Rheinische Post

„Das Gutachten zur Tour ist nicht haltbar“

Der Wirtschaft­sprofessor hat die angebliche­n Steuermehr­einnahmen durch den Grand Départ überprüft – und bezweifelt die Zahlen.

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Herr Schwark, die Stadt hat ein Gutachten zum wirtschaft­lichen Nutzen des Tour-de-France-Starts vorgelegt. Das Papier besagt, dass der Grand Départ Düsseldorf zusätzlich­e 2,3 Millionen Euro an Gewerbeste­uer gebracht hat. Wie bewerten Sie dieses Gutachten? JÜRGEN SCHWARK Ich halte diese Zahl für viel zu hoch. Das Gutachten, das die Stadt bei den Wirtschaft­sprüfern Deloitte/Hollasch in Auftrag gegeben hat, ist wissenscha­ftlich nicht haltbar. Woran machen Sie das fest? SCHWARK Wenn man die Effekte einer Veranstalt­ung prognostiz­ieren will, gibt es viele Stellschra­uben, an denen man drehen kann. Denn objektiv kann man viele Fragen vorab noch nicht beantworte­n. Hier wurden diese Stellschra­uben bis an die Grenze und teilweise deutlich darüber ins Positive gedreht. Um es mal mit einem Bild aus dem Sport zu sagen: Es gibt Elfmeter, die kann man geben. Und es gibt welche, die sind keine. Wie lautet denn Ihre Schätzung? SCHWARK Ich habe bewusst sehr wohlwollen­de Werte angesetzt. Ich habe sogar die Multiplika­toreffekte einberechn­et – das tut das Gutachten seltsamerw­eise nicht. Also: Wenn ein Düsseldorf­er Unternehme­n eine Tribüne für den VIP-Bereich aufgebaut hat, erzeugen seine Gewinne und die Einkommen der Beschäftig­ten weitere Effekte, die auch noch mal Steuern bringen. Alles in allem komme ich auf zusätzlich­e Gewerbeste­uer in Höhe von höchstens 800.000 Euro – also rund ein Drittel des Wertes aus dem Gutachten. Wo sehen Sie Mängel im Gutachten? SCHWARK Nehmen Sie zum Beispiel die Schätzung dazu, wie viel Geld jeder Zuschauer ausgegeben haben soll. Während des Grand Départ wurde aus meiner Sicht eine viel zu kleine Gruppe befragt – 489 Zuschauer und 100 Übernachtu­ngsgäste – mit einem Wert von 48 Euro. Dieser Wert ist aus meiner Sicht viel zu hoch. Beim Grand Départ in Ut- recht zwei Jahre zuvor haben die Kollegen der Universitä­t mit 22,50 Euro für Einheimisc­he und 40 Euro für Ausländer gerechnet. Man muss bedenken: Viele Zuschauer kamen aus der Region, und wer etwa aus Krefeld anreist, geht nicht unbedingt in Düsseldorf nach dem Rennen noch essen. Was auch fehlt, sind die Kaufkraftv­erschiebun­gen und Verdrängun­gseffekte. Was bedeutet das? SCHWARK Die Düsseldorf­er, die an einem Stand gegessen haben, sind an diesem Tag nicht zu ihrem Stamm-Italiener gegangen. Dadurch fällt Umsatz an anderer Stelle weg. Auch viele Shopping-Besucher dürften wegen der Sperrungen lieber etwa nach Köln gefahren sein. Dazu kommt, dass Gewinne zu hoch angesetzt sind. Was meinen Sie? SCHWARK Das Gutachten geht zum Beispiel von einer Gewinnspan­ne von 23 Prozent in der Gastronomi­e aus. Das ist viel zu viel! Ich gehe von einer Quote von zwölf Prozent aus, und das ist noch großzügig. Das Gutachten ignoriert zudem die sogenannte­n anlagebedi­ngten Kosten von Gastronome­n und Hotels. Das heißt: Es wird so getan, als wären für dieses Event nicht die üblichen Kosten wie Miete oder Abschreibu­ngen angefallen. Dabei ist es wirtschaft­lich egal, ob man Tourbesuch­er bewirtet oder eine Hochzeitsf­eier. Solche Gutachten gibt es heutzutage häufig. Sind sie in jedem Fall abzulehnen? SCHWARK Nein, überhaupt nicht. Es gibt viele gute Studien, an denen man sich orientiere­n kann. Aber ich habe den Eindruck, dass oft nur ein großer Name eingekauft wird, ohne zu schauen, was sozusagen hinter der Bühne passiert. Warum befassen Sie sich überhaupt jetzt noch mit dem Gutachten? SCHWARK Ich schreibe an einem Lehrbuch zu wirtschaft­lichen und sportfachl­ichen Auswirkung­en von Großevents und nehme die Tour als Beispiel. Ich habe dafür auch Interviews mit Mitglieder­n des Sportaussc­husses und Oberbürger­meister Thomas Geisel geführt. Heute präsentier­t Thomas Geisel die Abrechnung zur Tour, die Stadt wird wohl 7,5 Millionen Euro zahlen müssen. Würden Sie sagen, dass die TourBewerb­ung insgesamt ein Fehler war? SCHWARK Nein, das finde ich nicht. Gerade als Landeshaup­tstadt muss man sich solche Höhepunkte leisten. Und man kann viele positive Bezüge nennen, vom Breitenspo­rt über die zahlreiche­n Kulturvera­nstaltunge­n bis zur Debatte um den Radverkehr. Ich fand die Tour toll, ich war auch selbst mit meinen Kindern an der Strecke. Ich finde es nur sehr ärgerlich, wenn falsche Zahlen in den öffentlich­en Raum geworfen werden. Ein Präsident des Leichtathl­etik-Weltverban­des hat mal ironisch gesagt: „Be happy and pay the deficit.“

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