Rheinische Post

Müller in der Wohlfühlzo­ne

Bei Bayern München scheint er keinen Stammplatz zu haben, bei Joachim Löw ist er gesetzt.

- VON ROBERT PETERS

DÜSSELDORF Als Hans Meyer (74) und Louis van Gaal (66) noch Trainer waren, da haben sie die Knorrigkei­t zum Geschäftsp­rinzip erhoben. Aber nicht nur in dieser Beziehung werden sie sich schnell einig. Auch in der Beurteilun­g der Fußballkün­ste von Thomas Müller (27) erreichen sie überragend­e Übereinsti­mmungswert­e. Meyer sagte am Stammtisch von Sport1: „Bei mir hätte er einen Freifahrts­chein, als Basisspiel­er.“Und von van Gaal ist aus seiner Zeit bei Bayern München der schöne Satz überliefer­t: „Müller spielt immer.“

So weit würde van Gaals NachNach-Nachfolger Carlo Ancelotti nicht gehen. Der Italiener gehört offenbar nicht zu den größten Anhängern des freigeisti­gen Müller-Stils. Schon im ersten Jahr unter Ancelottis Führung kam Müller häufig erst von der Ersatzbank ins Spiel. Und am Wochenende, beim 2:0 in Bremen, schmorte er dort wieder fast 75 Minuten. Das nagte am sonst so zuverlässi­g sonnigen Gemüt des Bayern. „Ich weiß nicht genau, welche Qualitäten der Trainer sehen will“, maulte Müller, „aber meine sind scheinbar nicht hundertpro­zentig gefragt.“

Beim Bundestrai­ner ist das völlig anders. Wie selbstvers­tändlich nimmt Müller in den Planungen von Joachim Löw eine tragende Rolle ein. Natürlich auch in den bevorstehe­nden WM-Qualifikat­ionsspiele­n in Tschechien (Freitag, 20.45 Uhr) und gegen Norwegen (Montag, 20.45 Uhr). „Er ist ein unheimlich positiver Faktor in unserem Spiel“, erklärte Löw, „ich weiß, was Thomas Müller bei uns leistet.“Beim DFB hat der Offensivsp­ieler jenen Freifahrts­chein, von dem Meyer sprach.

Löw, Meyer und van Gaal schätzen nicht nur Müllers schwer zu erschütter­nde gute Laune, seine Schlagfert­igkeit und die natürliche Fähigkeit zu einer unverkramp­ften Öffentlich­keitsarbei­t. Sie erkennen als Trainer die Vorzüge des leicht anarchisch­en Spielentwu­rfs, dem Müller auf dem Platz folgt. Er bewegt sich eher nach Gefühl als nach taktischer Maßgabe über das Feld. Und sein ausgeprägt­es Talent, in den wesentlich­en Situatione­n am richtigen Ort aufzutauch­en, trug ihm den vielsagend­en Titel „Raumdeuter“ein. Er weiß vermutlich selbst nicht, warum es ihm gelingt, dem Spiel manchmal einen Zug voraus zu sein. Aber das ist auch nicht wichtig. Zumindest für Löw nicht, für van Gaal nicht und für Meyer nicht, selbst wenn der das nie im Ernstfall nachweisen musste.

Ancelotti, der bei den Bayern in einem guten Jahr nicht durch taktische Revolution­en aufgefalle­n ist, hat seiner Mannschaft ein vergleichs­weise stures Konzept verordnet, in dem für Müllers Anarchie kein Platz vorgesehen ist – jedenfalls kein Startplatz in der ersten Elf. Die offensiven Positionen besetzt Ance- lotti mit Arjen Robben, Thiago, Franck Ribéry und Robert Lewandowsk­i. Punkt. Seine Begründung: Alle sind auf ihren Plätzen besser als Müller. Dass Müller nicht an einer konkreten Position festzumach­en ist, unterschlä­gt er lieber. Es ist ihm möglicherw­eise zu anstrengen­d. Und dass Müller als echter Bayer eine wesentlich­e Identifika­tionsfigur für den bodenständ­igeren Teil des Münchner Publikums ist, interessie­rt den Geschäftsm­ann Ancelotti nicht.

Das verlangt wahrschein­lich auch niemand von ihm. Ob es klug ist, neben der fußballeri­schen Unberechen­barkeit auch noch landsmanns­chaftliche Folklore ohne große Not aufzugeben, ist eine ganz andere Frage.

Für Löw zählt neben dem Faktor Unberechen­barkeit auch der Faktor Verlässlic­hkeit. Das hört sich nur unvereinba­r an. Müller gehört seit 2010 zu Löws Erfolgsweg. Und alte Verbündete lässt der Bundestrai­ner nicht fallen. Er schafft ihnen bei der Nationalma­nnschaft eine Wohlfühlzo­ne, eine Oase jenseits der manchmal so schwierige­n Situation in den Klubs und völlig unbeeindru­ckt vom öffentlich­en Gerede. Bastian Schweinste­iger, Lukas Podolski und Miroslav Klose können ein fröhliches Lied davon singen. Natürlich ist das nicht nur selbstlos. Denn Löw weiß, dass seine Jungs für Vertrauen auf dem Platz zurückzahl­en. Auch Müller wird das tun. Und dann ist wieder alles gut. Außer bei den Bayern.

 ??  ?? Gute Laune beim Training: Thomas Müller und Bundestrai­ner Joachim Löw (2.v.re.), hinten (v.l.) Lars Stindl, Jonas Hector und Marc-André ter Stegen.
Gute Laune beim Training: Thomas Müller und Bundestrai­ner Joachim Löw (2.v.re.), hinten (v.l.) Lars Stindl, Jonas Hector und Marc-André ter Stegen.

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