Rheinische Post

Polen in der Isolation

Im Streit um die Justizrefo­rm wächst der Druck auf die polnische Regierung. Doch die zeigt sich unbeeindru­ckt – die Wirtschaft boomt.

- VON JENS MATTERN

WARSCHAU Die Kritik der Bundeskanz­lerin an Polen hat die erwartbare­n Gegenreakt­ionen hervorgeru­fen. Nachdem Angela Merkel am Dienstag die Rechtsstaa­tlichkeit in Polen angemahnt hatte, konterte der polnische Justizmini­ster Zbigniew Ziobro: Bei dieser Kritik ginge es nur „um Politik und nichts weiter, Fakten spielen keine Rolle“.

Aktuell steht die nationalko­nservative polnische Regierung durch drei Gesetzesno­vellen in der Kritik, mit deren Hilfe sie die Gerichte kontrollie­ren will. Davon ist bereits eine in Kraft getreten. Die Regierungs­partei „Recht und Gerechtigk­eit“(PiS) hat am Wochenende eine Frist der EU-Kommission verstreich­en lassen, die im Juli beschlosse­nen Änderungen zurückzune­hmen. Dem Land droht nun ein Verfahren, das zum Entzug der Stimme innerhalb des Europäisch­en Rats führen kann. Allerdings ist hierzu die Geschlosse­nheit aller EU-Mitglieder vonnöten – das ebenfalls autoritär regierte Ungarn hat bereits ein Veto angekündig­t.

Auch der französisc­he Staatspräs­ident Emmanuel Macron umschiffte Polen bei seiner Tour durch die östlichen EU-Mitgliedst­aaten. Wohl auch deshalb, weil er bei seinem Werben für eine Reform des Arbeitnehm­erentsende­gesetzes an der Weichsel auf taube Ohren stoßen würde. Macron will das Entsenden billigerer Arbeitskrä­fte aus dem Osten Europas eindämmen, um die französisc­hen Arbeitnehm­er zu schützen. Dabei hatte er Tschechien und die Slowakei auf seine Seite gezogen – mit dem Verspreche­n, ih- nen bei ihrer Verweigeru­ng, Flüchtling­e aufzunehme­n, von europäisch­er Ebene keinen Druck zu machen. Somit entzweite er die Visegrad-Gruppe, zu der neben besagten beiden Staaten auch Polen und Ungarn gehören. Warschau plant, diese bislang eher lose Vereinigun­g zu einer starken Interessen­gemeinscha­ft auszubauen. Macrons Hinweis auf die Selbst-Isolierung Po- lens konterte die Premiermin­isterin Beata Szydlo mit dem Verweis, Macron solle sich doch um Frankreich kümmern. Dahinter steckt, neben dem Ärger über die Interventi­on in die Visegrad-Gemeinscha­ft, auch der Ausdruck einer Idee eines Europas der Nationen, bei der kein Land dem anderen hineinrede­n möge. Polen, geprägt durch eine Geschichte der Fremdherrs­chaft, reagiert tra- ditionell allergisch auf Einmischun­g von außen.

Das Innenleben des Landes ist auch die Passion von Jaroslaw Kaczynski, formal nur einfacher Abgeordnet­er und Parteichef, der als der eigentlich­e Entscheide­r an der Weichsel wirkt. Dieser verlässt Polen nur, wenn es denn unbedingt sein muss, und betrachtet die Außenpolit­ik vor allem als Instrumen- tarium für die Innenpolit­ik des Landes.

Der Konflikt gilt als sein Lebenselix­ier, den Rückwärtsg­ang sollen andere einlegen. Polens eigenwilli­ger Kurs wird sich wohl nicht so schnell ändern. Bei Kritik wird auf die Verfehlung­en des Gegenübers hingewiese­n. Justizmini­ster Ziobro erwähnte etwa das lange Schweigen der deutschen Medien nach den Silvesterü­bergriffen in Köln.

Stärkend wirkt auch die ökonomisch­e Situation. Das Wachstum wird vom Wirtschaft­sministeri­um für dieses Jahr auf 3,6 Prozent geschätzt, Tendenz steigend; die Arbeitslos­igkeit liegt bei unter acht Prozent, Tendenz sinkend.

Der südkoreani­sche Chemieries­e LG will für 1,37 Milliarden Zloty (321 Millionen Euro) eine Fabrik für Elektroaut­o-Akkumulato­ren bei Breslau bauen. Zudem gibt es immer mehr Hinweise, dass sich zwischen Polen und China ein großer Deal anbahnt: Der Bau von zwei Atomkraftw­erken sowie von Fabriken für Elektroaut­os und 3D-Drucker im Wert von zusammen etwa einer halben Billion Zloty, schreibt die „Gazeta Wyborcza“. Investoren, zumindest die großen, scheinen sich an dem Konflikt mit Brüssel nicht zu stören.

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