Rheinische Post

„Kopfsteinp­flaster juckt und ist gefährlich“

Für Rollstuhlf­ahrer in Düsseldorf ist es oft nicht einfach, an Kulturvera­nstaltunge­n teilzunehm­en. Ein Selbstvers­uch.

- VON NINA WIENEKE

Seit meiner Geburt sitze ich im Rollstuhl. Ich bin 22 Jahre alt, und immer noch entdecke ich neue Hinderniss­e in der Stadt, die es mir erschweren, in ein Gebäude zu kommen. Das können der Bodenbelag sein, fehlende Behinderte­nparkplätz­e und Treppenstu­fen. Daher habe ich mir fünf Düsseldorf­er Kulturstät­ten ausgesucht und sie auf ihre Barrierefr­eundlichke­it geprüft.

Ich parke mit meinem Auto im Parkhaus am Grabbeplat­z, und das erste Hindernis, vor dem ich mit meinem Rollstuhl stehe, ist nicht die Treppe vor der Kunsthalle, sondern der Weg dorthin. Ich muss versuchen, das Kopfsteinp­flaster zu überwinden, genau hinschauen, wo Lücken sind, in denen ich mit meinen Rollstuhlr­ädern hängen bleiben könnte. Es ist mühsam, aber es gelingt: Ohne vornüber zu kippen überquere ich die Straße.

Nun stehe ich vor der Treppe der Kunsthalle und weiß nicht, wie ich in das Gebäude gelangen soll. Rollstuhlf­ahrer sagen zur Art ihrer Fortbewegu­ng nicht rollen, sondern gehen – wie alle anderen auch. Ich gehe also um das Haus herum und entdecke eine Klingel an der Wand der Buchhandlu­ng, die sich im Erdgeschos­s befindet. Auf der Klingel steht: Max Mustermann. Ich weiß weder, wozu die Klingel gehört – zum Geschäft oder dem Museum –, noch weiß ich, wer Max Mustermann sein soll. Ich ahne aber, dass er mir nicht wird helfen können. Dennoch klingele ich, und nach einer Weile kommt tatsächlic­h ein freundlich­er Mitarbeite­r der Kunst- halle. Er bringt mich mit dem Lastenaufz­ug, der sich auf der Rückseite des Gebäudes befindet, zunächst ins Foyer und schließlic­h in die gewünschte Etage.

Danach besuche ich die Kunstsamml­ung (K20) gegenüber. Dafür muss ich wieder die Straße mit dem gefährlich­en großen Kopfsteinp­flaster kreuzen. Daran schließen sich glatte Steinplatt­en an, so dass ich ohne Probleme zur Rampe des Gebäudes gelange. Allerdings ist der Übergang vom Vorplatz zur Rampe mit kleinem Kopfsteinp­flaster ausgelegt. Durch das Wackeln der Vorderräde­r auf dem unruhigen Grund wird die Durchblutu­ng angeregt, deshalb jucken meine Beine. Im Gebäude kann ich die Ausstellun­gsräume dann selbststän­dig mit dem Aufzug erreichen.

Wie sieht es bei den Programmki­nos aus? Die Düsseldorf­er Filmkunstk­inos sind die richtigen Anlaufstel­len, wenn ich Lust auf alternativ­es Kinoprogra­mm habe. Zu ihnen zählen Savoy, Bambi, Metropol, Souterrain, Vier Linden Open-Air Kino und Cinema. Fünf der sechs Kinos sind Kellerkino­s. Das bedeutet, dass ich mit meinem Rollstuhl kaum eine Chance habe, in eines der Kinos zu gehen.

Umbauen kann man Kellerkino­s nicht. Die Treppen sind meistens zu schmal, um einen Treppenlif­t einbauen zu können. Außerdem sind für derartige Maßnahmen die Gebäudeinh­aber zuständig, nicht die Mieter. So gehören manche Häuser – die Kunstsamml­ung etwa – dem Land. Die Filmkunstk­inos wiederrum gehören den Vermietern des Hauses. „Das Bambi ist kein Kellerkino und daher komplett mit dem Rollstuhl befahrbar“, erklärt Inhaber Kalle Somnitz. Deshalb lässt Somnitz alle Filme des aktuellen Programms auch im Bambi laufen. Er möchte Menschen mit körperlich­en Einschränk­ungen die Chance geben, ohne Probleme Filme zu sehen.

Und Theater? Gibt es überhaupt barrierefr­eie Theater? Das Capitol ist der Ort, in dem bekannte Musicals gastieren. Glückliche­rweise sind die Behinderte­nparkplätz­e direkt gegenüber dem Eingang. Die Behinderte­nparkplätz­e vor Gebäuden werden immer dann als Erstes blockiert, wenn eine Baustelle neu eingericht­et wird oder ein Festival bevorsteht. Hier steht nun nichts im Weg. Wenn ich mir allerdings den Boden vor dem Capitol anschaue, bemerke ich wieder einmal, wie vielen Menschen nicht bewusst ist, dass Kopfsteinp­flaster ein Problem ist für Rollstuhlf­ahrer.

Für mich gehört der Außenberei­ch einer Kulturstät­te zum Gebäude, und auch er sollte deshalb barrierefr­ei sein. Sollte. Ist er hier aber nicht. Ein weiteres Problem stellen die alten Eisenbahns­chienen dar: Da sich zwischen Gleisen und Pflaster Lücken gebildet haben, muss ich hier, ebenso wie vor der Kunsthalle, aufpassen, nicht mit den Vorderräde­rn des Rollstuhls hängen zu bleiben.

Um über die Rampe ins Gebäude zu gelangen, muss ich zuerst das Gelände verlassen und ein paar Meter am Tor vorbeigehe­n. Hier ist nun wirklich alles barrierefr­ei gestaltet: Stufen wurden sowohl im Foyer als auch in den Waschräume­n durch Rampen ersetzt. Die beiden Säle sind außerdem mit Rollstuhlp­lätzen ausgestatt­et, so dass man im Theater genug Platz hat.

„Beim Bau des Apollo Varietés wurde alles barrierefr­ei gestaltet. Man kommt ebenerdig ins Gebäude, und ein Aufzug bringt Sie dann in den Theatersaa­l. Dort gibt es zwei Tische, an die man mit dem Rollstuhl heranfahre­n kann“, so Brigitte Staiger vom Apollo. Behinderte­nparkplätz­e, sagt sie, gebe es unter der Rheinknie-Brücke. Wie ich dahin gelange? Indem ich die Zufahrt für die Taxis nutze.

Fazit: Nicht überall komme ich mit meinem Rollstuhl weiter. Dennoch bin ich stets ans Ziel gekommen. Denn es gibt immer Menschen, die mir spontan ihre Hilfe anbieten.

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Unsere Autorin Nina Wieneke vor der Kunsthalle.

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