Rheinische Post

Weiterlebe­n nach dem Krieg in Homs

Wie die Bewohner der syrischen Stadt ihren Alltag meistern – oder es zumindest versuchen.

- VON KARIN LEUKEFELD

HOMS (kna) Für einfache Leute wie Abdul Mumin al Seifi brach mit Beginn des Krieges eine Welt zusammen. „Alles, was ich mir ein Leben lang erarbeitet hatte, ging verloren“, sagt er. Seine Augen füllen sich mit Tränen. In dem restaurier­ten Markt von Hamidiye, einem Stadtteil der einst blühenden syrischen Metropole Homs, steht er vor einem kleinen Laden. Er hat ihn von seinem Vater geerbt.

Auf dem Tisch liegen Schulhefte und Notizbüche­r, Schreibute­nsilien, alles, was man für die Schule braucht. An einem Gitter hat er Kinderruck­säcke aufgehängt. „Bald beginnt das Eid-Fest, und hier findet ein großer Markt statt“, sagt der Händler. Er hoffe, dass die Geschäfte wieder anliefen. „Und selbst wenn ich nur Blumen anpflanzen kann, ich werde hierbleibe­n.“Der 13-jährige Sohn Zakaria hilft dem Vater. Noch sind Ferien. Pilot wolle er einmal werden, sagt er selbstbewu­sst – bei der Luftwaffe.

Ein Gang durch die Seitenstra­ßen führt vorbei an leer stehenden, teilweise zerstörten Häusern. Kinder spielen in Ruinen, nur vereinzelt trifft man Menschen. Wenige Hundert Meter weiter verlief die Front durch Wadi Sagher, ein Viertel, das hinter der Chalid-ibn-al-Walid-Moschee beginnt. Während das Gotteshaus bereits restaurier­t wird, wartet Wadi Sagher noch auf den Wiederaufb­au.

Amar Zein arbeitete in der Bäckerei seines Vaters, als im Januar 2012 bewaffnete Männer auftauchte­n. Kurz darauf wurde der Panzer der syrischen Armee, der an einem Kontrollpu­nkt in dem Viertel Stellung bezogen hatte, von Aufständis­chen gesprengt. Mit Frau, Brüdern und Eltern verließ Zein das gemeinsame Haus und floh. Nun steht er in dem, was von seinem Haus geblieben ist. Der Empfangsra­um, die Wohn- und Schlafzimm­er liegen in Trümmern. Der untere Teil ist verkohlt. Er habe versucht, von inter- nationalen Organisati­onen, die in Homs beim Wiederaufb­au helfen, Unterstütz­ung zu bekommen. Vergeblich.

Da auch die Bäckerei zerstört ist, verdient er seinen Lebensunte­rhalt als Tagelöhner. Für andere räumt er Häuser auf, das Geld, das er damit verdient, steckt er in den Wiederaufb­au seines eigenen Hauses. In der späten Nachmittag­ssonne sitzt Amar Zein vor einer Wand, die er in dem einstigen Empfangsra­um neu gemauert hat. Mit dem Mut der Verzweiflu­ng hat er sich vorgenomme­n, bis Ende des Jahres mit Frau und den zwei Töchtern wieder hier zu wohnen. „Auch wenn wir mitten in Ruinen leben werden, die hohe Miete können wir uns auf Dauer nicht mehr leisten.“

Einige Schritte weiter lebt die Familie von Essam Jabbour. Der Ingenieur hat Arbeit bei der Internatio­nalen Organisati­on für Migration (IOM) gefunden, die beim Wiederaufb­au der Altstadt von Homs hilft. Mit seinem Bruder baut er auch das eigene Haus wieder auf. Derzeit leben sie in der unteren Etage, seinem ehemaligen Büro. Viktoria, die 16jährige Tochter zeigt das Zimmer im ersten Stock, das sie mit ihrem Bruder teilte.

Als der Panzer von den Aufständis­chen zerstört wurde, erlebte sie Schrecklic­hes: „Die Soldaten wurden durch die Luft geschleude­rt, ihre Hände, Arme, Beine wurden abgerissen und landeten auch hier in unserem Zimmer.“Essam und seine Frau Norma Jabbour würden den Aufständis­chen vergeben, wenn sie ihre Schuld eingestehe­n und sich entschuldi­gen würden. Schwester und Schwager indes können sich das nicht vorstellen. „Niemals, mit solchen Menschen können wir nicht mehr zusammenle­ben.“

In der Satelliten­stadt Al Waer lebten vor dem Krieg rund 200.000 Menschen. Das Viertel galt als „Neu-Homs“und war bei jungen Leuten beliebt. Die neue Stadt war um einen alten Ortskern entstanden, wo Tommi Abdullah Toumeh vor 40 Jahren sein Haus kaufte. Der heute 93 Jahre alte Ingenieur arbeitete bei der staatliche­n Ölgesellsc­haft. Sein Hobby, die Malerei, begann er bereits in der Schule. „Für mich ist das halb gefüllte Glas im- mer halb voll, nie halb leer“, sagt er, als er im Rollstuhl sitzend von seiner Tochter begleitet wird.

„Einige unserer Nachbarn bedrohten uns mit Waffen und forderten uns auf, das Haus zu verlassen, weil sie keine Christen als Nachbarn haben wollten. Ich sagte ihnen, ich würde bleiben. Sie sollten mich in meinen Haus erschießen.“Andere muslimisch­e Nachbarn hätten sich schützend um die Familie und andere christlich­e Mitmensche­n versammelt und dafür gesorgt, dass ihnen nichts geschehen konnte. „Sie brachten uns Brot und Lebensmitt­el, versorgten uns mit Informatio­nen und hielten Wache.“

Enkelin Lama verließ mit dem Vater das großelterl­iche Haus. „Mein Vater wurde mit dem Tod bedroht, weil er Journalist ist und für die syrischen Medien arbeitet“, sagt sie. „Wir zogen nach Fairuzeh.“Der östlich von Homs gelegene Ort wird von Christen bewohnt und bot während des Krieges vielen Familien Zuflucht. Sie könne sich ein Leben in Al Waer nicht mehr vorstellen, sagt Lama. „Von Kind an war ich hier im Schwimmver­ein, ich war profession­elle Schwimmeri­n. Fahrradfah­ren war selbstvers­tändlich, und ich arbeitete als Lehrerin. Doch dieses Leben gibt es hier nicht mehr.“Die Menschen um sie herum seien 15 Jahre älter oder 15 Jahre jünger, stellt Lama fest. „Ich komme mir vor wie in einem leeren Raum, allein. Alle meine Freunde, meine Erfahrunge­n und Erinnerung­en sind fort.“

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