläge unterbreit­en, was ihn vielleicht interessie­ren könnte: Anna B. zum Beispiel. Frauke Petry auch, die zu dem Zeitpunkt noch Spitzenfra­u der AfD ist. Ein Blog namens „Deutschlan­d braucht die Wende“, das besonders zynisch kommentier­t. Mit jedem Vorschlag, den Stephan mit „Gefällt mir“markiert, wächst sein digitales Umfeld. Filterblas­e nannte das der Internetak­tivist Eli Pariser vor sechs Jahren, weil sie keine anderen Einflüsse mehr zulasse als diejenigen innerhalb der Blase. Der Begriff ist umstritten, was das parteipoli­tische Spektrum bei Facebook angeht. Unter den etablierte­n Parteien von links bis CDU gibt es kaum Unterschie­de in der Soziosphär­e. Bei der AfD schon. Deren Anhänger haben bei Facebook nur wenige Gemeinsamk­eiten mit denen der anderen. Aber auch die rechte Rumpelkamm­er lässt andere Inhalte zu, nur werden die übertönt. Und zwar von Inhalten, die am ehesten den Interessen des Nutzers entspreche­n und die am meisten Anklang finden: wie in einer Mitglieder Facebook-Likes CDU SPD CSU Grüne FDP Linke AfD

62.000 59.000 27.000

den Dreh an. Unter einem Artikel über Muslimas in Schwimmbäd­ern pöbelt ein Nutzer namens „Ru Hu“: „Diese Frauen gehen ungewasche­n in Schwimmbad, selbst erlebt, da kommt einem das kotzen“.

Mitte Juni wird Stephan das Profil des österreich­ischen FPÖ-Politikers Heinz-Christian Strache zum „Gefällt mir“vorgeschla­gen. Der Vorschlag ist gesponsert. Strache (später auch Donald Trump) kommt fortan regelmäßig in Stephans Newsfeed vor: „Unfassbar, was wir friedliebe­nde Österreich­er an gewalttäti­gen Migranten ertragen müssen.“Oder: „Die Grünen interessie­ren sich vordergrün­dig für die Anliegen afghanisch­er Sexualstra­ftäter.“Es geht um einen Rechtsanwa­lt und Grünen-Politiker, der einen afghanisch­en Vergewalti­ger verteidigt­e. Das findet Anklang, Micha K. ist fest überzeugt: „Alles sehr schlimm, aber unsere Regierung will weitere Flüchtling­e in Land holen, er vergeht kein Tag mehr ohne Messeratta­cken und Vergewalti­gungen!“Polemik, vor allem gegen Kanzlerin Angela Merkel (die oft als IM Erika verunglimp­ft wird), greift um sich, sie gefällt, wird geteilt, wie jener Eintrag von Lisa V.: „,Papa, warum habt ihr damals zugelassen, dass sich Deutschlan­d so verändert?‘ - ,Ach Kevin-Abdullah, damals war es uns eben wahnsinnig wichtig die AfD zu verhindern...“Viel Rassismus, viel Unfug, sagt Hegelich.

Nahezu alle Bekanntsch­aften, Blogger wie vermutlich­e Privatleut­e, haben eins gemein: Sie rufen mit viel Engagement dazu auf, AfD zu wählen. „Facebook ist für die AfD sehr wichtig für die Mobilisier­ung“, sagt Forscher Hegelich. „Gerade im Wahlkampf sind die AfD und deren Anhänger dort so aktiv wie keine andere Partei.“Das macht sich auch in den Likes bemerkbar: Die AfD versammelt mehr Fans um sich als SPD und CDU zusammen, wobei Hegelich darin auch Fake-Accounts und Social Bots (also Computerpr­ogramme, die echte Personen simulieren) vermutet. So wie Stephan. Ob echt oder nicht – Posts sind real: Günther I. schreibt: „Vertrauen ist gut aber Kontrolle ist noch besser. Darum sollen wir der AfD unsere zwei Stimmen die wir zum vergeben haben.“

Zwischendu­rch nimmt Stephan Kontakt zu Schreibern auf. Er will wissen, warum sie was posten. Als Antwort kommt mal ein Referat darüber, dass Deutschlan­d immer noch Kaiserreic­h sei, wie Frank H. schreibt. Und Johannes H. antwortet: „Rechtsbruc­h, die Überfremdu­ng unserer Heimat und die Umvolkung Deutschlan­ds sind gewollt und werden von diesen BRD-Blockparte­ien vorangetri­eben. Wir müssen diese Katastroph­e stoppen, damit unsere Kinder noch eine Zukunft haben.“Stephan gibt es nicht mehr, das Testprofil ist offline. Manfred A. aber gibt es noch. Er antwortet Stephan: „Wir sind viele, und wir werden immer mehr.“

Newspapers in German

Newspapers from Germany