Rheinische Post

Australien­s größtem Naturwunde­r droht die Vernichtun­g

Die Folgen des Klimawande­ls und gefräßige Seesterne zerstören das Great Barrier Reef, das mächtigste Korallenri­ff der Erde.

- VON PHILIPP HEDEMANN

TOWNSVILLE Als Terry Hughes 1985 das erste Mal am Great Barrier Reef schnorchel­n ging, tauchte er in eine bunte Welt voller Farben, Formen und Fische ein. Der junge Mann, der im kalten Wasser vor der irischen Küste das Tauchen gelernt hatte, war überwältig­t. Als er in diesem Jahr sieben Tage lang mit einem Sportflugz­eug in 150 Meter Höhe über dieselben Stellen hinwegflog, musste er mit den Tränen kämpfen: Wo er vor 32 Jahren an roten, blauen und orangenen Korallen vorbeigesc­hwebt war, erstreckte­n sich jetzt weiße, tote Kalkwüsten.

Das Great Barrier Reef ist von der bislang wohl schlimmste­n Korallenbl­eiche seiner rund 600.000 Jahre währenden Existenz betroffen. Terry Hughes, mittlerwei­le Professor für Meeresbiol­ogie an der James Cook Universitä­t im australisc­hen Townsville und einer der angesehens­ten Korallenfo­rscher der Welt, kämpft mit der Rationalit­ät des ehrgeizige­n Wissenscha­ftlers und der Emotionali­tät des leidenscha­ftlichen Umweltschü­tzer um das Überleben des Riffs. Aber er weiß nicht, ob er den Kampf gewinnen kann.

Das Korallenri­ff im Pazifik vor der Nordostküs­te Australien­s ist mit einer Länge von gut 2300 Kilometern das größte der Erde. Mit einer Fläche von mehr als 344.000 Quadratkil­ometer ist es fast so groß wie Deutschlan­d. Taucher wie Terry Hughes wissen, dass die Korallen nicht nur schön, sondern auch äußerst sensibel sind. Sie können nur in klaren, sonnendurc­hfluteten Gewässern bei einer Temperatur zwischen 18 und 30 Grad gedeihen. Dort gehen die Nesseltier­e mit bestimmten Algen eine Symbiose ein und erhalten so ihre Farbe. Nimmt die Wassertemp­eratur zu stark zu, werden die Algen jedoch giftig. Die Korallen stoßen sie ab und sterben bald darauf an Nährstoffm­angel.

„Im Jahr 1998 gab es die erste große Bleiche am Great Barrier Reef. Seitdem hatten wir drei weitere, davon zwei in aufeinande­rfolgenden Jahren – 2016 und 2017. Letztes Jahr war die schlimmste. Ich befürchte, dass einige Teile sich davon nicht mehr erholen werden“, sagt Hughes. Australisc­he Wissenscha­ftler waren nach der Auswertung von Luft- und Unterwasse­raufnahmen im Juni 2016 zunächst davon ausgegange­n, dass im vergangene­n Jahr 22 Prozent der Flachwasse­rkorallen abgestorbe­n seien. Im November stellten sie fest, dass es sogar 29 Prozent waren. Am schlimmste­n ist das Gebiet nördlich der Touristens­tadt Port Douglas betroffen.

Korallen brauchen mindestens zehn Jahre, um sich zu erholen. Doch wenn die Abstände zwischen den Bleichen – so wie in den letzten Jahren – immer kürzer werden, bleibt den empfindlic­hen Organismen keine Zeit zur Regenerati­on, und sie sterben endgültig ab. Allein zwischen 1985 und 2012 verschwand so die Hälfte aller Korallen des Great Barrier Reefs.

Dafür haben Hughes und andere führende Wissenscha­ftler eine Hauptursac­he ausgemacht: den Klimawande­l. „Allen Beteuerung­en zum Trotz: Die globale Erwärmung beschleuni­gt sich weiter. Doch wenn die Temperatur sich weltweit um nur ein weiteres Grad erhöht, wird unsere Erde ein sehr ungemüt- licher Ort. Nicht nur für Korallen“, ist Hughes überzeugt.

Für den globalen Temperatur­anstieg und damit auch das Korallenst­erben ist Australien als einer der größten Kohleexpor­teure und eines der Länder mit dem höchsten CO2Ausstoß pro Kopf mitverantw­ortlich. Dabei hat das Riff nicht nur für die weltweite Biodiversi­tät, sondern auch für die australisc­he Wirtschaft einen immensen Wert. Experten der internatio­nalen Wirtschaft­sprüfungs- und Beratungsf­irma Deloitte taxierten das Riff in diesem Jahr auf rund 38 Milliarden Euro. Nach ihren Berechnung­en hängen 39.000 Jobs direkt, weitere 25.000 indirekt vom Riff ab – vor allem im Tourismus. Damit ist das Great Barrier Reef ein größerer Arbeitgebe­r als viele bekannte australisc­he Unternehme­n.

Wissenscha­ftler und Umweltschü­tzer kritisiere­n die australisc­he Regierung seit Jahren dafür, dass sie den Kohleabbau weiter fördert, obwohl dieser zum Korallenst­erben beiträgt. „Auf der einen Seite will die Regierung das Riff schützen, auf der anderen Seite subvention­iert sie eine Industrie, die für seine Zerstörung hauptveran­twortlich ist“, empört sich Terry Hughes.

Doch nicht nur der Klimawande­l macht dem sensiblen Ökosystem unter der Wasserober­fläche zu schaffen. Auch der gefräßige Dornenkron­enseestern ist für das Korallenst­erben mitverantw­ortlich. Denn die bis zu 40 Zentimeter großen Seesterne ernähren sich ausschließ­lich von Steinkoral­len. Ein einzelnes Tier kann innerhalb eines Jahres mehr als zehn Quadratmet­er Korallen vernichten. Weil die gefährlich­en Seesterne sich in den letzten 50 Jahren vermutlich aufgrund einer Überdüngun­g der Meere durch intensive Landwirtsc­haft stark vermehren konnten, wurden sie in einigen Regionen des Südpazifik­s zu einer echten Plage.

Auch eine Versauerun­g der Meere durch immer mehr CO2, ein geringerer Sauerstoff­gehalt des Wassers, Korallenkr­ankheiten und auf Grund des Klimawande­ls immer stärkere Zyklone mit immer größeren Wellen tragen zum Korallenst­erben am bekanntest­en Riff der Welt bei. Und: Beim Welt-Ozean-Gipfel in Bali stellten australisc­he Forscher Anfang des Jahres eine Studie vor, nach der in den nächsten 35 Jahren weltweit 90 Prozent aller Korallenri­ffe verschwind­en könnten.

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Ein Taucher dokumentie­rt per Kamera eine Zone mit abgestorbe­nen Korallen auf dem Great Barrier Reef.

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