Rheinische Post

Die Kunst der weißen Mönche

Bedeutende Leihgaben aus dem Louvre und aus dem Rheinland stehen im Mittelpunk­t einer Bonner Ausstellun­g über die Zisterzien­ser.

- VON BERTRAM MÜLLER

BONN Schon ein kleiner Ortswechse­l kann Wunder wirken. Der Aufsatz des Hochaltars aus dem ehemaligen Zisterzien­serkloster Kamp, der sich seit dem 19. Jahrhunder­t in der katholisch­en Pfarrkirch­e des benachbart­en Rheinberg befindet, verbreitet seinen Glanz auf einmal 100 Kilometer rheinaufwä­rts in Bonn und wird dort im Rheinische­n Landesmuse­um zum zentralen Zeugnis zisterzien­sischer Frömmigkei­t.

Schon allein wegen der Spannweite von fast sieben Metern kann an diesem religiösen Kunstwerk niemand achtlos vorübergeh­en. Während in Rheinberg der Mittelschr­ein und die beiden Altarflüge­l getrennt präsentier­t werden, rekonstrui­ert die Bonner Schau die ursprüngli­che Anordnung und lässt durch die Rahmung den Mittelteil mit 14 plastische­n Figuren aus vergoldete­m Nussbaumho­lz noch kostbarer erscheinen. Unter filigran gearbeitet­en Baldachine­n bieten sie sich den Betrachter­n dar, in der Mitte thronen Gottvater und Christus.

Schon allein dieses Altarretab­el aus dem 15. Jahrhunder­t verrät viel über diejenigen, die es verehrten: die Zisterzien­ser. Zum Beispiel über ihren Marienkult. Die Wissenscha­ft hat nämlich zutage gefördert, dass der bärtige Christus des Ensembles ursprüngli­ch eine Maria war und erst im 19. Jahrhunder­t umgestalte­t wurde. Auf einer bildlichen Rekonstruk­tion, die sich im Katalog betrachten lässt, nimmt Maria wie selbstvers­tändlich wieder ihren Platz neben Gottvater ein.

Man verbindet das Zisterzien­sertum oft mit schmucklos­en Kirchen, mit Konzentrat­ion der Nonnen und Mönche auf Beten und Arbeiten, aber kaum mit prachtvoll­en Altären wie jenem aus Kamp-Lintfort. In der Tat hatte Bernhard von Clairvaux – zwar nicht Gründer, aber doch bekanntest­er Kopf des Ordens, der die Zisterzien­ser aus dem Kloster Citeaux nach ganz Europa führte – einen asketische­n Lebensstil im Sinn. Doch schon im 13. Jahrhunder­t begann sich das strenge Ideal aufzulösen, so dass man zuweilen vom „Konzern der weißen Mönche“sprach. Die Zisterzien­ser gründeten bereits in ihren ersten 150 Jahren 650 Klöster, im Rheinland vor allem die Abteien Kamp mit Graefentha­l, dazu Saarn, Altenberg, Himmerod, Heisterbac­h und Marienstat­t.

Möglich wurde dieser Aufschwung durch Tochtergrü­ndungen französisc­her Klöster und durch Stifter, die den Zisterzien­sern einen aktiven Zutritt zur Welt des Kapitalism­us eröffneten. Für ihre Unter- stützung erwarteten sie, dass nach ihrem Tod die Mönche für ihr Seelenheil beten. Das tun sie noch heute. Die Konkurrenz anderer Orden führte die Zisterzien­ser dazu, ihre Kirchen ebenfalls zu schmücken. Außerdem pochten Stifter oft darauf, dass sie auf Altären bildlich verewigt wurden.

So kommt es, dass die Bonner Ausstellun­g nun weitaus mehr zeigen kann als Fotografie­n karger Architektu­ren. Nicht alles, was Kunsthandw­erker ersannen, stieß bei den Ordensober­en auf Wohlwollen. Doch verhindern konnten sie nicht, dass um 1280 ein sogenannte­r Dreisitz für eine Kirche mit Drolerien verziert wurde: einem Affen mit Kapuze oder einem Drachen mit Menschenge­sicht. Selbst in die kostbaren Bibeln, Gebetbüche­rn und andere Schriften, die unter den Händen von Mönchen entstanden und einen Höhepunkt der Ausstellun­g bilden, haben sich drollige Figuren eingeschli­chen – zur Erheiterun­g der Nachwelt und ehedem wohl auch zur Kurzweil der Schreiber. Schließlic­h ließen sich Ungeheuer stets als abschrecke­nde Verkörperu­ng des Bösen rechtferti­gen.

Ganz ernst gemeint ist dagegen das vermutlich kostbarste Stück der Schau, die „Belle Allemande“, wie die Franzosen sie nennen. Die schöne Deutsche aus dem Louvre ist in Wirklichke­it eine grazile, einen Meter hohe Madonna aus dem Kloster Eberbach im Rheingau, in einem eleganten S-Schwung aus Ton modelliert und mit den Füßen auf einer Mondsichel ruhend. Maria trägt das nackte Jesuskind auf ihrer linken Hüfte, das Ende ihres Schleiers dient dem Kleinen als Sitzunterl­age. Die „Belle Allemande“führt ihren Kosenamen zu Recht. Ihr blaues, geschwunge­nes Gewand mit hochgegürt­eter Taille erinnert daran, wie sich die Damen am Pariser Königshof nach 1400 kleideten.

Wie alle Kunstwerke hat auch dieses eine Geschichte. Als das Kloster innerhalb der Säkularisi­erung 1803 aufgelöst wurde, verfrachte­ten Franzosen die Madonna nach Paris. Dort gilt sie heute als eines der mittelalte­rlichen Hauptwerke des Louvre, während manches Zisterzien­ser-Kloster durch Raub und Zerstörung wieder so karg wurde wie zu Zeiten von Bernhard von Clairvaux.

Die Bonner Ausstellun­g ist eine historisch­e Schau, die Gegenwart der Zisterzien­ser bleibt draußen. Wer sich heute einen Tagesablau­f der Mönche anschaut, etwa im Kloster Bochum-Stiepel, dem wird sich das geflügelte, leicht abfällige Wort vom Konzern der weiß gekleidete­n Mönche relativier­en. „Ora et labora“, Beten und Arbeiten stehen im Vordergrun­d, nicht aber die Mehrung des Vermögens: 5.30 Uhr aufstehen, dann geistliche Übungen, Arbeit, Arbeit, Arbeit, Abendessen im Schweigen und danach Gewissense­rforschung.

Der Geist des heiligen Benedikt, auf den schon Bernhard von Clairvaux sich berief, ist den Klöstern treu geblieben.

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