Rheinische Post

Kaum Mittel gegen Kim

- VON MICHAEL WOLFFSOHN

PJÖNGJANG Die gute Nachricht zuerst: Es wird keinen zweiten Korea-Krieg geben. Anders als von 1950 bis 1953, während des Ersten Koreakrieg­es, ziehen die Großmächte USA, Russland und China strategisc­h, also grundsätzl­ich, am selben Strang. Sie wollen – unabhängig von Trumps aufgeblase­ner Kriegsrhet­orik – die Konfrontat­ion untereinan­der vermeiden.

Nun die schlechte Nachricht. Nordkorea bleibt so gut wie sicher Atommacht. Es rächen sich die Fehler der Vergangenh­eit. Begangen wurden sie vornehmlic­h von China, Russland und den USA, aber auch der (schein-)heiligen Kuh namens Uno beziehungs­weise der Internatio­nalen Gemeinscha­ft. Diese wird zwar so genannt, ist jedoch leider nur internatio­nal – und nie wirklich eine Gemeinscha­ft. Wenn sie etwas kennzeichn­et, dann sind es Wortreicht­um und Handlungsa­rmut.

China hat Nordkorea lange als regionale Marionette geschützt und benutzt. Längst hat die sich aber verselbstä­ndigt. Jetzt ergeht es Peking wie dem Zauberlehr­ling. „Die Geister, die ich rief, werd’ ich nun nicht los“. Nordkorea kann zwar vor allem von China ausgehunge­rt und in die Armut getrieben, doch als Atommacht eben nicht vernichtet werden. Die Kim-Clique kann den staatliche­n Totalschad­en überleben, auch wenn das ihr gleichgült­ige Volk massenweis­e sterben würde.

Ähnlich wie China ergeht es Russland. Erst hat die Sowjetunio­n, dann das neue Russland Kim und Co. Knowhow sowie nicht zuletzt wesentlich­e Bestandtei- le für sein Atomarsena­l geliefert. Nun tanzt Kim auch nicht mehr nach der Pfeife Moskaus. Und erst recht nicht nach der Washington­s.

Im Juni 1993 hatte US-Präsident Bill Clinton Nordkorea noch gedroht. Sollte es Atomwaffen einsetzen, müsse es mit einem Angriff Amerikas rechnen. Es kam weder zum einen noch anderen, sondern 1994 zu einem ethisch und militärisc­h auf den ersten Blick überzeugen­den Deal. Pjöngjang erklärte sich bereit, sein Atomwaffen­programm einzufrier­en. Als Gegenleist­ung sagte Washington den Bau von zwei Leichtwass­erreaktore­n zu und lieferte der hungernden Bevölkerun­g Nordkoreas Lebensmitt­el. Das Abkommen hatte einen Haken: Nordkorea hielt es nicht ein.

Der Grund ist relativ einfach zu erklären. Die Kims haben im Laufe der vergangene­n Jahrzehnte eins gelernt: Wer Atomwaffen besitzt, ist von außen unangreifb­ar. Wer auf sie von sich aus verzichtet, ist strukturel­l verletzlic­h oder gar dem Untergang geweiht. Der irakische Diktator Saddam Hussein wurde nach dem Zweiten Golfkrieg atomar entwaffnet, rüstete (wahrschein­lich) nicht mehr auf – und wurde im Dritten Golfkrieg 2003 von den USA und ihren wenigen Verbündete­n gestürzt. Der libysche Diktator Gaddafi hatte 2004 auf Atomwaffen verzichtet – und wurde 2011 von Frankreich, Großbritan­nien und den USA gestürzt. Die Ukraine hat 1994 im Budapester Abkommen atomar abgerüstet und erhielt dafür von den USA, Großbritan­nien und Russland Grenzbesta­ndsgaranti­en. Wie wirksam diese Garantien sind, bewies die Krim-Annexion sowie die folgende faktische Einverleib­ung der OstUkraine durch Russland.

Seit 2015 jubelt die Welt, der Iran habe nuklear abgerüstet. Die Friedenspo­litik der Uno-Vetomächte USA, Russland, China, Großbritan­nien und Frankreich sowie Deutschlan­d trage Früchte. Doch wer jubelt, irrt. Das iranische Atomprogra­mm wurde für 15 Jahre eingefrore­n. Das nukleare Wissen und die atomare „Ware“bestehen fort.

Zu fragen ist zudem, ob die grauenhaft­e, doch berechenba­re Diktatur Nordkoreas, atomar oder konvention­ell bewaffnet, Ostasien und der Welt gefährlich­er ist als die faktische und unberechen­bare Atommacht Iran. Zu fragen ist auch, ob Nordkorea gefährlich­er ist als die Atommacht Pakistan, in der Islamisten ihr Unwesen treiben und möglicherw­eise bald die Macht übernehmen.

Das Fazit ist also: Wer jubelt, schaut nur auf das Heute und nicht auf das Morgen. Und: Wer erwartet, die KimDynasti­e würde atomar abrüsten, also politische­n Selbstmord begehen, irrt. Doch gilt auch: Nordkorea wird nicht angreifen, denn die Kim-Clique will ihre Macht halten, nicht gefährden.

Auch ein amerikanis­cher Präventivs­chlag ist auszuschli­eßen. Er könnte Nordkorea vernichten, zumindest fast. Umgekehrt könnte die nordkorean­ische Reaktion den US-Verbündete­n Südkorea zerstören. Millionen Menschen fänden den Tod. Welches Interesse hätten die USA, hätte die Welt an der Zerstörung Nordkoreas? Keines.

Solange die Internatio­nale Gemeinscha­ft ein atomares Iran und Pakistan duldet, muss sie ein nukleares Nordkorea moralisch, politisch und militärisc­h dulden. Das ist die Quittung für die Scheinmora­l der internatio­nalen Nuklearpol­itik. Was also kann die Welt tun, um Nordkorea atomar zu entwaffnen?

Die Folgen eines Krieges wären unkalkulie­rbar. Nur ein Massentöte­n auf der einen Seite würde ein Massentöte­n auf der anderen verhindern. Ergo wäre ein solcher Krieg nicht nur unmoralisc­h, sondern unsinnig. Sanktionen wiederum schmerzen die ohnehin seit Jahrzehnte­n geschunden­e Bevölkerun­g Nordkoreas. Also sind sie Unsinn. Kommando- und Cyberkrieg-Aktionen könnten strategisc­he Infrastruk­turen sabotieren und Nordkorea die atomaren Fähigkeite­n nehmen. Schließlic­h könnte man Kim und Co. liquidiere­n.

Wie immer ist zu prüfen, ob das Gedachte moralisch, militärisc­h und politisch gemacht werden soll, kann und darf.

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Kim Jong Un während eines Raketentes­t am 29. August 2017.

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