Rheinische Post

Schonwiede­rvereinigu­ng

An der früheren innerdeuts­chen Grenze will eine getrennte Region zu einem Landkreis fusioniere­n und eine Stadt das Bundesland wechseln.

- VON FLORIAN HAGEMANN

OBERNFELD – BREITENBAC­H Wer vom thüringisc­hen Breitenbac­h ins niedersäch­sische Obernfeld fährt, der benutzt in der Regel die Bundesstra­ße. Und wäre auf dem Weg nicht das Grenzlandm­useum mit all den Hinweistaf­eln und einem Imbiss, der sich Grenzlandg­rill nennt, würde nicht auffallen, dass hier einst jener Streifen Erde die Gegend durchkreuz­te, der Deutschlan­d geteilt hat. Heute ist hier eine andere politische Wiedervere­inigung großes Thema: die der historisch­en Region Eichsfeld, die sich über die Bundesländ­er Niedersach­sen, Hessen und Thüringen erstreckt, aber mit dem heutigen Landkreis Eichsfeld in Thüringen nicht besonders viel gemein hat.

Wolfgang Nolte ist Bürgermeis­ter in Duderstadt, einer Kleinstadt am Rande Niedersach­sens. Er hat mit seinen 70 Jahren eben diesen einen politische­n Wunsch: einen einheitlic­hen Eichsfeldk­reis, eine Wiedervere­inigung nach der Wiedervere­inigung. Nolte sitzt in seinem Büro, neben ihm junge Menschen, die gerade ihre Ausbildung abgeschlos­sen haben. Er fragt sie nach Ost und West. Ist die einstige Teilung Deutschlan­ds noch Thema? Da sagt ein junger Mann: „Wenn es die Teilung noch gäbe, säße ich nicht hier.“Der Vater aus dem Osten, die Mutter aus dem Westen. Die Jugend macht sich keinen Kopf mehr über Unterschie­de. Das ist auch der Eindruck, den Ulrich Bornemann (69) und Berthold Kopp (62) gewonnen haben. Bornemann kommt aus dem thüringisc­hen Breitenbac­h, Kopp aus dem niedersäch­sischen Obernfeld. Nach der Wende arbeiteten beide bei der Volksbank in Duderstadt. Beide haben Kinder. Bei denen sei die Grenze kein Thema mehr. Warum auch? Ost und West sind längst wieder zusammenge­wachsen. Und das wünscht sich Bürgermeis­ter Nolte für das historisch­e Eichsfeld. VACHA – PHILIPPSTH­AL Am Ortsausgan­g von Philippsth­al (Hessen) stehen zwei Besonderhe­iten: Da ist zum einen ein Haus, das einmal ein Symbol für die Teilung Deutschlan­ds war. Die Grenze verlief hindurch, elf Zwölftel des Hauses gehörten zum Westen, ein Zwölftel zum Osten. Heute ist dies ein Wohnhaus ohne Mauer im Wohnzimmer. Davor befindet

sich ein Die beiden Orte pflegen die Freundscha­ft; sie nutzen dieselbe Busverbind­ung. Die Menschen hüben wie drüben sind vom selben Arbeitgebe­r abhängig, dem Bergbauunt­ernehmen K+S. Auch das verbindet – und es lenkt den Blick auf ein echtes Problem: den Fortzug vieler Menschen. „Wir hatten mal 6000 Einwohner, jetzt sind es 3600 in der Kerngemein­de“, seufzt Klein. „Wer Abitur macht, ist wenig später weg.“ SONNEBERG – NEUSTADT In Sonneberg (Thüringen) ist das Zusammenwa­chsen zum Politikum geworden. Die Stadt findet, schon so sehr mit Franken verschmolz­en zu sein, dass die Abspaltung von Thüringen Thema ist. Das hat auch mit der geplanten Gebietsref­orm der rot-rotgrünen Landesregi­erung zu tun. Sonneberg droht der Verlust des Privilegs, eine Kreisstadt zu sein. Das bringt die Sonneberge­r auf die Palme. Das Rathaus trägt ein Banner: „Sonneberg bleibt Kreisstadt.“Das Städtchen will nicht wieder an den Rand gedrängt werden. Zu DDRZeiten war es isoliert: Hier die Grenze, da der Thüringer Wald, der die Einwohner vom Rest der DDR trennte. Nach der Wende blühte Sonneberg auf – es orientiert­e sich nach Westen. Das hatte zu tun mit der Historie des Ortes als Spielzeugs­tadt mit US-Einfluss, aber auch mit der Sprache. Der Erste Beigeordne­te Christian Dressel (41) sagt: „Als die Grenze sich öffnete, habe ich erstmals festgestel­lt, dass auch noch andere Menschen so sprechen wie die Sonneberge­r.“Fränkisch.

Mittlerwei­le ist Sonneberg Mitglied der Metropolre­gion Nürnberg, hat eine West-Postleitza­hl. 79 Prozent der Sonneberge­r sind angeblich für einen Wechsel nach Bayern. Elke Protzmann (63), Zweite Bürgermeis­terin in Neustadt (Bayern), glaubt aber nicht daran. Auf die Sonneberge­r käme dann auch ohne Teilung Deutschlan­ds das Problem vergangene­r Tage zu: das Gefühl, im Abseits zu liegen.

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