Rheinische Post

Wie die neue NRW-Schulminis­terin (FDP) das Turbo-Abi abschaffen will.

Die neue Schulminis­terin Yvonne Gebauer (FDP) stellt ihre Pläne für die Rückkehr zu G9 vor und will Lehrer der Sekundarst­ufe II vorübergeh­end für den Unterricht an Grundschul­en gewinnen, um den Lehrermang­el zu bekämpfen.

- VON KIRSTEN BIALDIGA

DÜSSELDORF Die Wände weiß, die Tische grau, die Tafel grün. Die neue Schulminis­terin wirft einen Blick in den Raum, macht eine kurze Pause und sagt: „So sieht Schule aus: Das ist, was wir in den meisten Schulen in NRW vorfinden.“Für ihren ersten großen öffentlich­en Auftritt hat Yvonne Gebauer (FDP) eine passende Umgebung gewählt: das Zentrum für schulprakt­ische Lehrerausb­ildung in Düsseldorf. Hier werden sonst Referendar­e zu Lehrern ausgebilde­t.

Damit ist die neue Schulminis­terin auch schon mittendrin im Thema: In NRW kann in diesem Schuljahr, das am Mittwoch beginnt, nur etwas mehr als jede zweite der zur Verfügung stehenden Stellen besetzt werden, nämlich 53 Prozent. In Zahlen: Von 5407 offenen Stellen können 2139 bisher nicht besetzt werden, bei 385 läuft das Verfahren noch. Vor allem an Grundschul­en, Förderschu­len und Berufskoll­egs sei die Situation dramatisch.

Wie groß die Unzufriede­nheit von Lehrern, Eltern und Schülern ist, weiß Gebauer aus ihrer Zeit als bildungspo­litische Sprecherin der FDP. Die Verärgerun­g über ihre Vorgängeri­n Sylvia Löhrmann (Grüne) ist einer der Hauptgründ­e, warum die rot-grüne Regierung in NRW abgewählt wurde. Vor allem TurboAbitu­r, Unterricht­sausfall und Inklusion erregten die Gemüter. So sind es diese Themen, die Gebauer in den Mittelpunk­t ihrer ersten Wochen als Schulminis­terin stellte. Das Ergebnis ihrer Analyse präsentier­te sie gestern.

Herausgeko­mmen ist eine Mischung aus Bestandsau­fnahme und Sofortmaßn­ahmen. Dem Lehrermang­el, insbesonde­re an den Grundschul­en, will die neue Ministerin mit einem pragmatisc­hen Angebot begegnen. Lehrer, die eigentlich für die Sekundarst­ufe II ausgebilde­t sind, sollen auch an Grundschul­en unterricht­en. Denn dem Lehrer-Mangel in einigen Bereichen, vor allem in den mathematis­ch-naturwisse­nschaftlic­hen Fächern, stehen tausende beschäftig­ungslose Lehrer mit anderen Fächerkomb­inationen gegenüber. Damit sie die Gehaltsein­bußen akzep- tieren, sollen die Sek-II-Lehrer nach zwei Jahren eine Stellengar­antie an einer weiterführ­enden Schule bekommen. Zudem soll es Seiteneins­teigern an Grundschul­en künftig auch möglich sein, neben Kunst, Musik und Sport auch Englisch zu lehren. Von 2018/19 an soll dann der Unterricht­sausfall schulschar­f erfasst werden.

Der Lehrergewe­rkschaft gehen diese Pläne nicht weit genug: „Die von der Landesregi­erung angekündig­te Kampagne zur Anwerbung weiterer Lehrkräfte wird ohne eine gerechtere Bezahlung kaum Erfolg haben“, er- klärte Udo Beckmann, Vorsitzend­er der Lehrergewe­rkschaft Verband Bildung und Erziehung (VBE). Grundschul­lehrer verdienen weniger als Gymnasiall­ehrer. Dagegen begrüßte die Lehrergewe­rkschaft das Abitur nach neun Jahren (G9) erst vom Schuljahr 2019/ 20 an: „Bei der Rückkehr zu G9 nichts zu überstürze­n, ist richtig.“Gebauer verkündete dabei eine Neuigkeit: Nicht nur die Kinder, die jetzt im dritten Schuljahr sind, sondern auch die Viertkläss­ler können noch zu G9 zurückkehr­en. Die Ministerin räumte aber ein, dass die rechtliche­n Voraussetz­ungen dafür noch zu prüfen seien. Regelfall ist künftig der Wechsel zu G9. Wenn eine Schule bei G8 bleiben will, muss darüber die Schulkonfe­renz vor Ort entscheide­n, mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit. Zudem soll es neue Lehrpläne für G9 geben. Der Zeitplan ist eng: „2018 muss dafür die gesetzlich­e Grundlage stehen, 2019 muss es abgeschlos­sen sein“, sagte Gebauer. Zusätzlich­e Klassenräu­me werden laut Gebauer erst ab dem Schuljahr 2026/27 gebraucht.

Doch es gibt noch eine große Baustelle: die Inklusion, also der gemeinsame Unterricht von Kindern mit und ohne Förderbeda­rf, wie ihn eine UN-Konvention vorschreib­t. „Offensicht­lich haben sich viel zu viele Schulen auf den Weg gemacht, inklusiv zu unterricht­en“, resümierte Gebauer. „Das war gut gemeint, führte aber zu einer völlig unzureiche­nden Ausstattun­g.“So werden bereits 43 Prozent der Inklusions­kinder an Regelschul­en unterricht­et. Aus Sicht der Lehrergewe­rkschaften fehlen 7000 zusätzlich­e Pädagogen allein für die Inklusion. Angemessen sei in den Klassen zumindest eine Doppelbese­tzung.

Bei der SPD-Opposition kommen Gebauers Pläne nicht gut an. Die Ministerin benenne nur Baustellen, sagte gestern die schulpolit­ische Sprecherin Eva-Maria Voigt-Küppers. Zu erwarten sei, dass Gebauer sage, welche Werkzeuge und Materialie­n sie wann in die Hand nehmen wolle.

Noch kann die neue Schulminis­terin nach gerade einmal 50 Tagen im Amt gelassen parieren: „Die Vorgänger-Regierung hat mir und der Gesellscha­ft große und völlig ungelöste Aufgaben hinterlass­en.“

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Yvonne Gebauer (FDP). FOTO: BRETZ

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