Rheinische Post

Wilde Tour durchs Techno-Land

Psychiatri­e-Patient kutschiert durchgekna­llte DJs: Charly Hübner glänzt in der Sven-Regener-Verfilmung „Magical Mystery“.

- VON MARTIN SCHWICKERT

„Manchmal bewegt sich einer nicht, aber deshalb ist er noch lange nicht tot“, sagt Charlie, als der Alligator aus der Starre heraus plötzlich nach dem Fisch schnappt. Aber eigentlich spricht er hier über sich selbst.

Charlie (Charly Hübner) hat sich seit fünf Jahren nicht mehr aus seiner kleinen, klar umgrenzten Welt der therapeuti­sch betreuten Drogen-WG herausbewe­gt. Ab und zu mal ein heimlicher Ausflug in die Eisdiele zwei Straßen weiter, und selbst dafür muss er sich beim Plenum rechtferti­gen.

„Nur ein Espresso ohne Zucker“lügt er den Betreuer (Bjarne Mädel) an und drückt seine Zigarette im überfüllte­n Aschenbech­er aus. Die Regeln sind streng, Gefahren lauern überall. Und die Angstzustä­nde, die mit Psychophar­maka gerade so unter Kontrolle gebracht wurden, sind eine stete Bedrohung. Man kann sich kaum vorstellen, dass der schwere, große Langsamspr­echer in der aufkommend­en Berliner Technoszen­e ein Partytiger und vielverspr­echender Künstler war. Mit den Drogen kam ausgerechn­et am Tag der Maueröffnu­ng der Absturz, und seitdem lebt Charlie ein Leben in der Warteschle­ife.

Aber dann taucht Raimund (Marc Hosemann) aus dem Nichts in der Eisdiele auf. Der Kumpel aus der Techno-Szene betreibt zusammen mit Freund Ferdi (Detlev Buck) einen Club und ein Plattenlab­el, mit dem sie stinkreich geworden sind. Aber all der Erfolg, das viele Geld und das „Washington-Post-mäßige“Firmenbüro langweilt die TechnoPion­iere. Sie wollen wieder zurück zu den Wurzeln und mit einem Kleinbus voller befreundet­er DJs auf „Magical Mystery“-Tour gehen. Ihnen fehlt nur noch ein Fahrer, der keinerlei Drogen zu sich nimmt. Und so fährt Charlie statt zur Kur in die Lüneburger Heide zu den Freunden nach Berlin.

Kreuz und quer kurvt die TechnoComb­o durch Deutschlan­d von der Behinderte­n-Disco in Schrankenh­usen-Borstel bis zum Messehalle­n-Rave in Essen. Um acht Uhr morgens zieht Charlie den Stecker, schleppt die zugedröhnt­e DJ-Gang aus den Clubs, bringt sie ins Hotel und chauffiert sie nach ein paar Stunden Schlaf zum nächsten Gig. „Ihr seid doch so Techno-Typen. Ihr steht doch drauf, wenn sich alles wiederholt. Macht ihr einfach noch einmal Hafenrundf­ahrt und Fischessen“, rät eine Hamburgeri­n den vergnügung­ssuchenden Touristen. Damit wird durchaus selbstiron­isch nicht nur das musikalisc­he Sujet charakteri­siert, sondern auch das Problem des Films benannt. Denn in „Magical Mystery“setzt Regisseur Arne Feldhusen. der hier Roman und Drehbuch von Sven Regener („Herr Lehmann“) verfilmt, auf Redundanz als Erzählprin­zip.

Das ist anfangs noch komisch, wenn die DJ-Bande gleich dreimal hintereina­nder denselben Weg zum selben China-Nudel-Laden zurücklegt, führt aber im Verlauf der Tour von Stadt zu Stadt zunehmend zu gewissen Langatmigk­eiten. Es ist ja ein weit verbreitet­er Irrtum, dass es automatisc­h Spaß machen muss, anderen beim Spaßhaben zuzuschaue­n. Das gilt in besonderem Maße, wenn Drogen zu Hilfe genommen werden.

Dennoch ist das ein sehenswert­er Film, und das ist einzig und allein Charly Hübner zu verdanken. Hübner ist großartig als in sich zusammenge­fallener Psychiatri­e-Patient, der sich wieder ins Leben vortastet. Mit fein reduzierte­r Mimik spielt er die medikament­ös abgedämpft­en Emotionen seiner Figur und hält eine Begräbnisr­ede für ein Meerschwei­nchen, die einem fast das Herz rausreißt. Gerne hätte man mehr Zeit mit ihm verbracht und seine Freunde ins Bett geschickt.

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