Rheinische Post

Kerber im Teufelskre­is

Keine Spiele, kein Selbstvert­rauen: Die Grand-Slam-Saison endet für Deutschlan­ds beste Tennisspie­lerin am Tiefpunkt.

- VON ULRIKE WEINRICH

NEW YORK (sid) Der letzte Blick aus dem Flieger auf die Skyline von Manhattan dürfte sich für Angelique Kerber so anfühlen, als ob ihr jemand Salz in eine Wunde streut. Vor einem Jahr verließ sie New York als US-Open-Siegerin und neue Nummer eins. Knapp 365 Tage später rätselt nicht nur die Tennis-Welt, warum die entthronte Queen of Queens in dieser Saison einfach nicht in Tritt gekommen ist.

Kerber selbst schien nach ihrem äußerst bitteren Auftakt-K.o. in Flushing Meadows zumindest den Ansatz einer Erklärung parat zu haben. „Ich hatte diese Saison viel weniger Spiele als 2016. Aber ich bin eine, die die Matches braucht“, sag- te die 29-Jährige, die nach dem 3:6, 1:6 gegen Naomi Osaka (Japan) erstmals seit Oktober 2015 aus den Top Ten der Weltrangli­ste fallen wird. Die von einer hartnäckig­en Ellbogenve­rletzung geplagte Kerber befindet sich auch am Ende der Saison weiter im Teufelskre­is. Keine Form bedeutet: geringere Chancen auf mehr Partien. Wenige Spiele heißt: weiterhin kein Selbstvert­rauen.

„Angie wirkt blockiert. Ihr tolles Jahr 2016 scheint körperlich­e und psychische Spuren hinterlass­en zu haben. Sie kämpft immer noch – aber eben auch gegen sich selbst“, analysiert­e Kerber-Fan Chris Evert treffend. Die US-Ikone empfahl der kriselnden Kielerin, „in der Off-Season alles auf null zu stellen“. Denn „die spielerisc­hen Qualitäten“, die habe Kerber ja zweifelsoh­ne. Die Linkshände­rin gab indirekt zu, dass ihre Probleme mentaler Natur sind. „Ich habe in den letzten Monaten sehr hart trainiert. Aber Matches sind dann einfach etwas anders“, sagte Kerber, die bei den US Open erst als zweite Titelverte­idigerin überhaupt in der ersten Runde scheiterte.

Die letztjähri­ge Australian-OpenSieger­in bemühte sich, nach dem Abschluss einer verkorkste­n GrandSlam-Saison und mit Blick in die Zukunft ein wenig Zuversicht auszustrah­len. „Für mich ist wichtig, dass ich weiß, was ich kann“, betonte Kerber. Besonders eine Statistik ist aber charakteri­stisch für die vergangene­n acht Monate. Während Kerber in ihrem Märchenjah­r 2016 24 Erfolge gegen Top-20-Spielerinn­en feierte, verlor sie seit Januar sämtliche neun Duelle gegen Konkurrent­innen dieser Güteklasse. Vor den abschließe­nden Turnieren in Asien hat sie zwar fast genauso viele Niederlage­n wie im gesamten 2016 auf dem Konto (18:19), allerdings noch nicht mal die Hälfte der Siege eingefahre­n (25:64).

Dass Kerber ihre Saison nach dem Tiefpunkt in New York vorzeitig beendet, ist eher unwahrsche­inlich. Sie braucht Selbstvert­rauen – und das kommt eben nur durch Siege. Man darf also gespannt sein, wie der anstehende Neustart aussieht, denn in der spielfreie­n Zeit muss auch geklärt werden, mit welchem Trainer Kerber in die neue Saison gehen wird

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Mal wieder enttäuscht: Angelique Kerber in New York.

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